Köln | Die Vorwürfe zur Bildung eines Kartells gegen die deutschen Autobauer wiegt schwer und so ist eine hitzige Debatte entbrannt. Verbraucherschützer rechnen mit einer Klagewelle und Fondgesellschaften erwarten eine Erklärung. Aber auch politisch stellen sich Fragen. Hier eine Zusammenfassung der Diskussion vom heutigen Tag.

Verbraucherschützer rechnen mit Klagewelle

Angesichts der Kartellvorwürfe gegen führende deutsche Automobilhersteller erwarten Verbraucherschützer eine Klagewelle. Der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Klaus Müller, rechnet mit Zehntausenden Verfahren, in denen Autokäufer Schadenersatz für überteuerte Fahrzeuge verlangen werden: Wegen der offenkundigen Absprachen der Hersteller hätten viele Kunden einen „möglicherweise viel zu hohen Preis“ für ihre Autos gezahlt, sagte Müller der „Süddeutschen Zeitung“ (Montagsausgabe). Die Verbraucherzentrale drängt nun darauf, per Gesetz eine Musterklage möglich zu machen, damit mutmaßlich betrogene Kunden nicht einzeln vor Gericht gehen müssen, sondern sich zusammentun können. Das gehöre zu den ersten Aufgaben der künftigen Regierung nach der Bundestagswahl im September, sagte Müller der SZ.

Deka Investment will lückenlose Aufklärung

Die Kartellvorwürfe gegen die führenden deutschen Automobilhersteller rufen auch die Investoren auf den Plan: Deka Investment, die Fondsgesellschaft der öffentlich-rechtlichen Sparkassen, forderte am Sonntag „schnellstmögliche Klarheit und lückenlose Aufklärung“. Die betroffenen Automobilhersteller sollten jetzt sehr schnell aufzeigen, wie man mit den Vorwürfen umgehen wolle, sagte Michael Schmidt, Mitglied der Geschäftsführung der Deka Investment, dem „Handelsblatt“ (Montagsausgabe). Für eine Beurteilung des Sachverhalts sei es zwar noch zu früh und es sei auch wichtig, hier keine Vorverurteilung vorzunehmen, sagte der Fondsmanager.

Allerdings sollten die Verantwortlichen im Management und den Aufsichtsgremien möglichst schnell zu Beratungen zusammenkommen. „Normalerweise kann man nun Sondersitzungen des Vorstands und des Aufsichtsrats erwarten. Wir als Investoren gehen davon aus, dass die Öffentlichkeit nach diesen außerordentlichen Treffen umfassend informiert wird“, ergänzte Schmidt, der als Experte für Corporate Governance, also die gute Unternehmensführung, gilt.

Den Vergleich mit der Bankenkrise 2008 sieht Schmidt derzeit nicht, dafür seien die Auslöser für die beiden Branchenkrisen zu unterschiedlich. Aber die spannende Frage sei nun, ob es zu einer stärkeren Beaufsichtigung der Automobilhersteller komme, sagte er. Die Automobilbranche stehe vor einer tiefgreifenden Erneuerung, Stichworte dafür seien Klimaziele, neue Technologien und gewandeltes Konsumentenverhalten.

Der Kartellvorwurf könne diesen Prozess nun erschweren. „Wir wollen jetzt wirklich sehr zeitnah aufgeklärt werden, was an den Vorwürfen dran ist. Schließlich haben die Kursverluste gezeigt, dass alleine schon die Vorwürfe vermögensrelevant für die Anleger sind“, sagte Schmidt.

