Brüssel/Berlin | Die Europäische Kommission hat bei der Überprüfung europäischer Atomkraftwerke schwere Mängel festgestellt. Für dringend notwendige Sicherheitsmaßnahmen werden bis zu 25 Milliarden Euro veranschlagt. Das geht aus einem der „Welt“ vorliegenden Abschlussbericht zum sogenannten Stresstest der EU-Kommission bei Europas Meilern hervor.

Nach dem Atomunfall von Tschernobyl 1986 hätten die EU-Staaten dringende Sicherheitsmaßnahmen vereinbart. „Auch Jahrzehnte später steht deren Umsetzung in einigen Mitgliedsländern noch immer aus.“ Die Sicherheitsstandards von Europas Nuklearanlagen weisen große Unterschiede auf.

„Hunderte technische Verbesserungsmaßnahmen“ seien identifiziert worden, „praktisch alle Anlagen bedürfen verbesserter Sicherheitsmaßnahmen“. Das ist das Abschlussergebnis der Stresstests, die die EU-Kommission nach dem Atom-Unglück im japanischen Fukushima im März 2011 durchführen ließ. Bei deutschen Atomkraftwerken kritisiert Brüssel die auf den Anlagen selbst installierten Erdbeben-Warnsysteme als unzureichend.

Auch seien die von der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA vorgeschriebenen Leitlinien bei schweren Unfällen nicht voll umgesetzt. Der Vergleich der EU-weiten Mängelliste fällt vor allem für die französischen Atomkraftwerke schlecht aus: Bei ihnen stellten die Experten die meisten Kritikpunkte fest. „In vier Reaktoren, die in zwei verschiedenen Ländern liegen, haben die Betreiber weniger als eine Stunde Zeit, um nach einem kompletten Stromausfall oder/und einem Ausfall der Kühlsysteme die Sicherheitssysteme wieder hochzufahren“, zitiert die „Welt“ aus dem EU-Report.

Zehn Reaktoren sind demzufolge noch immer nicht mit einer seismischen Messanlage ausgestattet, die vor einem Erdbeben warnt. Zwischen den Sicherheitsstandards in den EU-Ländern herrschen zudem große Unterschiede: Nur vier EU-Länder „betreiben zusätzliche Sicherheitssysteme, die unabhängig vom normalen System in einer Zone installiert sind, die gut gegen äußere Einflüsse gesichert sind (zum Beispiel in Bunkersystemen)“. Ein fünftes Land erwäge eine solche Einrichtung. In der EU stehen in 14 Ländern Atomkraftwerke. Insgesamt zählt die Union 68 Nuklearanlagen mit 134 Reaktoren auf ihrem Territorium. „Mobiles Equipment, vor allem Dieselgeneratoren im Fall eines totalen Stromausfalls, äußerer Zwischenfälle oder einer schweren Unfallsituationen sind bereits in sieben Ländern vorhanden und werden in den meisten anderen installiert.“ Kommende Woche soll in Brüssel der Gesamtreport mit allen Details vorgestellt werden. Die EU-Kommission rechnet wegen der unzureichenden Sicherheitsausstattung mit hohen Nachrüstungskosten für die Betreiber. „Die Identifizierung von Hunderten notwendigen Sicherheitsverbesserungen für die existierenden Nuklearanlagen erfordern eine Gesamtinvestition zwischen zehn und 25 Milliarden Euro in den kommenden Jahren“, lautet die Analyse.

Autor: dts | Foto: Thomas Bethge/Fotolia