Köln | Das NRW Landeskabinett verabschiedete vor kurzem einen Gesetzentwurf zur Reform der Abschiebehaft und meint damit vor allen die Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (UfA) in Büren. Report-K bat Gastautor Klaus Jünschke, der bis vor kurzem im Beirat der JVA Ossendorf tätig war und sich intensiv mit dem Thema in mehreren Schriften als Autor, etwa in „Ausgegrenzt, eingesperrt und abgeschoben: Migration und Jugendkriminalität“ und anderen, um eine Einschätzung. Klaus Jünschke sagt: „Freiheit ist ein Menschenrecht“ und stellt fest, dass aus NRW mehr Menschen abgeschoben wurden, als selbst aus Bayern, in dem die CSU regiert. Der Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.“ kritisiert die Haftbedingungen und berichtet von einem Mann aus Georgien, der sich erst im Juni in der Haft erhängte.

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Das plant das Land

Die Landesregierung will die UfA in Büren ausbauen und begründet dies mit Handlungsbedarf bei den Bedingungen für die Unterbringung von gefährlichen Personen. Das Land passe zudem, so Flüchtlingsminister Stamp, FDP, die Landesgesetze an Bundesgesetze an. So will die schwarz-gelbe Landesregierung unter anderem bei gefährlichen Personen präventiv die Freiheitsrechte einschränken, Gefangene dürfen nur noch Mobiltelefone ohne Kamerafunktionen besitzen, Bargeld wird verboten und deren Hafträume dürfen durchsucht werden, auch wenn die Gefangenen nicht anwesend sind. Die Hafträume sollen mehrfach belegt werden können und wenn nicht genügend Justiz-Personal zur Verfügung steht, die Ruhezeiten flexibel ausgedehnt werden können. Zudem will die Landesregierung bereits pensionierte Beamte einsetzen.

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Klaus Jünschke: „Freiheit ist ein Menschenrecht“

Unmittelbar nach Ende der Münchner Räterepublik verschärften am 25. Mai 1919 die Ministerien für Inneres und militärische Angelegenheiten in Bayern das geltende Fremdenrecht unter der Maßgabe einer Revolutionsprävention. Mit diesen Änderungen in Bayern wurde der Grundstein für die heutige Abschiebehaftpraxis und das heutige Ausländerrecht gelegt.

In der 1938 von den Nationalsozialisten verabschiedeten „Ausländerpolizeiverordnung“ fand die bayrische Regelung im § 7 Eingang: „Der Ausländer ist (…) durch Anwendung unmittelbaren Zwanges aus dem Reichsgebiet abzuschieben, wenn er das Reichsgebiet nicht freiwillig verlässt oder wenn die Anwendung unmittelbaren Zwanges aus anderen Gründen geboten erscheint. Zur Sicherung der Abschiebung kann der Ausländer in Abschiebehaft genommen werden.“ Diese Regelung der Ausländerpolizeiverordnung galt in Westdeutschland unverändert bis 1965.

Durchgeführt wurde Abschiebungshaft teilweise in Gefängnissen für den Strafvollzug, in Untersuchungshaft oder in Polizeigewahrsam.

Von 1965 bis 2004 regelten die beiden Ausländergesetze die Abschiebehaft: Das Gesetz von 1965 in § 16 und das Gesetz von 1990 in § 57. Seit 2005 gilt in der Bundesrepublik Deutschland das Aufenthaltsgesetz. Darin regelt § 62 die Abschiebehaft.

Die JVA Büren wurde 1994 in der ehemaligen NATO-Kaserne Stöckerbusch eingerichtet. Es gab 384 Haftplätze für Abschiebegefangene und 131 Haftplätze für Strafhaft. Damit war sie die größte Abschiebehaftanstalt Westeuropas. Im selben Jahr wurde der Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.“ gegründet, um die Menschen in der Abschiebehaft Büren zu unterstützen und für die Abschaffung der Abschiebehaft einzutreten. http://www.gegenabschiebehaft.de/hfmia/menue-oben/home.html

Am 17.7.2014 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Grundsatzurteil (Az.: C-473/13) gefällt: das Trennungsgebot verbietet eine gemeinsame Unterbringung von Straf- und Abschiebegefangenen. Die Entscheidung hat das vorläufige Ende der Abschiebehaft in der JVA Büren bewirkt. Im Mai 2015 kam es zur Wiedereröffnung als reine Abschiebehaftanstalt mit 100 Plätzen. Sie heißt seither „Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (UfA).“

