Düsseldorf | Die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) hat den Rechtsextremismus wieder in das Bewusstsein der Menschen gerückt. Seit knapp anderthalb Jahren sind die deutschen Sicherheitsbehörden darum bemüht, größtmögliche Entschlossenheit im Kampf gegen Rechts zu demonstrieren. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) präsentierte Ende 2011 ein Acht-Punkte-Programm. Ein Fazit daraus lautet jetzt: Neonazis haben ein weitaus größeres kriminelles Potenzial als bislang angenommen.

Statt Rechtsextremen lediglich die politisch motivierten Straftaten zuzuordnen, werden seit 2012 sämtliche Straftaten in der polizeilichen Kriminalstatistik für NRW ausgewiesen. Die ersten Ergebnisse stellte Jäger am Dienstag in Düsseldorf vor. Auf nahezu jedes politisch motivierte Gewaltdelikt der Neonazis kommen demnach zwei weitere Straftaten aus der allgemeinen Kriminalität. Die Ermittler hätten es mit „sehr komplexen Tätern“ zu tun, „die nicht nur auf Ausländer prügeln, sondern auch der Oma die Handtasche rauben“, sagte Jäger.

Für 2012 erfassten die Behörden im Bereich der politisch motivierten Kriminalität 192 Gewaltdelikte. Die Zahl der Straftaten der allgemeinen Kriminalität belief sich auf 349. Darunter fielen ein Tötungsdelikt, Körperverletzungen, Diebstähle, Sexualdelikte und Einbrüche. Die Zahl der rechtsextremen Täter betrug 556.

Umfassendes Täterbild

„Das zeigt, dass Rechtsextremisten eine Gefahr für unsere Gesellschaft sind“, sagte Jäger. Erst durch die neue Erfassung aller Straftaten werde die ganze Dimension des Rechtsextremismus deutlich und die Ermittler erhielten ein „umfassendes Täterbild“. Die von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) erst vor wenigen Tagen vorgestellte Statistik rechtsextremer Straftaten kratze hingegen „allenfalls an der Oberfläche“ und betrachte das Phänomen des Rechtsextremismus nicht in der gesamten gesellschaftlichen Tiefe.

Dass nicht nur die ostdeutschen Länder eine lebendige rechtsextreme Szene haben, zeigt auch, dass die nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden rund 800 Personen dem gewaltbereiten Lager zuordnen. Zum besonders harten Kern gehören landesweit über 170 Neonazis. Sie werden seit gut einem Jahr in einem Intensivtäterprogramm genauer in den Fokus genommen. Jedem Rechtsextremen ist dort ein fester Ermittler zugewiesen. Durch Beobachtungen, Observierungen und gezielte Gefährderansprachen sollen die Handlungsspielräume eingeschränkt werden. „Wir haben vor einem Jahr versprochen, wir treten den Neonazis auf die Springerstiefel. Und das tun wir“, sagte Jäger.

Autor: Christian Wolf, dapd