Die renommierte Expertin Reka Markus. Foto: LVR-Klinik Köln, A. Hiller

Köln | Erkrankungen der Psyche und die Corona-Pandemie.

Wie hat sich die Zeit des Stillstands im Alltag auf das Empfinden und Verhalten vieler betroffener Menschen ausgewirkt?

Im Gespräch mit report-K nimmt die Kölner Expertin Reka Markus, Leitende Oberärztin der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotraumatologie der LVR-Klinik in Merheim, zur Diagnose Borderline exemplarisch Stellung!

Frau Dr. Markus, hat sich die Corona-Pandemie nach Ihren Erfahrungen auf die Zahlen von Borderline-Erkrankungen ausgewirkt? Und wenn ja, in welchem Ausmaß?

Markus: Wir sehen keine Erhöhung der Fallzahlen, die wir in den Zusammenhang mit der Corona-Pandemie setzen könnten. Corona verursacht keine Borderline-Persönlichkeitsstörung. Die Pandemie bedeutet eine große Belastung für die Psyche.

Entscheidungsmöglichkeiten und das subjektiv erlebte Freiheitsgefühl wurden durch getroffene Maßnahmen deutlich eingeschränkt . Menschen, die an einer Borderline-Störung leiden sind besonders anfällig für Ungerechtigkeitserleben, Einschränkungen der Entscheidungsfreiheit und Regelungen, die ohne vorherigen Absprache, akzeptiert werden müssen.

Sie reagieren in solchen Fällen, wie auch in der Zeit der Pandemie vorgekommen, meist heftiger als psychisch stabile gesunde Menschen. Es ist gut möglich, dass die Pandemie hier eine Verstärkung der Symptomatik erwirkt hat. Untersuchungen oder Studien sind mir dazu nicht bekannt.

Die LVR-Klinik in Köln. Foto: LVR-Klinik

Wird die Erkrankung Ihrer Meinung nach in unserer Gesellschaft ausreichend ernst genommen?

Markus: Ja. Allerdings ist das Ernstnehmen der Erkrankung vor allem die Aufgabe der Fachwelt – im Sinne die fachkompetente Verantwortung zu tragen und zu leben. Betroffene sollten eine kompetente und störungsbezogene Information und Beratung erhalten bzw. über die Möglichkeiten der störungsspezifischen Therapieangeboten in Kenntnis gesetzt werden. Das gelingt zunehmend.

Die Gesellschaft, damit meine ich das private oder berufliche Umfeld von Betroffenen kann ebenfalls solche störungsbezogene und fachkompetente Informationen effektiv nutzen, um die Genesungsmöglichkeiten und Chancen zu fördern.

IIn der MillionenStadt Köln können wir mit ca. 15.000-20.000 Betroffenen rechnen.

Reka Markus

Welchen Einfluss haben Ihrer Meinung nach die sozialen Netzwerke auf das Auftreten/Erscheinungsbild der Krankheit ?

Markus: Soziale Medien lösen keine Borderline-Störung aus. Der Umgang mit den Medien kann hilfreich sein. Es gibt viele gute Seiten, Posts und Beiträge mit vielen Informationen, Tipps, Adressen und Berichten. Diese Quellen können bei dem Verstehen, Erkennen und Annehmen des Krankheitsbildes helfen, vor allem bei dem Erkennen der Therapienotwendigkeit.

Gleichzeitig gibt es auch negative Auswirkungen. Wird suizidales und oder selbstschädigendes  Verhalten im Netz gezeigt und darüber ausführlich kommuniziert, kann dies bestehende Symptome verstärken oder sogar diese auslösen.

Was raten Sie Angehörigen, Freunden und Partnern von Betroffenen, wie Sie mit der Erkrankung am besten umgehen können? Tolerieren? Kontakt abbrechen?

Markus: Es geht nicht um finale oder prinzipielle Lösungen im Umgang mit Betroffenen. Es ist wichtig für die Angehörigen die Erkrankung und die Zusammenhänge zu verstehen. Warum ist das Verhalten so wie es ist? Warum wiederholt sich Verhalten und warum lernen Betroffene nicht aus vorherigen Erfahrungen?

Die Verantwortung der Angehörigen ist Wege zu suchen zur Aufklärung, Hilfe und Selbsthilfe – dazu rate ich – egal, ob telefonisch, online oder persönlich. In Köln gibt es ein gutes Angehörigennetz; der gemeinnützige Verein »Zentrum für Borderline-Angehörige-ZBA« unter der Leitung von Kai Kreutzfeldt hat sich dieser außerordentlich wertvollen Arbeit angenommen.

Symbolbild: Viele Menschen sind der Alkoholsucht verfallen. Foto: Bopp

Kann Alkohol(-missbrauch) eine Borderline-Erkrankung auslösen?

Markus: Nein. Alkoholmissbrauch löst nicht die Borderline-Erkrankung aus.

Allerdings sehen wir häufig, dass Menschen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung Alkohol missbräuchlich konsumieren, um die quälenden Symptome, wie z.B sehr unangenehme Spannungszustände, leichter zu ertragen. In solchen Fällen bezeichnete ich den Alkoholkonsum als dysfunktionale Möglichkeit der Emotionsregulation, quasi eine kranke Notlösung.

Ist aus Ihrer Erfahrung die Erkrankung komplett heilbar?

Markus: Ja! Wichtig ist, dass die Erkrankung mit einer störungsspezifischen Therapie behandelt wird, wie z.B die dialektisch-behaviorale Therapie. Die DBT Behandlung wird in Köln in der LVR Klinik Köln in tagesklinischer Form und ambulant angeboten.

Ziel dieser fertigkeitenbasierten Behandlung ist eine gesunde Gefühlsregulation zu lernen und dadurch sich situationsangemessen und sinnvoll verhalten zu können.

In diesem Fall werden die, für die Persönlichkeitsstörung notwendige Kriterien nicht mehr erfüllt. Es bleibt weiterhin eine erhöhte Empfindlichkeit und Anfälligkeit bestehen, so dass eine achtsame Haltung und bewusster Blick auf Sinnhaftigkeit fortgesetzt werden sollten.

In einer Millionenstadt wie Köln – wie viele Menschen sind ca betroffen?

Markus: Im Durchschnitt sind etwa 1-2 Prozent der deutschen Bevölkerung zeitgleich betroffen. In der Millionen Stadt Köln können wir mit ca. 15.000-20.000 Betroffenen rechnen.