Berlin | Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich in die Debatte um den Umgang mit der AfD eingeschaltet. Ohne die Partei beim Namen zu nennen, kritisiert er dabei den Umgang der Medien mit der AfD, die am Sonntag mit 12,6 Prozent den Sprung in den Bundestag schaffte: „Tabubrüche dürfen sich nicht auszahlen: Wer für jede neue Provokation eine neue Einladung in eine Talkshow erhält, fühlt sich zum Provozieren ermuntert“, sagte der Bundespräsident der „Zeit“ und „Zeit Online“. „Es gibt Anzeichen dafür, dass uns eine Veränderung der politischen Kultur bevorsteht“, warnte der Bundespräsident.

So sei „ein neuer Trend zu beobachten: Der Kampf gegen das Establishment hat ganz offenkundig Einzug in die Politik gehalten“, sagte Steinmeier, „aber mancher Protest kann auch eine vordergründige Form sein, sich selbst von Verantwortung freizusprechen“. Damit äußert sich das deutsche Staatsoberhaupt auch kritisch gegenüber den Wählern und Sympathisanten von Protestparteien. Gleichzeitig appelliert Steinmeier, zwischen Parteien und ihren Anhängern zu unterscheiden: „Wir nehmen, was sich da als Protest zeigt, schon viel zu sehr als geschlossene Ablehnungsfront wahr.“

Der Bundespräsident räumte mit Blick auf die sogenannten Wutbürger ein: „Man kann die Leute dazu bringen, unangenehme Wahrheiten zu akzeptieren, das heißt aber nicht, dass sie sie auch für sich annehmen.“ Das hätten ihn auch seine Erfahrungen mit der Vermittlung der Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) gelehrt, dessen Kanzleramtschef Steinmeier gewesen war. „Es gibt ein Anerkennungsdefizit, das weiter verbreitet ist, als es in `Berlin` manchmal wahrgenommen wird“, so Steinmeier.

„Einige Menschen haben den Eindruck: Mich sieht ja keiner.“ Besonderes Verständnis zeigt der Bundespräsident für die Situation in Ostdeutschland. „Ich muss im Osten nicht anfangen, alles neu zu verstehen“, so Steinmeier, der 2009 und 2013 direkt gewählter SPD-Bundestagsabgeordneter eines Brandenburger Wahlkreises war.

„Manche Menschen haben den Eindruck, dass ihr Teil der Geschichte nie als gleichberechtigt respektiert wurde – und damit haben sie nicht mal Unrecht.“ Im Westen werde der Zusammenhang oft nicht verstanden: „Es geht nicht allein um die biographischen Brüche von 1989/90, es geht auch um die fehlende Wertschätzung von Biographien in den 25 Jahren danach.“

Autor: dts