Köln | Henriette Reker verknüpft Ihre Tätigkeit als Oberbürgermeisterin und ihre Aktivitäten als private und parteilose Wahlbewerberin für eine zweite Amtszeit bei der Kommunalwahl 2020 eng und nutzt dazu ihre Social Media Accounts auf Facebook, Twitter und Instagram, die sie zwischen Stadt und Wahlkampf zweimal switchte. Wie eng, das zeigt das Beispiel einer Anzeige, die das städtische Presseamt mit einem offiziellen Statement der Kölner Oberbürgermeisterin zur Corona-Pandemie in ausgewählten Kölner Medien schaltete. Für Wählerinnen und Wähler dürfte es nur noch schwer zu unterscheiden sein, in welcher Rolle sie gerade Henriette Reker begegnen: Als Oberbürgermeisterin oder Wahlkämpferin? Dabei wirft alleine schon die Anzeigenschaltung durch das städtische Presseamt Fragen auf.

Screenshot von der Facebook-Seite der Wahlbewerberin Reker

Die städtische Anzeige und der Facebook-Post auf der Seite der Wahlbewerberin

Am 25. März um 16:01 Uhr schrieb das „Team Reker“ (TR) auf der Facebookseite von Henriette Reker folgenden Post: „Henriette Rekers Appell an die Bürgerinnen und Bürger heute in den Kölner Zeitungen: ‚Ich bitte Sie von Herzen, den Kontakt mit und unter Menschen der Risikogruppe zu vermeiden oder auf das absolute Mindestmaß zu reduzieren. Im Sinne derer, die am verwundbarsten sind. Im Sinne Ihrer Liebsten.‘ TR“ Darunter abgebildet die ganzseitige Anzeige der Stadt Köln mit offiziellem Briefkopf der Oberbürgermeisterin, der offiziellen Telefonnummer der Stadt Köln und der offiziellen Info-Seite zur Corona-Pandemie im Netz der Stadt Köln. Dass es sich um eine von der Stadt Köln bezahlte Anzeige handelt, ist zumindest in dieser Darstellung nicht auf den ersten Blick erkennbar.

Die Formulierung „Henriette Rekers Appell an die Bürgerinnen und Bürger heute in den Kölner Zeitungen“ kann auf dem privaten Social Media Profil Rekers – in der Wahrnehmung eines Außenstehenden – aus der Oberbürgermeisterin die private Wahlbewerberin machen. Denn schließlich, so betonen es Stadt und Wahlkampfbüro Rekers, sei dies ja jetzt der Facebook-Account der privaten Wahlbewerberin Reker. Nach gleichlautender Aussage sowohl des Leiters des Presseamtes der Stadt Köln Alexander Vogel und des Wahlkampfkoordinators Frederik Schorn der Kölner Oberbürgermeisterin wechselte dieser Facebook-Account am 31. August 2019 von der „Verantwortung der Stadt Köln“, nachdem diese ihn im Januar 2016 von der Wahlkämpferin Henriette Reker übernahm, wieder zurück an das Rekersche Wahlkampfteam. Wertend betrachtet erscheint der Post auf dem Facebook-Account so, als habe hier die Wahlbewerberin Henriette Reker einen Appell in den Zeitungen an die Kölnerinnen und Kölner gerichtet, weiter interpretiert sogar so, als hätten die Kölner Zeitungen diesen Appell gerne redaktionell veröffentlicht: „in den Zeitungen“. Denn es fehlt in dem Posting die klare Kennzeichnung, dass es sich erstens um eine bezahlte Anzeige handelte, zweitens wer diese bezahlt hat – also die Stadt Köln – und, dass Henriette Reker in ihrer amtlichen Funktion als Kölner Oberbürgermeisterin diesen ‚Appell‘ an die Kölnerinnen und Kölner adressierte.

So warb die Stadt für eine „offenen Brief“ im Kölner „Express“

Was kosteten diese Anzeigen in drei Kölner Medien?

