Berlin | Der Bundeswehrverband hat ein „Staatsversagen“ im Umgang mit der Pandemie kritisiert und vor dem Verlust der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr gewarnt. „Es ist doch ein Wahnsinn, dass die Bundeswehr als nicht zuständige Organisation seit über einem Jahr ununterbrochen Dienst im Innern leistet, weil es andere schlichtweg nicht gebacken kriegen“, sagte Bundeswehrverbandschef André Wüstner der „Rheinischen Post“ (Montag).

Darin zeige sich, dass die Strukturen zur Katastrophenbewältigung systematisch vernachlässigt worden seien. „Das rächt sich jetzt und zeigt sich in der völlig unzureichenden personellen und materiellen Ausstattung nicht nur in den Gesundheitsämtern. Ich ziehe meinen Hut vor den Bürgermeistern und Landräten, denn die müssen aus dem Nichts ein Maximum aus den mit heißer Nadel gestrickten Verordnungen machen“, betonte Wüstner. „So eine Pandemie ist ein laues Lüftchen im Vergleich zu den Bedrohungsszenarien, mit denen wir uns eigentlich befassen müssten“, unterstrich Wüstner.

Auf Dauer könne die Bundeswehr nicht 25.000 Soldaten für die Amtshilfe abstellen, weil sie dann Gefahr laufe, in einen „schleichenden Verlust“ der Einsatzfähigkeit abzudriften. „Die Verbindung von Amtshilfe und eigenen Hygienevorkehrungen führt dazu, dass Ausbildung und Übung vielerorts ausfallen“, beklagte der Oberstleutnant. An Herausforderungen und Bedrohungsszenarien nannte Wüstner als Beispiel „eine Anschlagswarnung auf Bayer in Leverkusen, dann kurz darauf Giftgasangriffe in mehreren Städten gleichzeitig, wie es sie in anderen Ländern schon gegeben hat, dann legt eine große Cyber-Attacke unsere Wasser- und Stromversorgung lahm. Und das bedeutet angesichts der Ausstattung mit Notstromaggregaten, dass nur noch höchstens 20 Prozent der Krankenhäuser voll funktionsfähig bleiben, von der sonst kritischen Infrastruktur ganz zu schweigen. Schlimmstenfalls trifft uns das mit einer außenpolitischen Bedrohung beispielsweise an der Ostflanke der NATO. Unvorstellbar? Keinesfalls.“ Wüstner schlägt vor, dass der neue Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Armin Schuster, gemeinsam mit dem nationalen und territorialen Befehlshaber, General Martin Schelleis, Erfahrungen sowie den Handlungsbedarf beschreiben und mit Kanzleramtsminister Helge Braun erörtern sollte.

„Wir brauchen einen Top-down-Ansatz aus dem Kanzleramt unter Einbindung der betroffenen Ressorts, denn alles andere dauert einfach zu lange. Die gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge muss wieder ein Schwerpunkt von Bund und Ländern werden.“

Autor: dts