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Köln | Kommentar | Die Kölner Polizei hat heute rund 30 Minuten vor dem angekündigten Ende des nicht angemeldeten Konzertes und der damit verbundenen Blockade der Zufahrt zum Bundesamt für Verfassungsschutz durch die Musiker der „Lebenslaute“ aufgelöst. Alles lief friedlich ab. Aber warum erträgt es ein Staat nicht, wenn seine Bürgerinnen und Bürger mit einem Konzert für fünf Stunden eine Autozufahrt blockieren und die Frage nach der Abschaffung einer Behörde stellen, die einen mehr als zweifelhaften Ruf genießt, nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex. Es kommentiert Andi Goral.
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Die Berichterstattung über die Blockade vor dem Bundesamt für Verfassungsschutz von report-K >
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NRW-Innenminister Reul dürfte dies gefallen, der von seinen Beamten ein robusteres Auftreten fordert und die NRW-Polizei von ihrer bisherigen „NRW-Linie“, dem seit den 1980er Jahren geprägten Leitbild „Leitlinie für den bürgernahen Einsatz der Polizei“ wegführen will. Vor allem in den Einsatzhundertschaften, in denen die jüngeren Beamten Dienst schieben, merkt man, dass die Botschaft nach einem schärferen Auftreten aus dem NRW-Innenministerium ankommt. Merklich aggressiver gehen sie vor und wollen durch martialisches Auftreten punkten. Erst am Samstag sind sie mit Härte gegen eine Gruppe linker Demonstranten vorgegangen, die jetzt rechtliche Schritte gegen die Beamten und das Vorgehen der Kölner Polizei prüfen will.

Die Polizei ist zur Verhältnismäßigkeit verpflichtet

Heute also die Gruppe „Lebenslaute“. Menschen die sich seit 1986 politisch und vor allem friedlich engagieren. Musik mit politischem Protest verbinden und so politische und damit demokratische Fragen aufwerfen. Seit fünf Jahren seien die Protestaktionen, die in der gesamten Bundesrepublik stattfinden, nicht mehr aufgelöst worden, sondern die Konzerte, auch die nicht angemeldeten, konnten zu Ende gespielt werden. Heute in Köln-Chorweiler war dies anders. Da tragen Polizeibeamte Cellisten, Sängerinnen, Gitarristen oder Violinistinnen weg, rund 30 Minuten bevor das Konzert beendet ist. Warum? Weil diese unter dem Motto „Mit Suite und Kantate gegen den Staat im Staate“ protestieren und die Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz nicht in die Tiefgarage fahren können?

Wie verstrickt waren die Verfassungsschützer in den Rechtsterror?

Protest gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz, dessen Rolle und Verstrickung in den Rechtsterror der NSU immer noch nicht lückenlos aufgeklärt ist. Und dass, obwohl Bundeskanzlerin Angela Merkel 2012 den Hinterbliebenen der Opfer des NSU-Terrors versprach: „Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Daran arbeiten alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck. Das ist wichtig genug, es würde aber noch nicht reichen. Denn es geht auch darum, alles in den Möglichkeiten unseres Rechtsstaates Stehende zu tun, damit sich so etwas nie wiederholen kann.“ Aber hat der Staat alles aufgeklärt? Eine legitime Frage.

Legitime Aktionen

Bürgerinnen und Bürger in einer Demokratie müssen staatliche Organe hinterfragen dürfen. Sie müssen ihren Protest, ihre Fragen und Suche nach Antworten formulieren und zum Ausdruck bringen können. Das ist gelebte Demokratie. Menschen, die „We shall overcome“ singen und Polizeibeamten nicht nur „We shall live in peace…“ entgegensingen, sondern auch „We are not afraid“, die mit ihrem Megaphone mitten in die Musik ihre Auflösungsverfügung brüllen, sind Demokraten, keine Straftäter. Dorothea von der „Lebenslaute“, eine mutige und kämpferische Frau, bringt es auf den Punkt: „Unsere Aktionen sind vielleicht nicht immer ganz legal, aber sie sind legitim“. Genau diese Frage nach der Legitimation von staatlicher Gewalt gegenüber den Bürgern des Staates muss offen geführt werden können. Und sie kann nur in den strittigen Grenzbereichen geführt werden. Die können auch einmal symbolisch sein, wie etwa ein Konzert an der Grenze des Schlagbaums, zwischen Behördenterrain und öffentlich zugänglichem Boden.

Die Behörden sollten wieder souveräner reagieren

Hier muss aber nicht nur eine Polizeibehörde oder die in Frage gestellte Behörde des Bundesamtes für Verfassungsschutz souverän reagieren, sondern die Politik, die die Richtung vorgibt, ist gefragt. Diese muss diesen friedlichen Protest ermöglichen und ihn tolerieren. Wer musizierende Demonstranten kriminalisiert, vermittelt ein falsches Bild. Nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch gegenüber den jungen Polizeibeamten der Einsatzhundertschaften. Hier sind die Führungskräfte der Kölner Polizei und das Innenministerium NRW gefordert, die richtige Form der Verhältnismäßigkeit zu vermitteln, auch wenn formaljuristisch die Behörde im Recht ist. Das vor allem ältere Beamte mit der Entscheidung zur Räumung nicht ganz konform gingen, zeigt auch, dass die Gruppe „Lebenslaute“ nach der Räumung auf der Wiese vor der Behörde weiter musizieren durfte.

Wenn die ausführenden Behörden dies aber nicht können, ist die Politik gefordert. Was die schwarz-gelbe Landesregierung will, zeigte Reul schon mehrfach auf. Spitzel-Tankwarte und LKW-Fahrer und eine scharf agierende Polizei, die robust arbeitet. Die Oppositionsparteien im Landtag sind gefordert, die Entwicklung sorgfältig und genau zu beobachten sowie rechtzeitig sich gegen die Law and Order-Fraktion zu positionieren. Vor allem vor dem Hintergrund der geplanten Verschärfung des NRW-Polizeigesetzes.

Eine wehrhafte Demokratie lebt von mutigen Bürgern, die nicht ängstlich sind und hält ihren Protest aus und setzt diese nicht ins Unrecht, weil sie es formal kann. Sondern sie greift ihren Protest und ihre Kritik auf, um die Demokratie weiterzuentwickeln. Die, so hat man den Eindruck, legt aber mit den Scharf- und Angstmachern eher den Rückwärtsgang ein. Die abgewandelte Zeile der „Lebenslaute“-Musiker des Joan Baez Klassikers lautete: „We are not afraid“. Passender kann man es nicht ausdrücken. Seien wir mutig, treten den Angstmachern offen entgegen und bestärken die, die ängstlich sind. Auch so kann man sich gegen Populisten positionieren. So wie die Aktivisten der „Lebenslaute“.

Autor: Andi Goral