London | aktualisiert | Der britische Premierminister Boris Johnson hat die rechnerische Mehrheit im britischen Unterhaus verloren. Der bisherige Abgeordnete der Conservative Party, Phillip Lee, wechselte am Dienstag zu den Liberal Democrats: Bedauerlicherweise habe der Brexit-Prozess die Partei in etwas verwandelt, das einer Art Splittergruppe ähnele, in welcher der „Konservativismus“ eines Einzelnen gemessen werde an der Art, wie „rücksichtslos“ man die Europäische Union verlassen wolle, schreibt Lee in einem Brief an den Premierminister. Nach reiflicher Überlegung habe er den Entschluss gefasst, dass es ihm nicht mehr möglich sei, als Mitglied der Conservative Party im besten Interesse seiner Wähler und des Landes zu dienen, schreibt Lee weiter.

Das britische Unterhaus war am Dienstagnachmittag zu einer mit Spannung erwarteten Sitzung aus der Sommerpause zurückgekehrt. „Ich bin zuversichtlich, dass wir ein Abkommen bekommen. Nichtsdestotrotz werden wir am 31. Oktober unter allen Bedingungen die EU verlassen. Es wird kein weiteres Vertagen geben“, sagte Johnson am Dienstagnachmittag im britischen Unterhaus. Er appelliere an das Parlament, das Gesetzesvorhaben gegen einen No-Deal-Brexit „nicht zu unterstützen“, so der britische Premierminister weiter. „Wir müssen den Brexit umsetzen und das Land weiterführen“, sagte Johnson.

Rückschlag für Johnson – Weitere Brexit-Verschiebung rückt näher

Eine erneute Brexit-Verschiebung rückt ein Stück näher. Das britisches Parlament setzte am Dienstagabend mit 328 zu 301 Stimmen gegen den Willen von Premierminister Boris Johnson durch, dass am Mittwoch über ein Gesetz abgestimmt werden kann, das eine weitere Brexit-Verschiebung möglich macht. Die am Mittwoch zu beratende Gesetzesvorlage soll Johnson dazu zwingen, in Brüssel um eine Brexit-Verschiebung bis 31. Januar 2020 zu bitten, wenn nicht bis 19. Oktober ein Austrittsabkommen mit der EU ratifiziert wird – oder wenn das Parlament bis dahin einem No-Deal-Brexit zustimmt.

Johnson sagte unmittelbar nach der Niederlage im Parlament am Dienstagabend, ein solches Gesetz würde der EU die Möglichkeit geben, zu entscheiden, wann Großbritannien tatsächlich austritt. Der gesamte Prozess werde weiter verzögert. Es wird erwartet, dass der Premierminister nun seinerseits versuchen wird, Neuwahlen für den 14. Oktober anzusetzen.

Dafür sind verschiedene Strategien im Gespräch, regulär bräuchte er dafür eigentlich eine Zweidrittelmehrheit, die in weiter Ferne liegt. Johnson hat seit Dienstag nicht einmal mehr eine einfache Mehrheit: Nachdem ein Abgeordneter der Konservativen die Seiten gewechselt hat, führt der Premierminister nun auch ganz praktisch eine Minderheitsregierung an. Schon zuvor waren die „Torys“ auf eine Tolerierung durch die nordirische DUP angewiesen.

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