Anfang Juni 2018 hat sich ein 41-jähriger Georgier in Abschiebehaft in Büren erhängt. In Gedenken an den Verstorbenen fand am Freitag, den 08.06.2018 eine Mahnwache vor der Abschiebehaftanstalt Büren statt. In der Presseerklärung des Vereins „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.“ heißt es „Erneut starb ein Mensch in der Abschiebehaft im westfälischen Büren. Anders als in der Vergangenheit hat die Einrichtungsleitung diesmal versucht, den Vorfall möglichst geheim zu halten. Daher sind bisher die genauen Umstände des Todes bisher noch nicht bekannt.“

In der Presseerklärung des Vereins heißt es weiter: „Die Medien berichteten kürzlich über die große Not der Gefangenen und Fälle akuter Suizidalität. Auch die Anzahl der Inhaftierten in Isolierhaft hat in den letzten zwei Jahren stark zugenommen. Aber anstatt dringend notwendige psychologische Betreuungsangebote zu schaffen, wurden die Aufschluss- und Hofzeiten rechtswidrig gekürzt und Isolierhaft stark ausgebaut.“ So kritisiert Frank Gockel, der Sprecher des Vereins weiter: „Bereits für kleinste Vergehen oder bei psychischen Erkrankungen werden die Betroffenen oft monatelag in Einzelzellen isoliert, teilweise wird ihnen jegliche Form von Kontaktmöglichkeit und Freizeitgestaltung weggenommen.“ Der Verein kritisiert bereits seit längerem, dass die Anstaltsleitung nicht bereit ist, NGO´s in einem angemessenen Rahmen mit den Inhaftierten reden zu lassen. “Stattdessen sind Gesetzesverschärfungen geplant, welche nur den Druck auf die Gefangenen weiter erhöhen sollen. Dies kann dazu führen, dass die Anzahl der Suizidversuche künftig zunehmen werden“.

Die geplanten Gesetzesverschärfungen ließen nicht lange auf sich warten.

Das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration von NRW teilte am Dienstag, den 10.7.2018 mit: „Neben dem Ausbau der Einrichtung von derzeit 140 auf 175 Plätze sind umfassende gesetzliche Änderungen notwendig, um den gestiegenen Anforderungen an den Abschiebungshaftvollzug gerecht werden zu können. Die Sicherheitsanforderungen an die Einrichtung in Büren haben sich in den zurückliegenden Jahren durch den deutlichen Anstieg Ausreisepflichtiger, das verbesserte Rückkehrmanagement des Landes, neue Maßstäbe nach dem Fall Amri und der Unterbringung gefährlicher Personen deutlich gewandelt. Der Gesetzentwurf beinhaltet drei Schwerpunkte: Unterbringung gefährlicher Personen; es gibt ein neues Zugangsverfahren bis zu einer Woche, um spezielle Bedürfnisse Untergebrachter besser zu beurteilen und die Möglichkeiten zur Gefährdungseinschätzung zu optimieren; bei gefährlichen Personen können präventiv Freiheitsrechte innerhalb der Unterbringungseinrichtung eingeschränkt werden, z.B. Einschränkung der Handynutzung oder des Zugangs zum Internet; gefährliche Personen können in besonderen Gewahrsamsbereichen unter Beschränkung ihrer Freiheitsrechte untergebracht werden.“ Von den vom Unterstützerverein geforderten Einstellungen von Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen ist in der Mitteilung der Landesregierung nicht die Rede. Das zusätzliche notwendige Personal für die Bewachung der Eingesperrten soll unter Polizeivollzugs- und Justizvollzugsbeamte im Ruhestand gefunden werden. Der nordrhein-westfälische Flüchtlingsrat kritisiert, dass sich der Abschiebevollzug mit den beschlossenen Verschärfungen dem Strafvollzug annähert.

Die jetzt beschlossenen Verschärfungen im Abschiebewettbewerb setzen nur fort, was unter der rot-grünen-Landesregierung in Gang kam. Sie hatte vor ihrer Abwahl betont, dass Nordrhein-Westfalen im bundesweiten Vergleich führend ist. Im Jahr 2017 wurden aus NRW 6308 Personen abgeschoben – mehr als aus anderen Bundesländern, sogar mehr als aus Bayern, in dem Seehofers CSU regiert. Von Januar bis Ende Mai dieses Jahres gab es 2905 Abschiebungen aus NRW.

Autor: Gastautor: Klaus Jünschke, ag