Düsseldorf |aktualisiert| In der Affäre um Plagiatsvorwürfe gerät Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) immer stärker unter Druck. Die Opposition fordert bereits ihren Rücktritt. Rückendeckung erhielt sie nun von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Ein Gutachter der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität kommt einem Bericht des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ zufolge zu einem eindeutigen Fazit. Etliche Stellen der Doktorarbeit Schavans trügen das „charakteristische Bild einer plagiierenden Vorgehensweise“, heißt es laut „Spiegel“ in einem 75-seitigen vertraulichen Papier des Uni-Gutachters Stefan Rohrbacher. Schavan selbst wies die Vorwürfe am Sonntag entschieden zurück.

15.10.2012 16:10 > Merkel spricht Schavan Vertrauen aus

Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach der durch Plagiatsvorwürfe unter Druck geratenen Bildungsministerin Annette Schavan ihr Vertrauen aus. Schavan sei eine „hervorragende und erfolgreiche“ Ministerin, die „für Bildung und Forschung viel erreicht“ habe, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. „Die Bundeskanzlerin hat volles Vertrauen zu ihr“, betonte Seibert.

Die Opposition hingegen fordert bereits den Rücktritt der Ministerin, es sei „beschämend, dass Schavan die Sache aussitzen will“, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast der „Rheinischen Post“. Die CDU-Ministerin geht unterdessen in die Offensive. „Ich habe zu keinem Zeitpunkt bei der Arbeit an meiner Dissertation versucht zu täuschen. Sobald mir der Promotionsausschuss Gelegenheit dazu gibt, werde ich zu den Vorwürfen Stellung nehmen“, sagte Schavan der „Rheinischen Post“.

60 von 351 Seiten zu beanstanden

Insgesamt soll es auf 60 der 351 Seiten langen Dissertation beanstandete Textstellen geben. Rohrbacher, der auch dem mit dem Prüfungsverfahren beauftragten Promotionsausschuss vorsteht, kommt zu dem Urteil: „Eine leitende Täuschungsabsicht ist nicht nur angesichts der allgemeinen Muster des Gesamtbildes, sondern auch aufgrund der spezifischen Merkmale einer signifikanten Mehrzahl von Befundstellen zu konstatieren.“

Das Papier ist laut „Spiegel“ Grundlage für die Beratungen des Promotionsausschusses, der an diesem Mittwoch tagen wird. Dort soll eine Empfehlung an den Fakultätsrat abgegeben werden, der über eine mögliche Aberkennung des Doktortitels entscheidet.

Schavan „im Kern“ getroffen

Schavan selbst widersprach den Vorwürfen scharf. „Die Unterstellung einer Täuschungsabsicht weise ich entschieden zurück“, sagte sie, mit der neuen Entwicklung konfrontiert, der „Süddeutschen Zeitung“ (Montagsausgabe). „Ich habe sorgfältig gearbeitet“, betonte Schavan.

Die Vorhaltungen schmerzten sie sehr, fügte die Ministerin hinzu: „Es trifft mich im Kern. Es trifft den Kern von dem, was mir wichtig ist“. Dem „Spiegel“ sagte Schavan, soweit die Philosophische Fakultät ihr Gelegenheit gebe, wolle sie „nach sorgfältiger Prüfung“ zu den Vorwürfen Stellung nehmen.

Der bildungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Patrick Meinhardt, forderte größtmögliche „Offenheit und Transparenz“. Er setze auf eine umfassende Information, wenn die Entscheidung des Fakultätsrates auf dem Tisch liege. „Das ist sicher so auch im Sinne der Ministerin, die selbst hohe Ansprüche in der Vergangenheit bei der Beurteilung in entsprechende Situationen gesetzt hat“, sagte er. Schavan müsse aber „in vollem Umfang die Chance haben, sich zu Vorwürfen fachlich zu äußern“.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, sprach angesichts der angeblichen Täuschungsabsicht von einem „schwerwiegenden Vorwurf“. Schavan solle sich schnell dazu erklären, forderte der Sozialdemokrat am Sonntag.

Die Vorsitzende des Bundestags-Bildungsausschusses, Ulla Burchardt (SPD), warnte davor, Schavan vorschnell zu verurteilen. Die Ministerin müsse „eine faire Chance bekommen, sich zu den Vorwürfen zu äußern“, sagte Burchardt der „Mitteldeutschen Zeitung“. „Wenn sich die Vorwürfe allerdings bewahrheiten, dann muss sie zurücktreten.“

Die Vorwürfe waren Anfang Mai bekannt geworden. Die studierte Theologin und Philosophin wiest die Anschuldigungen allerdings stets zurück, zitierte Passagen nicht korrekt gekennzeichnet zu haben. Ein Blogger hatte seine Funde in Schavans Dissertation mit dem Titel „Person und Gewissen. Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“ auf der Internetseite „schavanplag“ dokumentiert.

„Verstöße in etlichen Fällen nicht entschuldbar“

Erst Ende September hatte der Plagiatsjäger, der sich Robert Schmidt nennt, seine Untersuchung der Doktorarbeit abgeschlossen und warf der CDU-Politikerin daraufhin Täuschung vor. „Ich halte die Verstöße in etlichen Fällen für nicht entschuldbar“, sagte er in einem Zeitungsinterview. Die Vorfälle gingen deutlich über gelegentliche Fehler hinaus, die durch „Ungeschicklichkeit oder Schludrigkeit“ erklärt werden könnten.

In den vergangenen Monaten waren mehrere Politiker über Plagiate in ihren Doktorarbeiten gestolpert. Der prominenteste Fall war Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der vom Amt des Verteidigungsministers zurücktrat, nachdem ihm Internetnutzer zahlreiche Plagiate nachgewiesen hatten. Schavan hatte damals in einem Interview gesagt, dass sie sich als Wissenschaftlerin, die vor 30 Jahren selbst promoviert habe, „nicht nur heimlich schäme“ für das, was passiert sei.

Autor: Christian Wolf und Florian Naumann, dapd | dts | dd | Foto: Deutscher Bundestag/Thomas Trutschel/photothek.net