Berlin | In der SPD-Bundestagsfraktion wird eine rasche Entscheidung über den Verbleib von Andrea Nahles an der Fraktionsspitze gefordert.

„Ich beantrage eine Sondersitzung der SPD-Bundestagsfraktion zur Nachbereitung der Europawahl“, heißt es in einem Schreiben des Bundestagsabgeordneten Michael Groß an den Vorsitzenden der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen in der Fraktion, Achim Post, über das der „Tagesspiegel“ (Dienstagsausgabe) berichtet. „Nach den sehr bedauerlichen und desaströsen Ergebnissen der SPD bei den Wahlen muss klargestellt werden, ob die SPD-Bundestagsfraktion hinter ihrer Vorsitzenden steht oder nicht“, schreibt der Abgeordnete.

Entweder sie werde breit gestützt oder nicht. Man müsse den Spekulationen ein Ende setzen. Ein einfaches „Weiter so“ sei keine Option, so Groß.

Nahles bezeichnet Europawahl-Ergebnis als „Zäsur“

SPD-Chefin Andrea Nahles hat das katastrophale Ergebnis der Sozialdemokraten bei der Europawahl als eine „Zäsur“ für ihre Partei bezeichnet. „Der Ernst der Lage ist allen vollkommen klar“, sagte sie am Montagnachmittag in Berlin. Allerdings vertagte die Partei weitere Entscheidungen: Bei einer Klausurtagung am 3. Juni werde man die Debatte fortsetzen, so Nahles.

Drei Themen sollen dabei auf der Agenda stehen. Zum Beispiel habe man nicht genügend Strategiefähigkeit in der Partei. Zur Lösung des Problems werde man Vorschläge erarbeiten.

Auch das Problem, dass man als SPD nicht genügend klare Positionierungen habe, werde man „zügig angehen“, so Nahles. Außerdem werde man klären, wie man insgesamt mit der „Profilbildung in der Regierung“ umgehen soll. „Das heißt für uns zu Beispiel, welche Anforderungen haben wir für die anstehende Halbzeitbilanz“, so die SPD-Chefin. Auch dies werde Thema der Klausurtagung sein.

SPD-Wirtschaftsforum will schnelle Entscheidung über GroKo-Zukunft

Der Schatzmeister des SPD-Wirtschaftsforums, Harald Christ, hat eine möglichst rasche Entscheidung seiner Partei über die Fortführung der Großen Koalition gefordert. „Die SPD sollte die Entscheidung vorverlegen, ob sie die Große Koalition bis zum Ende durchzieht, und die Debatte nicht erst im Herbst führen, wenn im Osten weitere Wahlen anstehen“, schreibt Christ in einem Beitrag für die „Bild“ (Dienstagsausgabe). Es gehe inzwischen um die „blanke Existenz“ als Volkspartei in der Noch-GroKo.

„Ein `Wir-haben-verstanden-aber machen-weiter-wie-bisher` wäre das Aus für die SPD und ihre Führung.“ Maßgeblich für „die katastrophalen Ergebnisse der SPD“ seien „jene Kräfte in der Partei, die kurz vor der Wahl eine erneute Personaldebatte um die Führung losgetreten haben“, so Christ weiter. „Bei allen Lippenbekenntnissen: Da ging es nicht um die Zukunft der Partei sondern um persönliche Vergangenheitsbewältigung, um puren Egoismus und eigene Positionierung. So was tut man nicht bevor überhaupt der Wähler zum Zug kam.“ Die Namen von Ex-Kanzlerkandidat Martin Schulz und Ex-Parteichef Sigmar Gabriel nannte Christ in seinem Beitrag nicht. Aus Sicht des Schatzmeisters des SPD-Wirtschaftsforums ist das Abschneiden von Union, SPD und Grünen bei der EU-Wahl „ein epochales Ereignis, das die Bundesrepublik ähnlich verändern könnte wie die 68er-Bewegung vor 50 Jahren!“, schreibt Christ in seinem Betrag für die Zeitung: „Ende der Sechziger beanspruchten junge Menschen auf der Straße die Zukunft für sich und ihren Kampf. Heute tun sie es im Netz. Ich nehme alle diese Botschaften sehr ernst und es sollte nicht die Arroganz der älteren sein, das zu ignorieren. Das Ergebnis ist das gleiche: Den großen Parteien wird die Kompetenz entzogen.“

Union und SPD hätten „den schleichenden Prozess allzu lange ignoriert, teils sogar belächelt“, so Christ. „Sie dürfen sich nicht täuschen: Das ist keine Eintagsfliege. Wer in Zukunft noch Mehrheiten sammeln und Politik gestalten will, muss auf die Proteste und ihre Anliegen tatsächlich eingehen oder er wird – zusammen mit dem politischen System, wie wir es kennen – nicht mehr bestehen können.“ Der Trend betreffe „nicht nur Parteien“, so der SPD-Politiker. Er werde sich „in der gesamten Gesellschaft auswirken: Unternehmer, Konzerne, Verbände müssen sich dem Bruch zwischen Alt und Jung stellen, zwischen Bewahren und Entwickeln. Wer Waren oder Dienstleistungen produziert, muss in Zukunft glaubhaft machen, dass er Themen wie Klima, Teilhabe, soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit tatsächlich mitdenkt – oder die Kunden werden das Produkt immer öfter abwählen.“

Autor: dts