Berlin | Deutschlands Landkreise fordern ein Lockdown-Ende für Geimpfte. „Es ist geboten, dass die Einschränkungen zur Pandemiebekämpfung für Geimpfte rasch beendet werden“, sagte Landkreistagspräsident Reinhard Sager der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Dazu sollte auf dem Impfgipfel eine „klare Verabredung“ erreicht werden. Stimmen aus der Diskussion vor dem Impfgipfel um Lockerungen für Geimpfte.

Es dürfe auch nicht länger von „Privilegien für immunisierte Personen“ gesprochen werden. „Die grundrechtlichen Freiheiten werden nicht verliehen, sondern bestehen und dürfen im Gegenteil nur so lange eingeschränkt werden, wie es im Rahmen der Notlage erforderlich ist.“ Auch für das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung sei es wichtig, dies klar zu benennen und allen Menschen schnell Zugang zur Impfung zu verschaffen.

Um das Impftempo zu erhöhen, wünschen sich die Landkreise eine Aufhebung der Impfpriorisierung für alle Impfstoffe. Dass einige Bundesländer Astrazeneca schon für alle freigegeben hätten, sei „bereits ein richtiger Schritt. Dem sollten sich andere Länder anschließen“, so Sager.

In Verbindung mit den Impfungen in den Arztpraxen könne man mit dieser Maßnahme erneut einen großen Schritt vorankommen. „Das wäre Rückenwind für die Impfkampagne und sollte am besten für sämtliche Impfstoffe gelten.“ Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will die Impfpriorisierung erst im Laufe des Junis aufheben.

Kommunen fordern weitreichende Freiheiten für Geimpfte

Vor dem Impfgipfel am Montag hat der Städte- und Gemeindebund dazu aufgerufen, umfassende Freiheiten für Geimpfte zu ermöglichen. Man brauche eine Vorgabe, dass Personen, die beide Impfungen erhalten haben, von bestimmten Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes ausgenommen werden, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Das gelte auch für Bürger, die eine Corona-Erkrankung durchgemacht haben und nachweisbar nicht ansteckend seien.

„Dies bedeutet zum Beispiel, dass sie, etwa um Einkaufen zu können, kein Testverfahren durchlaufen müssen oder bei Einreise aus dem Ausland keine Quarantänepflicht besteht.“ Auch eine Reduzierung der Kontaktbeschränkungen, insbesondere in Alten- und Pflegeheimen, könne damit verbunden sein. Zur Kontrollierbarkeit solle „zügig der digitale Impfausweis etabliert werden“, forderte Landsberg.

„Der Abbau von Einschränkungen für geimpfte Personen kann auch dazu beitragen, dass die Impfbereitschaft generell erhöht wird. Wenn Kino, Theater, Stadion oder Veranstaltungsbesuche für Geimpfte wieder ohne zusätzliche Tests möglich sind, ist das ein wichtiges Signal.“ Der kommunale Spitzenvertreter warnte vor weiteren Verzögerungen.

Es gehe um den von der Verfassung gebotenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, so Landsberg. „Es kommt dabei auch nicht darauf an, wie viele Menschen tatsächlich bereits zwei Impfungen erhalten haben.“ Ein Vorgehen nach dem Motto „Wir warten mal ab, bis die Mehrheit der Bevölkerung ein Impfangebot erhalten hat“, wäre nach den Worten des Hauptgeschäftsführers verfassungsrechtlich sehr problematisch.

Bund will Kontaktbeschränkungen für Pflegeheimbewohner lockern

Die Bundesregierung will die Kontaktbeschränkungen für Pflegeheimbewohner deutlich lockern. Man wolle eine „soziale Isolation der Bewohner durch Corona“ vermeiden, heißt es in einer Neufassung des Eckpunktepapiers für den Impfgipfel am Montag, über die die Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Montagsausgaben) berichten. „Zwei Wochen nach der einrichtungsbezogenen Zweitimpfung können die Besuchsmöglichkeiten in Einrichtungen ohne Ausbruchsgeschehen wieder erweitert werden und wohnbereichsübergreifende Gruppenangebote wieder durchgeführt werden.“

Eine Differenzierung zwischen geimpften und ungeimpften Bewohnern solle es danach bei den Maßnahmen nicht geben. Die Einrichtungen seien jedoch gehalten, ungeimpften, zum Beispiel neuen Bewohnern, zügig zu einem Impfangebot zu verhelfen.

