Düsseldorf | [aktualisiert] Es ist eine Premiere im Miniformat. Als erstes Bundesland bietet Nordrhein-Westfalen ab diesem Mittwoch islamischen Religionsunterricht an. Dass das Land an Rhein und Ruhr, in dem ein Drittel aller Muslime aus ganz Deutschland lebt, diese Vorreiterrolle einnimmt, scheint folgerichtig zu sein. Doch zum Start wird nicht mal einem Prozent der etwa 320.000 muslimischen Schüler die Ehre zuteil, den neuen Religionsunterricht in der Praxis zu erleben. Nur in kleinen Schritten wird die Integration im Klassenzimmer vollzogen.

Schon seit Jahren wird an nordrhein-westfälischen Schulen das Fach Islamkunde unterrichtet. Anders als der katholische oder evangelische Religionsunterricht ist die Islamkunde aber nicht bekenntnisorientiert. Das heißt, es werden keine Glaubensinhalte vermittelt. Dies soll der islamische Religionsunterricht nun ändern. Im Dezember letzten Jahres verabschiedete der Düsseldorfer Landtag mit den Stimmen von SPD, Grünen und der CDU das entsprechende Gesetz. Seitdem wurde mit Hochdruck an der Umsetzung gearbeitet.

Ein rechtliches Hindernis gab es. Denn anders als bei den christlichen Kirchen gibt es in Deutschland noch keine islamischen Religionsgemeinschaften im Sinne des Staatskirchenrechts. Für Nordrhein-Westfalen wurde deswegen ein Beirat gegründet, der bis 2019 als Übergangslösung fungiert. Das achtköpfige Gremium, besetzt mit Experten für islamische Theologie, erteilt Lehrern die Erlaubnis zum Unterrichten und wählt die Lehrpläne sowie Lehrbücher aus.

In der FDP stößt dieses Konstrukt auf Kritik. So äußert die Schulexpertin Yvonne Gebauer verfassungsrechtliche Vorbehalte. Erst wenn es mit einer anerkannten Religionsgemeinschaft auch einen legitimierten Ansprechpartner gebe, dürfe der Religionsunterricht eingeführt werden. „Für uns gilt Gründlichkeit vor Schnelligkeit“, sagt die FDP-Politikerin.

Lehrplan erst im Sommer 2013

Bei der Umsetzung des groß angekündigten Religionsunterrichts scheint es noch ein wenig zu haken. So soll der Lehrplan erst in einem Jahr fertig sein und bis dahin auf die Pläne für das weltanschaulich neutrale Fach Islamkunde zurückgegriffen werden. Unterrichtet werden sowieso erst einmal nur 2.500 Schüler in 44 Grundschulen. Und da noch keine ausgebildeten islamischen Religionslehrer zur Verfügung stehen, wird vorerst das vorhandene Potenzial der Islamkundelehrer angezapft.

40 von ihnen wurden in den vergangenen Monaten fortgebildet. Dass nicht alle Islamkundelehrer die passende Qualifikation haben, weiß auch der Zentralrat der Muslime. „Ein Teil von Ihnen verfügt nach erster Prüfung über ein sehr dürftiges Wissen vom Islam“, sagt der Zentralratsvorsitzende Aiman Mazyek. Für eine Übergangszeit könnte er sich sogar vorstellen, auch deutschsprachige Imame mit einer pädagogischen Weiterbildung unterrichten zu lassen.

Während in den Medien bereits von „rechtlichem und pädagogischem Pfusch“ sowie „Etikettenschummelei“ die Rede ist, zeigt sich NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) optimistisch. „Allen Beteiligten ist klar, dass das ein schrittweiser Prozess ist, der von unten aufwächst.“

17:04 Uhr: Zentralrat der Muslime: Mehr Studienangebote für Islamlehrer nötig

Kurz vor Beginn des bundesweit ersten islamischen Religionsunterrichtes in NRW prangert der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) eine unzureichende Lehrerausbildung an. „Es müssen zusätzliche Lehrstühle entstehen und an den Hochschulen weitere Standorte für islamische Religionslehre aufgebaut werden“, forderte der ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd. Mit den vorhandenen Mitteln sei es nicht möglich, einem Großteil der 320.000 muslimischen Schülern in ein paar Jahren einen Islamunterricht anzubieten.

Als Beispiel nannte Mazyek den Ansturm von Studienbewerbern an der Universität Münster. Zum Wintersemester 2012/13 hätten sich dort fast 420 Schulabgänger auf die voraussichtlich 120 Plätze im Studiengang „Islamische Religionslehre“ beworben. „Die Theologieausbildung muss ausgebaut werden“, verlangt der ZMD-Vorsitzende. Zum neuen Schuljahr startet in NRW der islamische Religionsunterricht. Zunächst wird der bekenntnisorientierte Unterricht nur an ein paar Dutzend Grundschulen angeboten. Da es bislang noch keine ausgebildeten islamischen Religionslehrer gibt, übernehmen vorerst Islamkundelehrer den Job.

Dass der Unterricht trotzdem schon beginnen soll, hält Mazyek für richtig. „Das Thema islamischer Religionsunterricht wurde von der Politik über Jahrzehnte hinweg sträflich vernachlässigt“, sagte er. Deshalb sei es richtig, nun zu beginnen – auch wenn es sich um einen bescheidenen Start handele.

Damit die Islamkundelehrer auch für den bekenntnisorientierten Religionsunterricht eingesetzt werden können, waren und sind laut Mazyek Weiterbildungen nötig. „Ein Teil von Ihnen verfügt nach erster Prüfung über ein sehr dürftiges Wissen vom Islam“, sagte er. Damit in der Anfangsphase aber genügend Lehrkräfte zur Verfügung stehen, fordert der ZMD-Vorsitzende auch den Einsatz von Quereinsteigern. „Ich könnte mir gut vorstellen, dass gerade in der Übergangszeit und wegen Lehrermangels deutschsprachige Imame mit einer pädagogischen Weiterbildung muslimische Kinder unterrichten“, sagte Mazyek.

Autor: Christian Wolf | dapd
Foto: Foto: Jochen Luebke | dapd