Köln | Das Gesetz zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2013/2014 sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen vom 16. Juli 2013 ist teilweise verfassungswidrig. Es verstößt gegen das in der Landesverfassung ebenso wie im Grundgesetz garantierte Alimentationsprinzip, soweit die Besoldungsgruppen ab A 11 betroffen sind. Dies hat der Verfassungsgerichtshof mit heute verkündetem Urteil entschieden. Das Urteil betrifft sowohl aktive als auch im Ruhestand befindliche Beamte und Richter, insgesamt etwa 80 % der Amtsträger des Landes.

Der Verfassungsgerichtshof hat zum besseren Verständnis einen Fragen und Antwortkatalog erstellt, den wir am Ende im Original dokumentieren.

Dem Wortbruch folgt Verfassungsbruch

„Der Bund Deutscher Kriminalbeamter sieht sich nachträglich darin bestärkt, bei den Oppositionsparteien des NRW-Landtages die Normenkontrollklage maßgeblich initiiert zu haben, die nun zum heutigen Richterspruch und der Feststellung der Verfassungswidrigkeit geführt hat“, resümiert der Landesvorsitzende und stellvertretende Bundesvorsitzende des BDK, Sebastian Fiedler, in einer ersten Stellungnahme zum heutigen Richterspruch des NRW-Verfassungsgerichtshofs.

„Es muss sich endlich wieder in den Köpfen aller Politiker in den Ländern festsetzen, dass die Kernaufgaben des Staates zuerst zu erfüllen und zu bezahlen sind und politisch Wünschenswertes danach. Der Bürger zahlt seine Steuern unter anderem für eine funktionierende Polizei, für eine effektive und effiziente Justiz und Finanzverwaltung. Hierauf hat er ebenso einen Anspruch, wie die dort tätigen Beamten auf eine verfassungsgemäße Besoldung. Da sie nicht streiken dürfen, müssen sie sich darauf verlassen dürfen, dass Ihre Besoldung nicht von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt wird.“ stellte Sebastian Fiedler unmissverständlich fest. NRW-Finanzminister Walter-Borjans muss folgerichtig nun nachzahlen.

Verfassungsgerichtshof schafft Klarheit bei Beamtenbesoldung

Finanzminister Norbert Walter-Borjans: Gesetz wird zeitnah angepasst

Der Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen hat zum Gesetz zur Beamtenbesoldung für die Jahre 2013 und 2014 das Urteil gesprochen. Finanzminister Norbert Walter-Borjans: „Der Verfassungsgerichtshof hat heute Klarheit bei der Abwägung von den Grundsätzen der Beamtenbesoldung und den Erfordernissen der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse geschaffen. Er hat bestätigt, dass die Landesregierung nicht automatisch die Tarifergebnisse der Angestellten 1:1 auf die Beamtinnen und Beamten übertragen muss und dass nicht alle Besoldungsgruppen grundsätzlich gleich an den Erhöhungen zu beteiligen sind. Es ist aber nicht unserer konkreten Ausgestaltung der gestaffelten Anpassung der Beamtenbesoldung für 2013 und 2014 gefolgt. Die Landesregierung wird sich intensiv mit den Vorgaben des Verfassungsgerichts befassen und das Gesetz zeitnah anpassen. Dabei werden wir auch die Gewerkschaften einbeziehen.“

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Fragen und Antworten zum Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 1. Juli 2014 (VerfGH 21/13)

Originaltext des Verfassungsgerichtshofes kursiv gesetzt

1. Welche gesetzlichen Vorschriften hat der Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erklärt und was bestimmen diese Vorschriften?

Der Verfassungsgerichtshof hat Art. 1 §§ 2 Abs. 1 und 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2013/2014 sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen vom 16. Juli 2013 (Gesetz- und Verordnungsblatt NRW 2013, S. 486, www.recht.nrw.de) für verfassungswidrig erklärt, soweit die Besoldungsgruppen A 11 bis A 16 sowie die Besoldungsordnungen B, C, H, R und W betroffen sind.

