Düsseldorf | aktualisiert 14:47 Uhr | In der Geflügelmast gibt es weiter Probleme mit Antibiotika. Laut einer am Dienstag in Düsseldorf vorgestellten Studie der NRW-Landesregierung kommt Mastgeflügel auch außerhalb von Therapiezeiten und teilweise sogar ohne tierärztliche Versorgung mit antibiotisch wirksamen Substanzen in Kontakt. Als Konsequenz befürchtet der nordrhein-westfälische Verbraucherschutzminister Johannes Remmel eine abnehmende Wirkung von Antibiotika und die Bildung von Resistenzen. Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Verbraucher gebe es bislang aber nicht.

Schon im November vergangenen Jahres hatte Remmel eine Studie vorgelegt, wonach neun von zehn Masthähnchen in ihrer kurzen Lebenszeit mit Antibiotika behandelt werden. Die Erhebung löste eine bundesweite Debatte über die Massentierhaltung aus. Nun legt der Grünen-Politiker mit einer zweiten Studie nach. In 42 Ställen in Nordrhein-Westfalen wurden Proben aus den Tränkwassersystemen entnommen. In 26 Fällen fanden die Prüfer des Landesumweltamtes „auffällige Rückstände“ von Antibiotika – teilweise sogar ohne Verordnung durch einen Tierarzt. Die letzte dokumentierte Behandlung mit antibiotischen Substanzen lag oftmals 30 bis 50 Tage zurück, in einem Fall sogar fast drei Jahre. Darüber hinaus wurden Wirkstoffe entdeckt, die in der Putenmast gar nicht verwendet werden dürfen. In einzelnen Fällen werden nun rechtliche Schritte geprüft.

Darüber spekulieren, wie es zu den Rückständen im Tränkwasser kommt, wollte Remmel nicht. Das bisherige System sieht vor, dass bei einer vom Tierarzt verordneten Behandlung das Antibiotikum in das Trinkwasser der Tiere gemischt wird. Werden die Rohrsysteme in den Ställen danach nicht ordentlich gereinigt, können sich Rückstände bilden. Möglich ist aber auch, dass die Tiere viel häufiger Antibiotika bekommen haben, als es in den entsprechenden Unterlagen dokumentiert wurde.

Antibiotikafreie Geflügelmast ist die Ausnahme

So oder so sieht der Verbraucherschutzminister viel grundsätzlichere Probleme. „Der Einsatz von Antibiotika hat ein Ausmaß erreicht, das völlig indiskutabel ist“, sagte er. Die antibiotikafreie Geflügelmast sei nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Zwar bestehe beim Verzehr von Fleisch keine Gefahr. Langfristig begünstige jeder Einsatz von Antibiotika allerdings die Entwicklung von Resistenzen gegen Wirkstoffe und damit auch die Ausbreitung von Bakterien, gegen die es dann kein Mittel mehr gibt.

Angesichts der neuen Erkenntnisse sieht Remmel „dringenden Handlungsbedarf“ aufseiten der Bundesregierung. Trotz „vollmundiger Ankündigungen“ habe Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) noch keinen Entwurf für eine Änderung des Arzneimittelgesetzes vorgelegt, mit dem der Antibiotika-Einsatz minimiert werden könne. Auch die von der Geflügelbranche angekündigte Transparenz über die Vertriebswege sei offenbar nicht mehr als eine „Worthülse“. Laut Remmel betreiben viele Akteure ein „durchschaubares Spiel“ mit „Verharmlosen, Verschleiern und Verwässern“.

Unterstützung erhält der NRW-Minister vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Die Untersuchung in NRW offenbart eine neue Dimension der Risiken der Agrarindustrie“, sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. Da der Einsatz von Antibiotika noch immer nicht zentral erfasst oder großflächig kontrolliert werde, hätten Betreiber von Massentierhaltungen keinen Anlass, sorgfältig mit Medikamenten umzugehen. „Je schlampiger der Einsatz jedoch ist, desto eher bilden Keime Resistenzen gegen die Wirkstoffe“, sagte Weiger. Aigner müsse umgehend strengere Tierschutz- und Arzneimittelgesetze vorlegen.

Autor: Christian Wolf/ dapd
Foto: Gänse