Berlin | Angesichts häufiger Verzögerungen und drastisch steigender Kosten wächst die Kritik an der Planung von Bau-Großprojekten in Deutschland. „Oft geht es bei solchen Großvorhaben nicht um Sachfragen, sondern um politische Erwägungen“, sagte Stephan Schwarz, Präsident der Handwerkskammer Berlin, der „Welt am Sonntag“. „Das geht bis hin zu den vorgegebenen Fertigstellungsterminen, die sich gern auch am Wahlkalender orientieren“, so Schwarz.

Zudem würden „die Kosten heruntergerechnet, um überhaupt mit dem Projekt beginnen zu können, in manchen Fällen wohlwissend, dass es viel teurer wird.“ In der vergangenen Woche hatte die Deutsche Bahn mitgeteilt, dass sich der Bau des neuen Bahnhofs Stuttgart 21 um eine weitere Milliarde verteuert, auf insgesamt 7,6 Milliarden Euro. Zudem verzögere sich die Fertigstellung bis voraussichtlich Ende 2024. Auch beim Berlin-Brandenburger Großflughafen BER steigen die Kosten weiter, und es gibt Meldungen über neue technische Probleme beim Brandschutz, die auch dieses Projekt erneut verzögern könnten.

Architekten und Ingenieure kritisieren vor allem die Art der Planung öffentlicher Bauvorhaben. Mit Blick auf Verzögerungen beispielsweise durch Bürgerproteste sagte der Direktor des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), Ralph Appel, der „Welt am Sonntag“: „Man müsste die Planungsphasen dazu verwenden, den Nutzen der Projekte klarer zu formulieren und darüber mit den betroffenen Menschen mehr zu reden. Das verzögerte die Abläufe am Anfang, aber im weiteren Verlauf ist ein Konsens bei den Betroffenen über das Vorhaben ein Projektbeschleuniger.“

Die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, Barbara Ettinger-Brinckmann, sagte der Zeitung: „Baukosten lassen sich erst dann wirklich verlässlich prognostizieren, wenn konkrete Angebote aller Gewerke vorliegen und danach nichts mehr geändert wird“, so Ettinger-Brinckmann. „Wichtigstes Credo: Erst planen, dann bauen. Bei der Elbphilharmonie wurde beispielsweise die Bauausführung zu früh vergeben, zu einem Zeitpunkt, als wesentliche Planungsparameter noch nicht vorlagen“, sagte die Kammer-Präsidentin.

Deutschland könnte sich in einigen Punkten an der Planungsweise in Großbritannien orientieren, so Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzende der Bundesstiftung Baukultur: „Das englische Modell etwa rechnet von vornherein mit einem Worst-Case-Szenario, also mit höheren Kosten. Das müssen wir nicht direkt übernehmen, aber wir könnten wenigstens mit `real cases` arbeiten“, sagte Nagel der „Welt am Sonntag“. Der Bau des neuen Hauptbahnhofs in Stuttgart verzögert sich unter anderem auch wegen strenger Artenschutzvorschriften für Eidechsen und Käfer.

Der ehemalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) sagte dem Blatt: „Es muss aufhören, dass Aktivisten das Wohl von Tieren über das von Menschen stellen und vor Gericht ziehen können. Wir brauchen eine konsequente Einschränkung des Verbandsklagerechts“, so Ramsauer. Während seiner Tätigkeit als Bundesminister hatte er selbst ein sogenanntes Planungsbeschleunigungsgesetz implementiert und eine Reformkommission eingesetzt, die die Probleme bei den Großprojekten analysieren und Verbesserungsvorschläge formulieren soll. Ende dieses Jahres sollte ein Leitfaden für die Planung öffentlicher Großprojekte veröffentlicht werden.

Doch ähnlich wie viele Bauvorhaben verzögert sich auch dies. Dem Ministerium zufolge soll der Leitfaden, der sich vor allem an unerfahrene Planer in Behörden, Ländern, Landkreisen und Gemeinden richtet, im nächsten Jahr erscheinen. Der Grund dafür sei laut Ramsauer, dass „bei uns alles wahnsinnig schwerfällig ist.“

Autor: dts