Zur Schaltung dieser Anzeigen sowohl digital, wie auch im Print fragte die Redaktion dieser Internetzeitung die Kosten an. Diese erschienen im „Kölner Stadtanzeiger“, der „Kölnischen Rundschau“ und dem „Express“ sowohl im Print, wie digital (Soweit der Redaktion bekannt). Alexander Vogel, Leiter des städtischen Presseamtes, beantwortete die Fragen zwar nicht im Detail, aber am 30. März, um 17:47 Uhr mit folgendem Statement schriftlich: „Bisher sind für Maßnahmen wie Pressekonferenzen, Plakate, Handzettel, Bespielung Digitaler Flächen im Straßenbild und in U-Bahnhöfen, Anzeigenschaltungen, KVB Mini-Poster, Übersetzungen, Grafiken, Druck, etc. Kosten von insgesamt ca. 114.000 Euro angefallen.“ Die spezifische Frage nach den Kosten der Medialeistung in den Zeitungen und deren digitalen Ablegern blieb damit zwar leider unbeantwortet, aber alleine die Printanzeige, die in dem Social Media Profil mit der Kaffeetasse in Szene gesetzt ist, weist nach den Mediadaten des Verlagshauses Dumont für die drei Titel „Kölner Stadt-Anzeiger“, „Kölnische Rundschau“ und „Express“ einen Seitenpreis von insgesamt Netto 58.901,40 Euro aus. Dazu kommen Buchungen für die digitale Darstellung, die leider nicht exakt beziffert werden können, da hier Kenngrößen wie TKP oder Kosten des gebuchten Advertorials und Laufzeit bekannt sein müssten.

Gut platziert auf „rundschau-online“: Städtische Anzeige neben redaktionellem Liveblog zum Corona-Geschehen in Köln

Und auch beim „Kölner Stadtanzeiger“ fand sich die immer gleichlautende Anzeige.

Wer auf die Anzeigen-Teaserboxen in allen drei Medien klickte bekam diesen Brief angezeigt.

Auf welcher rechtlichen Grundlage wurden diese Anzeigen geschaltet?

Auf welcher rechtlichen Grundlage sind diese Anzeigen digital und im Print vom städtischen Presseamt geschaltet worden? Auch die Frage, um was es sich bei diesem „Appell“ eigentlich handelt, ist interessant. Die Stadt als Kommune in NRW setzt in der Corona-Pandemie Bundes- und Landesverordnungen – etwa die Corona-Schutzverordnung – um, die Land und Bund erläutern, denn die Stadt agiert hier nicht als Gesetzgeber. Die Stadt kann natürlich als Kommune eigene Regelungen treffen und macht diese über ihre amtlichen Kommunikationskanäle und die Möglichkeiten der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bekannt.

Es handelte sich in diesem Fall um eine Mitteilung der Oberbürgermeisterin der Stadt Köln, die gleichlautend auf der offiziellen Internetpräsenz der Stadt unter www.stadt-koeln.de veröffentlicht wurde. Eine Regelungswirkung wird man dieser Mitteilung der OB nicht zuschreiben können. In der Facebookpräsenz von „koeln.de“, die die Stadt gemeinsam mit dem städtischen Unternehmen betreibt, mit annähernd 560.000 Abonnenten teilte die Stadt diese offizielle Mitteilung, nach einer heutigen Recherche, nicht. Warum bezahlte die Stadt Köln für diese Anzeigen Geld, wo die Oberbürgermeisterin, doch viele andere Kanäle hat: Die städtische Seite, koeln.de, die sozialen Netzwerkseiten der Stadt Köln und nicht zuletzt die medienneutrale Pressekonferenz?

Der gleiche Brief wurde auch auf der städtischen Internetseite veröffentlicht.

Greift die Stadt in den wirtschaftlichen und publizistischen Wettbewerb der freien Presse ein?

