Flensburg | Die renommierte Verfassungsrechtlerin Anna Katharina Mangold von der Uni Flensburg hat das von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnete neue Infektionsschutzgesetz als grundgesetzwidrig eingestuft. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnete heute das Gesetz zur „Bundesnotbremse“ nachdem dieses den Bundesrat passierte.

„Die Ausgangssperre ist verfassungswidrig“, sagte sie der „Bild“ (Freitagausgabe). „Die Chancen einer erfolgreichen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht sind hoch.“

Die Verfassungsrechtswissenschaft habe „unisono massive Kritik“ geäußert. Regierung und Bundestag hätten „die Kritik in den Wind geschlagen“. Das sei beispiellos.

Konkret kritisiert die Verfassungsrechtlerin, dass Bürger unter Generalverdacht stünden: „Sie müssen nun erwarten, dass die Polizei sie nachts aufgreift.“ Außerdem sei der Schutz von Ehe und Familie vor dem staatlichen Zugriff in Gefahr. „Der Staat darf nicht in das Leben einer Familie eingreifen. Das tut er aber: Durch die Ausgangssperre dürfen sich Ehepartner, die nicht in einer gemeinsamen Wohnung leben, nachts nicht mehr besuchen“, kritisierte die Juristin. Zudem bleibe vieles unklar: „Was bedeutet Spazierengehen `allein`? Dürfen Ehegatten nach 22 Uhr nicht mehr zusammen um den Block gehen oder joggen? Und: Müssen sie 1,5 Meter Abstand halten? Das ist absurd.“ Grundrechte würden zur „Auslegungssache“ der Polizei.

„Der Bürger ist in der Hand von Polizeibeamten und deren Wohlwollen. Wir sind aber kein totalitärer Staat.“ Ebenso verfassungswidrig sei, dass es keine Ausnahmen für Geimpfte und Immune gibt, kritisierte die Verfassungsrechtlerin, die ein entsprechendes Gutachten für den Verein „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ verfasst hat.

Bundesnotbremse nimmt letzte Hürde

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat das neue Infektionsschutzgesetz inklusive der Bundesnotbremse unterzeichnet. Das teilte das Bundespräsidialamt am Donnerstag mit. Nach der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt tritt das Gesetz in Kraft.

Unklar ist noch, wie angekündigte Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht ausgehen werden. Vor allem die bundesweiten Ausgangssperren sind Gegenstand der Kritik. Erst am Mittag hatte der Bundesrat grüne Licht für das Gesetz gegeben, indem er auf einen Einspruch verzichtete.

Der Bundestag hatte am Mittwoch final darüber abgestimmt. Die Novelle sieht für Gebiete, in denen an drei aufeinander folgenden Tagen eine Sieben-Tage-Inzidenz von 100 überschritten wird, eine bundesweit verbindliche Notbremse vor. Unter anderem treten dann Ausgangsbeschränkungen von 22 Uhr bis 5 Uhr in Kraft.

Ausnahmen gibt es für abendliche Spaziergänger oder Jogger zwischen 22 Uhr und Mitternacht. Voraussetzung ist, dass sie allein unterwegs sind. Der Inzidenzwert für das Verbot von Präsenzunterricht wurde auf 165 festgelegt.

Strengere Kontaktbeschränkungen sowie die Schließung von Geschäften und Freizeiteinrichtungen gehören ebenfalls zu den Maßnahmen, die durch das Gesetz geregelt werden.

Autor: dts
Foto: Legt die Polizei in Zukunft die Grundrechte aus? Symbolfoto