Köln | aktualisiert | Das was jedes Youtube-Sternchen mittlerweile im Kinderzimmer beherrscht, Inhalte streamen, ist für die Stadt Köln immer noch ein digitales Problem mit mehr als sieben Siegeln. Nicht nur, dass die Stadt Köln den Livestream zensiert, wenn etwa Protest auf der Zuschauertribüne laut wird und einfach Bild und Ton abschaltet, auch der Start des Streams wird nicht mit dem Beginn der Ratssitzung in Bild und Ton synchronisiert. Minutenlang kein Ton, etwa wenn die Tagesordnung beschlossen wird.

Schon der Start misslingt immer

Es war die letzte Ratssitzung vor der Sommerpause. Viele Entscheidungen standen an. Termin: 14:00 Uhr. Ein pünktlicher Start der Ratssitzung gelingt eigentlich nie, das akademische Viertelstündchen ist Brauchtum der Ratspolitiker und städtischen Verwaltung. Zwischen 14 und 14:15 Uhr verharrte und beharrte auch heute wieder die Vorschaltgrafik des Livestreams auf der Behauptung, die Ratssitzung beginne um Punkt 14 Uhr. Wozu auch den Zuschauern erklären, dass die Kölner Ratspolitikerinnen und Politiker auf ihr Viertelstündchen beharren?

[infobox]Michael Frenzel, SPD Ratsfraktion, machte die Redaktion darauf aufmerksam, dass für die Sitzungseröffnung ausschließlich die Oberbürgermeisterin Reker zuständig und verantwortlich ist und nicht, wie report-K schrieb, dass die Ratsmitglieder dies als Brauchtum ansehen. Frenzel weiter: „Wir Ratspolitiker haben auf den pünktlichen Sitzungsbeginn keinen wirklichen Einfluss und können jedenfalls nicht „beharren“. Wir dürfen sitzungsleitende Maßnahmen und Entscheidungen der Vorsitzenden in der Ratssitzung streng genommen nicht einmal erörtern. Für viele Ratsmitglieder sind die Verspätungen eher ärgerlich.“

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Der erfahrene Livestream-Vielseher kennt dieses Phänomen und stellt sich genüßlich vor, wie wohl die Frischlingszuschauer gerade nach Fehlern suchen, warum der Stream nicht startet. Wahrscheinlich klettern sie auf Leitern um an die W-Lan-Box zu kommen, um diese zu rebooten oder suchen zwischen Wollmäusen und den Ethernetkabeln nach Verbindungslücken. Vielleicht ruft noch jemand bei der Telekom oder Netcologne an und fragt verzweifelt nach stadtweiten Internetstörungen. Der Phantasie an Bildern sind da keine Grenzen gesetzt. Dabei wäre es so einfach: Anmoderieren und erklären, dass es noch ein wenig dauert, bis der Livestream startet.

Ohne Ton ist alles nichts

Und dann ist es da. Das Bild. Entschuldigung, das statische Bild. Oberbürgermeisterin Henriette Reker vor ihren beiden Mikrofonen mit den roten Positionslichtern. Gut, das statische Bild ist nicht wirklich aufregend, aber es lenkt ja auch nicht so von der wirklich wichtigen Nachricht ab: Dem gesprochenen Wort. Aber auch das war heute in den ersten Minuten nicht zu hören. Jetzt fragt man sich, wie viele der Zuseher wohl Sprache durch Lippenlesen übersetzen können? Gerade in der wichtigen Phase, wenn die Oberbürgermeisterin die Tagesordnung bespricht, also die Punkte, die vom Rat der Stadt in der Sitzung behandelt werden – kein Ton. Ein Livestream ist ein audiovisuelles Medium – also zum Hören und zum Sehen.

Spätestens jetzt ist selbst der leidensfähigste Livestreamnutzer frustriert. Und er fragt sich, warum sagt dies keiner der Oberbürgermeisterin. Warum will die Stadt Öffentlichkeit schaffen und behandelt dann diese Öffentlichkeit wie ein Stiefkind? Und dann ist auch noch die Tribüne leer, und die Politik beschwert sich über mangelndes Interesse der Bürger. Warum startet die Oberbürgermeisterin eine Ratssitzung, wenn nicht sichergestellt ist, dass die Öffentlichkeit den Livestream auch in Bild und Ton verfolgen kann, der zuvor 15 Minuten durch eine Vorschaltgrafik brilliert? Hier ist auch die erste Bürgerin dieser Stadt gefragt, die dafür sorgen muss, dass dieser Stream zu hören und zu sehen ist und ihr das nicht als Respektlosigkeit gegenüber der Öffentlichkeit ausgelegt wird. Immerhin wird der Livestream aus öffentlichen Mitteln bezahlt.

Protest auf der Zuschauertribühne ausgeblendet

Aber nicht nur das irritiert. Als gegen 16:00 Uhr eine Gruppe aus dem Autonomen Zentrum auf der Zuschauertribüne protestiert, schaltet die Stadt Köln einfach den Livestream ab. Warum? Im Ratssaal findet in diesem Moment eine öffentliche Veranstaltung statt. Böse interpretiert ist dies als Zensur zu werten und macht deutlich warum Bürger Medienangeboten die von Organisationen und Institutionen angeboten werden, misstrauen sollten. Die Oberbürgermeisterin agiert in diesem Moment und unterbindet die Zwischenrufe von der Tribüne, die nach der Geschäftsordnung des Rates nicht zulässig sind. Dies muss auch die Öffentlichkeit im Livestream zumindest hören und nicht mit einer Grafik „Die Ratssitzung ist unterbrochen“ ausgeblendet werden. Der Ton wird und war natürlich auch wieder ausgeschaltet.

Es gibt immer wieder Initiativen von einzelnen Ratsgruppen die den Livestream verbessern und mit allem möglichen Schnickschnack aufwerten wollen. Viel wichtiger wäre allerdings, dass die Stadt Köln und der Rat zunächst die einfachsten Regeln beherrscht und die Ratssitzung von Anfang bis Ende der öffentlichen Sitzung mit Bild und Ton sendet und nicht zensiert sowie diesen sinnvoll und vernünftig – gerne auch durch Texttafeln – moderiert. Also den Bürger, der digitale Medien nutzt, genauso ernst nimmt, wie den analogen Zuschauertribünensitzer.

Autor: Andi Goral
Foto: Screenshot der städtischen Grafik für den Livestream der Ratssitzung