Köln | Digitalisierung, also die digitale Transformation von analogen in digitale Daten und Werte, ist in aller Munde. Am heutigen Mittwoch fand in der Kölner Wolkenburg nach zwei Jahren Pause ein weiterer Kongress des Internetverbands eco statt. Schwerpunktthema ist die Künstliche Intelligenz, kurz KI. Nach Ansicht der Organisatoren steht auch Deutschland an einem neuralgischen Punkt. Immerhin: Die Politik in Bund, Land und Stadt hat die Botschaft verstanden.

„Die Digitalisierung nimmt Fahrt auf. Es hat gerade erst angefangen“, erklärt Harald A. Summa, Hauptgeschäftsführer des eco-Verbandes. „Derzeit ist eine spannende Phase. Wir brauchen ein digitales Narrativ“, ergänzte Alexander Rabe, der als Geschäftsführer des eco-Verbandes in Berlin für die politische Überzeugungsarbeit und das Programm zuständig ist. Mit rund 300 Teilnehmern, mehr als die Hälfte der Gäste waren Nicht-Mitglieder, war der große Festsaal der Wolkenburg komplett ausgebucht. Nachdem in den vergangenen beiden Jahren der Verband andere Schwerpunkte gewählt hatte, widme man sich in diesem Jahr dem Thema Künstliche Intelligenz.

Zu den Rednern und Referenten gehörten unter anderem Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker, Netcologne-Chef Timo von Lepel und Arne Schönbohm, Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik. Lediglich die Schirmherrin des Kongresses, Staatsministerin Dorothea Bär von der Bundesregierung, musste kurzfristig absagen und präsentierte sich mit ihrer Grußbotschaft per Videoaufzeichnung.

Dorothea Bär: Der Mensch steht im Mittelpunkt

„Wir müssen das MP3-Trauma überwinden. Eigentlich gehören wir in Sachen KI zur Weltspitze und sind Gewinner der Digitalisierung“, betonte Bär in ihrer Ansprache. Tatsächlich könne Deutschland als größter Markt in Europa seinen eigenen Weg gehen und sich so von den Strategien der absoluten Markt- und Datentransparenz (USA) bzw. der Staatskontrolle via KI (VR China) abgrenzen.

Staatsministerin Bär musste aus Termingründen absagen, hatte aber eine Videobotschaft für die Anwesenden.

„Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt“, umschreibt die CSU-Politikerin den Kern der Digitalstrategie. Allerdings erhoffe sie sich noch mehr Austausch zwischen den Treibern der Digitalisierung und dem Mittelstand. „Der eco-Kongress hilft Barrieren abzubauen.“ Letztlich gehe es darum, das hohe Knowhow zum Beispiel im B2B-Bereich auf die Straße zu bringen, betonte Bär abschließend.

Henriette Reker: Wir müssen die Menschen mitnehmen und begeistern

Auch Oberbürgermeisterin Henriette Reker stellte die Bürgerschaft in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. „Die Verwaltung bewegt sich in einem Spannungsfeld. Aber auch bei der Digitalisierung wollen wir keinen zurücklassen“, betonte die erste Bürgerin der Stadt. Bereits im Jahr 2011 initialisierte sie – damals als Dezernentin für Umwelt und Soziales – das Projekt „Smart City Cologne“. Aus dem eher an den Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit orientierten Ansatz wurde ein ganzheitlich digitaler.

Henriette Reker im Gespräch mit eco-Präsident Oliver Süme.

Und mit Barcelona und Stockholm habe man sich erfolgreich um EU-Fördergelder bemüht. Inzwischen ist die Sanierung der Stegerwaldsiedlung in Köln-Mülheim als Pilotprojekt bereits realisiert. „Wenn die Bürger den konkreten Nutzen smarter Technologien sehen, akzeptieren sie das auch“, bemerkte Reker. Allerdings gehe die digitale Transformation in der Wirtschaft noch schneller voran. Die Stadt wolle dem mit einer Ausweitung digitaler Serviceleistungen, Entbürokratisierung und Datenbereitstellung (Open Data-Plattform) begegnen, und das möglichst schnell, so Reker abschließend.

Timo von Lepel: Digitalisierung lebt von der Geschwindigkeit

Tatsächlich ist es die Geschwindigkeit der Veränderungen, die den Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik als größte Herausforderung gilt. Der amtierende Geschäftsführer von Netcologne, Timo von Lepel, machte das anhand eines Charts deutlich, der die Zunahme des Datenverkehrs veranschaulichte. Exponentielles Wachstum ist zwar ein Phänomen, das es auch in der Vergangenheit gab. Man denke nur an die Entwicklung Kölns in der „Gründerzeit“ (Verfünffachung der Einwohnerzahl zwischen 1871 und 1914). Die Zunahme des Datenverkehr macht sich dagegen noch etwas dynamischer aus. Und dieser Trend wird weiter zunehmen, so von Lepel weiter.

Timo von Lepel nahm den Ball seiner beiden Vorrednerinnen auf.