Mit diesen Vorschriften hat der Gesetzgeber die Grundgehälter der Beamten und Richter gestaffelt nach Besoldungsgruppen erhöht. Die Grundgehälter der Besoldungsgruppen A 2 bis A 10 sind entsprechend dem Ergebnis der Tarifverhandlungen für die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst für die Jahre 2013 und 2014 um insgesamt 5,6 % angehoben worden. Für die Besoldungsgruppen A 11 und A 12 beträgt die Erhöhung der Grundgehälter insgesamt 2 %, für alle anderen Beamten und die Richter ist keine Erhöhung der Grundgehälter vorgesehen. Weitere Bestandteile der Besoldung, wie z.B. der Familienzuschlag, sind für alle Beamten und Richter einheitlich um 5,6 % erhöht worden. Das Grundgehalt macht den bei weitem größten Teil des Einkommens der Beamten und Richter aus. Diese Regelungen galten sowohl für in einem aktiven Dienstverhältnis stehende als auch für im Ruhestand befindliche Beamte und Richter. Kennzeichnend für die gestaffelte Anpassung ist, dass sie sich auch bei weiteren Besoldungsanpassungen fortsetzt, sofern der Gesetzgeber keine Korrekturen vornimmt.

Die Besoldungsordnungen A und B setzen die Besoldung für die Beamten mit Ausnahmen der Professoren und Staatsanwälte fest. Die Besoldungsordnungen C, H und W gelten für Professoren, die Besoldungsordnung R gilt für Richter und Staatsanwälte.

2. Wer ist durch die für verfassungswidrig erklärten Vorschriften betroffen?

Betroffen sind alle Beamten ab Besoldungsgruppe A 11 sowie Richter und damit etwa 80 % der Amtsträger des Landes. Die Vorschriften beschränken sich nicht auf Spitzenämter, sondern erstrecken sich auf sämtliche Ämter des höheren Dienstes und mit den Besoldungsgruppen A 11 und A 12 auch auf einen Großteil der Beamten des gehobenen Dienstes. Unter diese beiden Besoldungsgruppen fallen z.B. Hauptkommissare im Polizeidienst und zahlreiche Lehrer sowie aus dem Bereich der allgemeinen Verwaltung die Ämter mit den Amtsbezeichnungen „Amtmann“ und „Amtsrat“.

3. Aus welchem Grund hat der Verfassungsgerichtshof die nach Besoldungsgruppen gestaffelte Anpassung der Bezüge für verfassungswidrig erklärt?

Die mit der gestaffelten Anpassung der Bezüge verbundene Ungleichbehandlung von Angehörigen der Besoldungsgruppen A 2 bis A 10 einerseits und Angehörigen der übrigen Besoldungsgruppen andererseits verstößt evident gegen das Alimentationsprinzip (dazu Frage 8), einen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums (dazu Fragen 6 und 7). Da der Gesetzgeber für die Besoldungsgruppen A 2 bis A 10 eine Erhöhung der Besoldung um 5,6 % für sachgerecht gehalten hat, durfte er die Erhöhung der Grundgehaltssätze für die Besoldungsgruppen A 11 und A 12 nicht auf 2 % beschränken und jedenfalls nicht schon ab Besoldungsgruppe A 13 auf jede Erhöhung verzichten.

Grundsätzlich ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Bezüge der Beamten und Richter an eine positive Entwicklung der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse anzupassen. Aufgrund seines weiten Gestaltungsspielraums ist er aber nicht gehalten, die Tarifabschlüsse für die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst spiegelbildlich auf die Bezüge der Beamten und Richter zu übertragen; auch muss er nicht die Bezüge für alle Beamten und Richter in gleichem Umfang erhöhen. Allerdings ist er nicht befugt, eine zeitlich unbefristete gestaffelte Anpassung mit Sprüngen zwischen den Besoldungsgruppen in dem vorliegenden Ausmaß vorzunehmen.

Ein sachlicher Grund für diese Sprünge liegt nicht vor. Er ist nicht etwa darin zu finden, dass der Gesetzgeber eine Überalimentation abbauen wollte. Auch konnte der Gesetzgeber die deutlich geringere oder gar vollständig ausgebliebene Anpassung der Bezüge nicht mit den unterschiedlichen Auswirkungen einer allgemeinen Teuerung rechtfertigen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Sprünge zwischen den Besoldungsgruppen dem Ausmaß der jeweiligen Belastung entsprechen. Zwar ist der Gesetzgeber auch befugt, die Haushaltslage und die Vorwirkungen der „Schuldenbremse“ bei der Festsetzung der Bezüge zu berücksichtigen. Dies entbindet ihn jedoch nicht von der Beachtung des Alimentationsprinzips.Ob die überprüften gesetzlichen Bestimmungen aus weiteren Gründen verfassungswidrig sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht abschließend untersucht.