Scharfe Kritik aus Politik und IG Metall an Autoindustrie

Aus der Politik und der IG Metall kommt heftige Kritik an der deutschen Automobilindustrie, die sich seit Jahren abgesprochen und damit gegen das Kartellrecht verstoßen haben soll. „Wir verlangen eine vollumfängliche Aufklärung der Vorgänge“, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann der „Welt“. „Die beteiligten Unternehmen müssen dazu größtmögliche Transparenz herstellen. Klar ist, dass das deutsche und europäische Kartellrecht nicht verletzt werden darf und Absprachen zu Lasten von Verbrauchern sowie dem Klima- und Umweltschutz völlig inakzeptabel wären, sollte es diese gegeben haben“, sagte Hofmann, der unter anderem im Aufsichtsrat von Volkswagen sitzt. „Die neuen Vorwürfe gegen die Autoindustrie zeigen, dass der Diesel-Skandal eine größere Dimension hat, als bisher angenommen“, sagte die verkehrspolitische Sprecherin der SPD, Kirsten Lühmann. Bei den Absprachen soll es unter anderem darum gegangen sein, das System der Diesel-Abgasreinigung durch den Harnstoff Adblue auszuhebeln.

„Wir wollen jetzt Antworten von Verkehrsminister Alexander Dobrindt darauf, wie man technisch gewährleisten will, dass die Automobilhersteller die Fahrzeuge ab sofort mit ausreichend Adblue ausstatten. Werden jetzt doch größere Tanks eingebaut? Werden die Intervalle für das Nachfüllen verkürzt? Kann man Adblue künftig kundenfreundlich an eigenen Zapfsäulen der Tankstellen nachfüllen? All das soll uns Dobrindt beantworten“, verlangte Lühmann.

Grüne: Merkel muss Diesel-Aufklärung zur Chefsache machen

Der grüne Fraktionschef Toni Hofreiter fordert die Bundeskanzlerin auf, Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) die Zuständigkeit für den Dieselskandal zu entziehen: „Wenn sich die Vorwürfe bewahrheiten, ist das der größte Kartellfall und der größte Skandal der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Wenn das schon so lange läuft, ist es allerdings schwer vorstellbar, dass das Kraftfahrtbundesamt, das so eng mit den Herstellern zusammenarbeitet, nichts mitbekommen hat“, sagte Hofreiter dem „Handelsblatt“. „Verkehrsminister Dobrindt hat seit zwei Jahren alle Probleme vertuscht. Wenn Frau Merkel jetzt ernsthaft aufklären will, muss sie ihm die Zuständigkeit für die Aufklärung des Dieselskandals entziehen und die Aufklärung zur Chefsache machen“, fordert Hofreiter. „Denn Dobrindt hat bewiesen, dass er entweder nicht aufklären will oder nicht kann.“ Die „jahrelange Kumpanei von Bundesregierung und Automobilindustrie“, die die Unternehmen schützen sollte, habe leider das Gegenteil erreicht: Nun seien der deutsche Automobilstandort und damit die Arbeitsplätze bedroht.

„Es ist wie im Wirtschaftstheoriebuch: Wer einen Schutzzaun um eine Industrie zieht, macht sie innovationsträge“, kritisiert Hofreiter. „Das Ergebnis ist, dass Japan und Südkorea bei der Wasserstofftechnik vor uns liegen, und die chinesischen Konzerne sowie Tesla bei der Batterietechnik.“ Der grüne Spitzenkandidat Cem Özdemir forderte ebenfalls, dass Merkel das Problem zur „Chefsache“ macht.

„Das Lastenheft für die Hersteller, um attraktive Angebote für die Mobilität der Zukunft zu machen, ist dick. Die Bundeskanzlerin muss das zur Chefsache machen“, sagte Özdemir dem „Handelsblatt“. „Der Bundesminister für Vertuschung und Interessenpolitik, Alexander Dobrindt, hat dabei kläglich versagt“, so der Grünen-Politiker weiter.

„Die Automobilindustrie in Deutschland als deutsche Leitindustrie hat sich mit dem Dieselskandal und dem möglichen Kartell selbst eine existenzbedrohende Falle gestellt“, sagte Özdemir. „Die große Koalition hat viel zu lange weggesehen statt ordnungspolitisch durchzugreifen.“ Er fordert „umgehend einen umfassenden Dialog mit Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmern, Forschung, Herstellern und Politik“. Nur so könne Deutschland „die Industrie schnell zukunftsfähig aufstellen“.

Autor: dts