London | aktualisiert | Obwohl die Partei von Großbritanniens Premierministerin Theresa May bei der vorgezogenen Unterhauswahl ihre absolute Mehrheit verloren hat, darf die britische Regierungschefin eine neue Regierung bilden. Königin Elisabeth II. habe ihr den Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung gegeben, teilte May am Freitag in London mit. Sie wolle eine Regierung bilden, die Sicherheit für die nächsten fünf Jahre biete, sagte May.

Die neue Regierung werde das Land durch die Brexit-Verhandlungen führen. Diese sollen in zehn Tagen beginnen, was die Premierministerin noch einmal bestätigte. Auch wenn sie immer noch die meisten Sitze im Parlament haben, fehlen den Konservativen mehrere Sitze für die absolute Mehrheit von 326 Mandaten.

Gemeinsam mit der EU-skeptischen Democratic Unionist Party aus Nordirland kommen die Tories aber auf die nötige Mehrheit. Möglich wäre eine Koalition oder die Tolerierung einer Minderheitsregierung. Mit der vorgezogenen Wahl wollte May sich eigentlich den Rückhalt des Parlaments in den Brexit-Verhandlungen sichern, was ihr aber aufgrund des unerwartet schlechten Ergebnisses nicht gelang.

Stimmen aus Deutschland zur britischen Unterhauswahl

SPD kritisiert britische Premierministerin May scharf

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Niels Annen, hat die britische Premierministerin Theresa May scharf kritisiert. „Jetzt haben wir genau das, was weder Großbritannien noch die EU gebrauchen können: Unsicherheit und Instabilität während der anstehenden Brexit-Verhandlungen“, sagte Annen der „Welt“. Eigentlich müsse May zurücktreten, stattdessen wolle sie aber die Regierung bilden.

„Ihr Plan, sich durch Neuwahlen ein stärkeres Mandat zu holen, war ein klassischer Fall von Selbstüberschätzung. Damit haben die Tories zum wiederholten Male gezeigt, dass es ihnen in der erste Linie um Parteitaktik und nicht um das Wohl des Landes geht.“ Annen bezeichnete das Abschneiden der Labour Party um ihren Vorsitzenden Jeremy Corbyn bei der Wahl als „hoffnungsfrohes Ergebnis für die europäische Sozialdemokratie“.

Labour habe eine „großartige Aufholjagd hingelegt und gerade bei den jungen Wählern einen fulminanten Sieg einfahren“. Der SPD-Außenpolitiker zeigte sich zuversichtlich mit Blick auf die Bundestagswahl: Das Ergebnis von Labour zeige, „dass Wahlen erst am Wahltag entschieden werden. Das gilt auch für die Bundestagswahlen im Herbst“.

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Nouripour: Labour-Erfolg zeigt „Schwäche der Tories“

Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour, sieht den Hauptgrund für den Labour-Erfolg bei der Wahl in Großbritannien in der Schwäche der Konservativen um Premierministerin Theresa May. „Der Achtungserfolg von Labour zeigt in erster Linie die Schwäche der Tories“, sagte Nouripour der „Welt“. May habe „einen der schlechtesten Wahlkämpfe der neueren europäischen Geschichte“ gemacht.

Nouripour sagte, dass die EU darauf achten werde, dass May kein starkes Mandat für die Brexit-Verhandlungen von der britischen Bevölkerung bekommen habe. „Der Zeitplan des Brexit jedenfalls steht außer Frage“, so Nouripour.

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Bartsch erfreut über Wahlerfolg von Labour in Großbritannien

Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, hat das Wahlergebnis in Großbritannien als Bestätigung für den Linkskurs des Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn gewertet. Vor der Unterhaus-Wahl sei Corbyn als „zu links“ kritisiert worden, jetzt habe Labour sogar Mandate hinzugewonnen, sagte Bartsch am Freitag im RBB-„Inforadio“. Das sollte „in Deutschland zu Nachdenklichkeit führen“, so Bartsch.

„Nur ein dezidiert konsequentes linkes Herangehen kann dafür sorgen, dass Wählerinnen und Wähler mobilisiert werden.“ Der Spitzenkandidat der Linkspartei für die Bundestagswahl bezeichnete es außerdem als bemerkenswert, dass die rechtspopulistische Ukip bei der Wahl keinen Sitz im Unterhaus errungen hat: „Das ist auch ein Zeichen für Deutschland, dass es nicht naturgegeben ist, dass Rechtspopulisten im nächsten Bundestags sitzen.“

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Lambsdorff „ziemlich überrascht“ über Wahlergebnis in Großbritannien

Der Vizepräsident des Europaparlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), hat sich „ziemlich überrascht“ vom Ergebnis der Parlamentswahlen in Großbritannien gezeigt. Man habe in Brüssel „damit gerechnet und auch darauf gehofft, dass Frau May eine starke Mehrheit erhält, damit da Ruhe einkehrt auf der Insel und man souverän verhandeln kann“, sagte Lambsdorff dem Sender Phoenix. Jetzt stehe May „mit Torte im Gesicht vor einem wirklich katastrophalen Ergebnis“.

Für den Erfolg der Labour-Partei um Jeremy Corbyn sei eine „Gesamtgemengelage“ – unter anderem der „miserable Wahlkampf“ von Theresa May und die starke Beteiligung der jungen Wähler – entscheidend gewesen, glaubt Lambsdorff. Zudem sei die authentische Persönlichkeit Corbyns in diesem Wahlkampf ausschlaggebend gewesen: „Aber er ist schon ein wirklich linksextremer Sozialist. Gegen den wirkt Sahra Wagenknecht geradezu gemäßigt.“

Lambsdorff hält einen harten Brexit für unausweichlich: „Ich glaube, dass manche sich da Illusionen machen auf der Insel. Ein weicher Brexit hieße ja, dass wir in Europa quasi den europäischen Binnenmarkt zu Gunsten der Briten verändern. Das werden wir nicht tun“, so der FDP-Politiker.

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Röttgen hält Neuwahlen in Großbritannien für wahrscheinlich

Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, glaubt nicht, dass die neue britische Regierung unter Premierministerin Theresa May lange Bestand haben wird. „Eine Minderheitsregierung wird ein Übergang sein, in der Britannien eingeschränkt verhandlungsfähig für den Brexit ist. Baldige Neuwahlen sind wahrscheinlich“, sagte Röttgen der „Welt“.

Dass May das Votum nicht akzeptiere und geschwächt die Brexit-Verhandlungen führen wolle, „wird ihre Autorität nicht wiederherstellen“. Nach britischen Medienrichten streben die Konservativen um May eine von der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) geduldete Minderheitsregierung an. Mit Blick darauf sagte Röttgen: „Für das Verhältnis zur EU muss das nicht das Schlechteste sein. Die neue Übergangsregierung ist nicht total in den Händen der Hardliner, deren Erpressungspotenzial ist gesunken.“ Wegen der ungeklärten Mehrheitsverhältnisse im Parlament habe dort eine „offene und rationale Debatte zumindest über das Wie eines Brexit wieder eine kleine Chance“.

Autor: dts | Foto: Charlie Bard / Shutterstock.com