4. Was ist eine Überalimentation und welche rechtliche Bedeutung kommt ihr zu?

Eine Überalimentation liegt vor, wenn die Bezüge der Beamten und Richter über das verfassungsrechtlich Gebotene hinausgehen. Ob dies der Fall ist, ist u.a. aufgrund eines Vergleichs mit den Einkommen der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst sowie den Einkommen zu bestimmen, die für vergleichbare Tätigkeiten in der Privatwirtschaft erzielt werden. Liegt eine Überalimentation vor, darf der Gesetzgeber die Bezüge kürzen oder mit einer Anpassung hinter der Entwicklung der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse zurückbleiben, um die Überalimentation abzubauen.

Im vorliegenden Fall lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber von einer Überalimentation der Beamten ab Besoldungsgruppe A 11 sowie der Richter ausgegangen ist. Dies haben die Ausführungen der Vertreter der Landesregierung und des Landtags in der mündlichen Verhandlung bestätigt.

5. Hat die Entscheidung des Verfassungsgerichtshof zur Folge, dass die Grundgehälter rückwirkend zum 1. Januar 2013 für alle Beamten und Richter um 5,6 % zu erhöhen sind?

Nein. Das Urteil des Verfassungsgerichtshofs beschränkt sich darauf, die bisherige gesetzliche Regelung für verfassungswidrig zu erklären. Eine weitergehende Entscheidung ist dem Verfassungsgerichtshof aufgrund des Grundsatzes der Gewaltenteilung untersagt und obliegt allein dem Gesetzgeber. Dieser hat in einem Gesetzgebungsverfahren nach Prüfung der maßgeblichen verfassungsrechtlichen Vorgaben erneut über die Anpassung der Bezüge zu entscheiden.

6. Was sind die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums?

Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz bestimmt, dass das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln ist. Zu diesen Strukturprinzipien, an denen der Gesetzgeber die gesetzliche Regelung des Beamtenverhältnisses auszurichten hat, gehören neben dem Alimentationsprinzip (dazu Frage 8) u.a. auch das Prinzip der Ernennung auf Lebenszeit, das Prinzip der Hauptberuflichkeit, das Leistungsprinzip, das Streikverbot sowie die Verpflichtung zur parteipolitischen Neutralität bei der Ausübung der amtlichen Tätigkeit. Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums gelten mit einigen durch die Besonderheiten des Richteramts bedingten Modifikationen auch für Richter.

7. Warum misst der Verfassungsgerichtshof die beanstandeten gesetzlichen Regelungen an den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums, obwohl diese nicht unmittelbar in der nordrhein-westfälischen Landesverfassung geregelt sind?

Die in Art 33 Abs. 5 des Grundgesetzes garantierten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums sind auch Bestandteil der Landesverfassung. Dies folgt aus Art. 4 Abs. 1 der Landesverfassung. Nach dieser Norm sind die im Grundgesetz festgelegten Grundrechte und staatsbürgerlichen Rechte Bestandteil der Landesverfassung und unmittelbar geltendes Landesrecht. Art. 4 Abs. 1 der Landesverfassung erfasst auch Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes, der Beamten und Richtern ein grundrechtsgleiches Recht auf Einhaltung der ihre Rechtsstellung betreffenden hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums gewährt.

8. Was besagt das Alimentationsprinzip?

Das Alimentationsprinzip verpflichtet den Dienstherrn, Beamten und Richtern und deren Familien lebenslang, also auch nach Eintritt in den Ruhestand, entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards einen angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren.

Anders als die Gehälter der Arbeitnehmer sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der Privatwirtschaft werden die Bezüge der Beamten und Richter nicht durch Tarifvertragsparteien ausgehandelt, sondern einseitig vom Gesetzgeber festgesetzt. Dem Alimentationsprinzip und den sich aus diesem ergebenden verfassungsrechtlichen Vorgaben kommt auch die Funktion zu, einen Ausgleich für diese Regelungsbefugnis des Gesetzgebers sowie für das den Beamten und Richtern versagte Streikrecht zu schaffen.

VerfGH 21/13

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Autor: ag