Die Stadt kaufte Medialeistung beim Verlagshaus DuMont ein (dies ist der Redaktion bekannt), das auch die „Kölnische Rundschau“ vermarktet, in einer Phase in denen Medienhäusern in ganz Deutschland die Anzeigenerlöse wegbrechen. Selbst große Medienhäuser denken über Kurzarbeit nach, wie etwa der „Spiegel“ oder „Axel Springer“, um nur zwei zu nennen. Die Presse ist in Deutschland (anders als der Rundfunk) ausschließlich privatwirtschaftlich organisiert und dieser Teil, soll sich im wirtschaftlichen und publizistischen Wettbewerb messen. Das gibt das Grundgesetz und diverse Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vor. Einem Wettbewerb, der zumindest im Anzeigengeschäft in der Phase eines Lockdowns für viele Medienhäuser, nicht mehr stattfinden kann, da geschlossene Unternehmen oder etwa Kultureinrichtungen, trotz hoher publizistischer Aufmerksamkeit für Zeitungen und Nachrichtenportale, keine Anzeigen mehr schalten. Wie kann sich ein publizistischer Wettbewerb entwickeln, wenn die Stadt Köln einseitig in einigen Medien Anzeigen schaltet und damit einzelnen Verlagen einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft? Dabei müsste sich doch eigentlich gerade das Presseamt in dieser Hinsicht neutral verhalten. Hier ist zu hinterfragen, wer diese Entscheidung letztendlich traf. Unwahrscheinlich dürfte sein, dass Oberbürgermeisterin Henriette Reker von dieser Anzeige, die sie persönlich und ihr Statement betraf, nichts wusste. Auch die Frage warum, wenn dieser Appell so wichtig ist, nicht ein Weg gesucht wurde, alle Kölnerinnen und Kölner zu informieren, etwa durch eine Postwurfsendung an alle Kölner Haushalte, stellt sich in diesem Zusammenhang? Denn die Schaltung von Anzeigen in drei Kölner Medien erreicht noch lange nicht alle Kölnerinnen und Kölner.

Eine Bewertung der Kommunikationsmuster des Team Reker

Es sei der Versuch einer ersten Analyse der Kommunikationsmuster gewagt: Kölns Oberbürgermeisterin ist Henriette Reker. In ihrer Amtsfunktion richtete sie den Appell an die Kölnerinnen und Kölner und die Stadt erbrachte eine Geldzahlung für die Medialeistung. Anstatt nun in den sozialen Netzwerken, die Reker als Wahlbewerberin betreibt, dies korrekt darzustellen, nutzt Reker und ihr Team, hier nur noch den Namen der Bewerberin, ordnet die Rollenverteilung nicht ein. Das ist prinzipiell nicht falsch, denn Kölns Oberbürgermeisterin ist Henriette Reker. Dieser sprachliche Trick lässt vor allem eines vermissen: Eindeutigkeit in welcher Rolle Reker öffentlich kommuniziert. In dem Moment aber, indem die Stadt Köln Steuergeld für Marketingmaßnahmen ausgibt, ist es nicht falsch von der höchsten Repräsentantin dieser Stadt Eindeutigkeit und Transparenz einzufordern.

Sonst kann in der öffentlichen Wahrnehmung aus einer durch die Stadt Köln bezahlten Anzeige eben mal ein „Appell“ der Wahlbewerberin Henriette Reker an die Kölnerinnen und Kölner werden. Dabei ist es wichtig zu ergründen, ob diese Form der sprachlichen Kommunikation einem Muster folgt und ob diese Vermischung zwischen Amtsfunktion und Wahlbewerberin auf den Social Media Kanälen der parteilosen Kandidatin schon länger vorkommt, auch in der Zeit, als die Stadt Köln 44 Monate lang die Verantwortung für die privaten Accounts trug und dafür Leistungen einkaufte, analysiert ein Artikel morgen in dieser Internetzeitung.

Weitere Artikel zum Thema:

Henriette Reker verwirrt mit Amt und Wahlkampf in den Sozialen Netzwerken

— — —

Antworten und neue Fragen zu den Social Media Accounts von Henriette Reker

— — —

Aufschlussreich – Die Facebook-Abonnenten in Kölns Politik

Autor: Andi Goral
Foto: Der Screenshot zeigt ein Posting auf der Facebookseite der parteilosen Kandidatin um das Amt der Oberbürgermeisterin bei der Kommunalwahl 2020 und amtierenden Oberbürgermeisterin Henriette Reker.