Und so schreitet die Digitalisierung angefacht von drei Treibern voran. Neben den Geräteherstellern wie Apple, Samsung oder Huawei und den Diensten wie Facebook, Netflix oder Amazon spielen die Dienstleister der Infrastruktur eine überragend wichtige Rolle. Sie sorgen für den Transport der Daten und damit die Voraussetzungen dafür, dass die Digitalisierung nicht an Engpässen hängenbleibt. Bereits 2006 habe das Unternehmen Netcologne (inzwischen eine 100-prozentige Tochter der Stadtwerke Köln GmbH) mit dem Ausbau des Glasfasernetzes, insbesondere auf dem letzten Meter, begonnen.

Angesichts der technologischen Entwicklungen und möglichen Anwendungsszenarien wie Telemedizin oder Autonomes Fahren sei es notwendig, viel Geld in die Hand zu nehmen. Netcologne selbst lasse sich der Ausbau des Glasfasernetzes in den kommenden Jahren rund 100 Millionen Euro kosten. Vor allem die Kölner Gewerbebetriebe, aber auch Schulen, Wohnungen und das WLAN im öffentlichen Raum sollen damit sukzessive ausgebaut und so zukunftsfähig gemacht werden. Gerade im Bereich Schulen will Köln die erste Stadt in Deutschland werden, die alle (rund 300) Schulen an das Hochgeschwindigkeitsnetz angeschlossen haben will. „In Köln gelingt nicht alles, aber das ist uns gelungen.“

Kritische Zwischentöne

Auch wenn die Verantwortlichen die Chancen betonten, es mischten sich auch kritische Untertöne in die ersten Beiträge. Für von Lepel beispielsweise sei es selbstverständlich, dass die Arbeiten am Netzausbau auch anderen Unternehmen offen stehen. „Wir leben Pluralität“, so das Selbstverständnis von Netcologne, auch wenn das mit längeren Amortisierungsphasen zusammengehe. Auf der anderen Seite agiere der ehemalige Monopolist noch immer wie ein solcher.

Diese Kritik setzt sich fort beim Thema Vergabe der 5G-Lizenzen. Hier stößt dem Netcologne-Geschäftsführer vor allem der Wegfall der Vergabe „regionaler Lizenzen“ sauer auf. „Geopert auf dem Altar der Lobbyisten. Nein, das ist kein mutiger Kompromiss“, so seine Antwort auf eine entsprechende Frage. Die Bundesregierung habe nicht wirklich gelernt aus den Fehlern der Vergangenheit, was man am „leistungsfähigen 4G“ ablesen könne. Nicht notwendig, diesen Einwurf als Ironie zu verstehen. Auch die jüngste Entscheidung, Anbieter nicht zur Öffnung ihrer Netze verpflichten zu wollen, sei ein großer Mangel.

Die Kölner Wolkenburg ist Austragungsort. Am heutigen Mittwochabend werden hier die eco-Awards vergeben.

Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die Menge der gehosteten Daten. Zwar gebe es auch in Deutschland viele Rechenzentren und Knotenpunkte, der größte in Frankfurt am Main. Allerdings werden nach einer aktuellen Studie der EU-Kommission gerade vier Prozent aller Daten in Europa gehostet. Nicht nur der Eco-Verband fordert einen europäischen, wenn nicht sogar einen deutschen „Hyperscaler“, vergleichbar mit den großen Cloud-Anbietern in den USA wie Amazon, Google und Microsoft.

Lob für die Politik und die Dialektik der Digitalisierung

Immerhin gab es Lob für die Politik. Die Ankündigung der Bundesregierung, mittelfristig drei Milliarden Euro in die Digitalisierung zu investieren, sei „löblich“, die NRW-Landesregierung mit einem „Digitalminister“ gut aufgestellt, erläuterte eco-Geschäftsführer Rabe. Allerdings überwiege in der Digitalisierungsdebatte die „Risikobetrachtung“, wie eco-Hauptgeschäftsführer Summa aus eigener Erfahrung weiß. Ein Projekt für einen Datenspeicher von Gesundheitsdaten und deren intelligenter Verarbeitung scheiterte bereits vor Jahren an zu vielen Bedenken. Es fehle der politische Wille, letztlich aber auch die Akzeptanz, resümierte Summa weiter.

Dass Netcologne-Geschäftsführer von Lepel nur knapp eine Stunde später die Chancen der Digitalisierung gerade auch im Bereich Gesundheitswesen verortete, mag die Dialektik und den Zwiespalt der Chancen-/Risikobetrachtung wiederspiegeln. Genau hier aber entscheidet sich der Erfolg und die damit einhergehende Akzeptanz der Digitalisierung.

Für die Politik – ob kommunal oder auf Bundesebene – bedeutet das eine weitere, vielleicht die größte Herausforderung. „Wenn man es den Menschen gut erklärt, kann man sie auch mitnehmen“, formulierte es Kölns Oberbürgermeisterin Reker. Und wenn der von Staatsministerin Bär geforderte Spagat zwischen den technischen Möglichkeiten der KI und dem Grundrecht auf Selbstbestimmung (Datenschutz) gelingt, könnte sich der Standort Europa und Deutschland den USP sichern, um gegen die Großen in den USA und Fernost bestehen zu können.

Autor: Ralph Kruppa
Foto: Die Bandbreite der digitalen Themen ist vielfältig. Das wurde schon beim Auftakt des heutigen eco-Kongresses deutlich.