Düsseldorf | aktualisiert | Kurz vor dem Prozessbeginn im Missbrauchsfall Lügde am Donnerstag hat Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) Versäumnisse bei den polizeilichen Ermittlungen eingeräumt.

„Der Fall Lügde wurde eindeutig unterschätzt“, sagte Reul am Mittwoch der Mediengruppe RTL. Da gebe es nichts „zu beschönigen. Es gab zwei ganz konkrete Fälle, da hätte man die Hinweise aus der Bevölkerung ernster nehmen müssen. Sie sind nicht an die Staatsanwaltschaft weitergegeben worden“, so der CDU-Politiker weiter. „Garantiert“ seien Fehler passiert. „Mir fallen nur jetzt keine konkret ein, die ich individuell zu verantworten habe. Aber ich bin natürlich verantwortlich für alles, was in der Polizei passiert“, sagte Reul. Er habe zwar vorher gewusst, dass Kinderpornografie „fürchterlich“ sei, aber als er „das erste Mal – schon vor Lüdge – im Landeskriminalamt die Filme gesehen habe“, sei es anders gewesen. „Wenn Sie das sehen und vor allen Dingen auch hören bei den Videos, dann haben Sie eine total andere Einschätzung von dem, was passiert ist, als wenn Sie es rein rational in der Zeitung gelesen haben“, so der nordrhein-westfälische Innenminister.

Zu seiner Aussage, auf dem Campingplatz jeden Stein umzudrehen, sagte er: „Das war vielleicht kein gutes Bild, weil jeder denkt, ich würde jeden Millimeter untersuchen, was objektiv gar nicht geht. Aber wir haben alles, was nach polizeilichen Möglichkeiten da ist, auch gemacht. Wir haben systematisch den Wohnwagen und alles untersucht“.

Zudem sei ein Spürhund hineingeschickt worden. „Intensiver kann man es kaum machen. Und trotzdem weiß man nicht, ob da nicht – das haben wir am Schluss gesehen – irgendeine Hütte ist, wo man denkt, die gehört nicht zu dem Mann. Aber sie gehörte doch zu dem Mann“, sagte Reul der Mediengruppe RTL. Zu den abhanden gekommenen Beweisen und möglicherweise in den Fall verstrickte Beamte, sagte er: „Dem sind wir nachgegangen. Ich habe von Anfang an darum gebeten, das ganz sorgfältig zu prüfen. Bis heute gibt es keinen ernsten Hinweis, erst recht keinen Beweis, dass in der Polizei ein System dahintersteckt.“ Ausschließen könne man nichts. „Es laufen ja auch noch Verfahren gegen Beamte beim Jugendamt und der Polizei“, so der CDU-Politiker weiter.

Opferanwalt kritisiert vor Lügde-Prozess Behörden

Der Hamelner Rechtanwalt Roman von Alvensleben hat vor dem am Donnerstag beginnenden Prozess gegen die mutmaßlichen Täter im Missbrauchsfall Lügde erneut Kritik an den Behörden geübt. Es habe genügend Hinweise auf möglichen Missbrauch gegeben, sagte der Anwalt der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (Donnerstagsausgabe). Alvensleben vertritt als Nebenkläger im Prozess mehrere missbrauchte Kinder.

„Das ganze System hat nicht funktioniert“, so der Jurist. Er sprach von „fehlendem Informationsfluss“ und mangelnder Vernetzung der Behörden – beginnend beim Jugendamt und endend bei der Polizei. „Wenn der eine Andreas V. ins System eingibt, müsste beim anderen schon automatisiert die rote Lampe aufleuchten.“

Das sei aber nicht passiert. Stattdessen habe das Jugendamt diesem sogar eine Pflegetochter zugeteilt. Das sei „unfassbar“, sagte von Alvensleben.

„Was in Lügde ist, das hätte alles nicht passieren müssen“.

Autor: dts