Stilecht stellte KiWi Köln ihr neues Buch „Chicago am Rhein“ in der Kölner Kultkneipe „Klein Köln“ Ende letzten Jahres vor. Es geht um die Zeit, als Köln die negativen Schlagzeilen mit Kriminalität belegte und der Boulevard jeden Tag neue Stories von „Schäfers Nas“, „Abels Män“, „Dummse Pitter“ oder dem „Langen Tünn“ verbreitete und damit die Auflage steigerte. Nur am Rande und allgemein streift das Buch das Schicksal der Frauen, die von den Zuhältern ausgenommen wurden und auf deren Kosten die Männer ihr auschweifendes Leben bezahlten. Schon bei den interviews mit dem „Langen Tünn“ ergeben sich Ungereimtheiten zwischen Buch und anscheindender Realtität. Aber vielleicht muss das so sein, wenn das Milieu seine Räuberpistolen erzählt und die Autoren nicht völlig unbeindruckt sind.
An einer Stelle allerdings wird das Buch deutlich, als es Jupp Menth, der einst als Kriminalbeamter Dienst tat und heute mit seinen kölschen Reden im Karneval das Publikum fesselt, zitiert. Die Autoren schreiben: „Jupp Menth, auch als Kriminaler lange bei der Sitte tätig, ärgert sich noch heute über die Haltung der Kölner, die dazu neigen, ihre „Halbseidenen im Laufe der Jahre zu glorifizieren.“ Vor allem Schäfers Nas, der rückblickend von einigen auch schon mal als „ne Joode“ dargestellt wird, hat Menth eine sehr dezidierte Meinung: „Ich kenn‘ den als ganz brutalen, menschenverachtenden Zuhälter in Großausführung. Und dazu war er noch ein kleiner Zinker“. Denn auch Schäfers Nas wollte sich mit der Polizei guthalten und hat immer mal wieder seine Kollegen verpetzt. „Der kam dann zu uns und sagte: „Hür ens, du musst ens bei dem un dem in den Kofferraum luure, der hät drei Radios drin.“
Die beiden Autoren Peter F. Müller und Michael Müller, so vermittelt es das Buch, sind selbst fasziniert von den Geschichten, die sie erzählen. Wie viel davon wahr ist, vermittelt sich am Ende nicht. Duelle am Rhein, wo einer kurz am Kopf vorbei schießt und der andere in den Boden, Gelage wo einzelne der „Herren“ drei Flaschen Schnaps getrunken haben sollen, Männer die über 1.800 Frauen beglückt haben sollen, das sind die Geschichten, die sie erzählen. Zentrum der Szene – und natürlich auch der Boxerszene – war das Klein Köln und da wundert es nicht, dass dort das Buch vorgestellt wurde. Millionen sollen verzockt worden sein und am Ende sind die Antihelden Opfer des schnöden Finanzamts geworden und züchten heute weiter Tauben. Das Buch trägt die Geschichten zusammen, die erzählt werden und die das Milieu selbst erzählt. Immerhin kommen auch die Guten zu Wort mit XXX von der Steuerfahndung, der selbst undercover unterwegs war.
Wer Geschichten lesen will, der ist mit dem Buch gut beraten, sollte aber bedenken, dass das Deckmäntelchen der Vergangenheit die Brutalität und Ausbeutung der Frauen ausblendet. Ein Vorwurf, den man dem Buch auch machen muss, dass es nicht eine einzige Frau von damals zu Wort kommen lässt und die sich so selbst Glorifizierten in ein anderes Licht rückt. Die zweite Perspektive fehlt dem Buch und wäre ein Muss gewesen. Da reicht es nicht, dass man ab und an, durchblicken lässt, dass hier nicht alles OK war.
Peter F. Müller & Michael Mueller
Chicago am Rhein – Geschichten aus dem kölschen Milieu
160 Seiten
Klappenbroschur
€ (D) 14,99
ISBN 978-3-462-03830-9
Autor: Andi Goral