Niedergelassene Ärzte fordern mehr Freiheiten für Geimpfte

Deutschlands niedergelassene Ärzte fordern mehr Freiheiten für Geimpfte. „Der Impfgipfel sollte unbedingt beschließen, dass Geimpfte den Negativ-Getesteten gleichgestellt werden“, sagte Dirk Heinrich, Vorsitzender des Virchowbundes, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Von Zweifachgeimpften gehe „vermutlich ein deutlich geringeres Risiko aus als von Menschen mit negativem Schnelltestergebnis“.

Der Verbandschef warb auch für zügige Lockerungen: „Zumindest die Außengastronomie kann umgehend für negativ Getestete und Geimpfte geöffnet werden. Der Sommer naht, und an der frischen Luft finden praktisch keine Ansteckungen statt.“ Er sehe keinen Grund, die Außengastronomie länger geschlossen zu halten, solange im Biergarten und auf Café-Terrassen Abstände und die anderen AHA-Regeln eingehalten werden.

„Nichts spräche dagegen.“ Geimpfte sollten auch wieder ins Museum gelassen werden. „All das hilft schon enorm, den Lockdown-Stress abzubauen, unter dem Millionen Menschen leiden.“

Ifo-Chef: „Wirtschaftliche Vorteile“ bei Lockdown-Ende für Geimpfte

Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, hat Pläne der Bundesregierung begrüßt, Beschränkungen für gegen das Coronavirus Geimpfte zurückzunehmen. „Die Rückkehr zur Normalität für Geimpfte hätte erhebliche wirtschaftliche Vorteile“, sagte Fuest dem „Handelsblatt“ (Montagsausgabe). „Für diese Gruppe könnte wirtschaftliche Aktivität wieder stattfinden, die bislang pandemiebedingt eingeschränkt ist.“

Da oft Fixkosten mit der Öffnung entstehen, bräuchten viele Geschäfte zwar eine Mindestzahl an Kunden, um wirtschaftlich sinnvoll öffnen zu können – aber die Gruppe der vollständig Geimpften steige schnell. „Ihnen nicht zu erlauben, Restaurants oder Hotels zu besuchen würde erheblichen wirtschaftlichen Schaden anrichten“, so der Ifo-Chef. Fuest räumte ein, dass die Kontrolle der Lockerungen für Geimpfte eine Herausforderung sei.

„Das ist aber kein hinreichendes Argument, die Öffnungen zu verweigern.“ Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, riet unterdessen zu einer „sehr vorsichtigen“ Abwägung, da Menschen mit Vorerkrankungen und höherem Alter im Fall von Lockerungen durch eine Impfung früher wieder ihre Freiheiten zurückbekämen. „Wir wissen aber auch, dass das Glück und die Lebenszufriedenheit der jungen Menschen durch die Pandemie und die Einschränkungen ihrer Freiheiten deutlich stärker gelitten haben, als die für ältere Menschen“, sagte Fratzscher der Zeitung.

„Nun sollen sich diese jüngere Menschen mit eigenen Augen anschauen, wie geimpfte Menschen in Cafés sitzen, reisen können und alle ihre alten Freiheiten wieder genießen können, während sie selbst unter Androhung von Sanktionen keine diese Freiheiten haben.“ Diese Ungerechtigkeit dürfe der Staat nicht ignorieren, mahnte Fratzscher. Freiheitsrechte seien genauso essenziell für eine Gesellschaft, wie Solidarität und Zusammenhalt.

„Daher wird der Staat sehr vorsichtig abwägen müssen, welche Freiheiten er geimpften Menschen wieder ermöglicht, und welche erst dann, wenn alle sie genießen können“, sagte der DIW-Chef.

Autor: dts
Foto: Symbolfoto