Köln | Prekäre Arbeitsbedingungen in der Erwachsenenbildung, Personalmangel und Überbelastung an Schulen: Die Coronakrise verschärft lange vorhandene Probleme im Bildungssystem drastisch. Nun werde auch noch Bildungsgerechtigkeit werde gegen Gesundheitsschutz ausgespielt, klagen Lehrer. Am Wochenende zeigten Lehrer, Erzieher, Uni-Dozenten und VHS-Honorarkräfte der Politik bei einer Kundgebung auf dem Hans-Böckler-Platz wortwörtlich die Rote Karte. Stellvertretend für hunderte Kollegen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, prangerten 30 Vertreter des Bildungswesen die gravierenden Missstände in teilweise drastischen Worten an. Corona sei nur ein Katalysator für bestehende Bildungsungerechtigkeiten, wie befristete Arbeitsverträge, prekäre Beschäftigung durch Honorarverträge, Personalmangel.

Vor existentiellen Problemen stehen nun vor allem die Honorarkräfte in der Erwachsenenbildung der VHS, die schon vor Corona über prekäre Beschäftigungsbedingungen klagten. „Jetzt werden wir nicht nur im Regen, sondern im Hagel stehen gelassen“, prangert eine Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache (DaF) an. „Wir haben seit Mitte März keinen Pfennig mehr bekommen“, sagt sie. Die jeweils tausend Euro Soforthilfe für März und April reichten zur Deckung der laufenden monatlichen Kosten kaum. Nicht einmal Ausfallhonorare gebe es. Die fadenscheinige Begründung: Es seien nicht genug Teilnehmer für die Kurse angemeldet gewesen. Unter normalen Umständen bedeutet dies: kein Ausfallhonorar. Dabei seien die Kurse nun allein wegen der Corona-Krise nicht zustande gekommen, sagen die Lehrkräfte. „Wovon sollen wir denn leben?“, fragt eine Rednerin sichtlich betroffen.

Beschäftigung von Honorarkräften bei der VHS ist seit langem ein Problem. Von „prekären Arbeitsbedingungen“ spricht Eva-Maria Zimmermann von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Nicht einmal Geld im Krankheitsfall gebe es. „Wie kann es sein, dass Menschen, die so wichtig für die Integrationsarbeit sind, so prekär bei der Stadt und beim BAMF beschäftigt sind?“

Der Ausfall der Kurse bedeutet jedoch nicht nur für die Lehrkräfte existentielle Bedrohung: Auch viele der Schüler von Deutschkursen hätten nur noch rund 100 Stunden, also wenige Wochen, bis zur B2-Prüfung benötigt, berichtet eine Lehrerin. Das B2-Niveau ist für viele Beschäftigungsverhältnisse Bedingung. „Viele hatten ihre Ausbildungsverträge schon auf dem Tisch, wollten endlich arbeiten dürfen, um ihre Familie zu ernähren“, sagt DaF Susanne. Wie es für sie weitergeht ist fraglich. Mit gekündigten Ausbildungsverträgen kann unter Umständen auch der Aufenthaltsstatus gefährdet sein.

Während Honorarkräfte ohne Aufträge und Einnahmen dastehen, leiden die festangestellten oder verbeamteten Lehrer und Lehrerinnen in durch Corona unter einer noch größeren Überbelastung, als zuvor. „Am Sonntag werde ich angewiesen, meinen Schülern letzte Infos für ihren ersten Tag zukommen zu lassen. Gibt es denn gar keine Grenzen mehr für meine Arbeitszeit?“, fragt ein Gesamtschullehrer. Gleichzeitig befürchten viele Lehrer ein Gesundheitsrisiko, wenn die Schule nun bald regulär weiter gehen soll – für sich selbst, als auch für eventuelle Risikogruppen aus dem Umfeld der Kinder. Arbeits- und Gesundheitsschutz würden „ad Acta gelegt“, beklagt eine Grundschullehrerin. Die Lehrer stecken in einem Dilemma: Bildungsgerechtigkeit werde gegen Gesundheitsschutz ausgespielt, prangert Eva-Maria Zimmermann an. Eine Erzieherin aus der Offenen Ganztagsbetreuung spricht aus, was viele nicht zu sagen wagen: „Wir machen das alles nur mit, weil wir Angst vor Kündigung haben“, sagt sie. „Wie sind wütend, aber wir machen es.“
Die nächste Demonstration, so hofft Rolf Haßelkus von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, findet im Herbst statt – mit weit mehr Teilnehmern.

Autor: Julia Katharina Brand