Köln | Über 65.000 Objekte umfasst die Graphische Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums. Ihrem Leiter Thomas Ketelsen gelingt es immer wieder, daraus kleine, höchst sehenswerte Kammerausstellungen zu destillieren. Unter dem Titel „Der Brief und die Zeichnung“ einen Gegenpol zu den modernen elektronischen „sozialen Medien“, die die Kunst des Schreibens auf Papier zu verdrängen scheinen.

Anlass für die nun schon 27. Ausstellung der Reihe „Der ungewisse Blick“ waren zwei „wunderbare Dauerleihgaben“ – so Ketelsen –, die dem Haus zur Verfügung gestellt wurden. Genauer: zwei Künstlerpostkarten. Auf der einen malte Lovis Corinth sich 1909 selbst als Reiter, der seinen Freunden so Mut zurief. Auf der anderen zeichnete sich Emil Orlik vier Jahre später als „Adlerken im Schnee“ und grüßte aus seinem Winterurlaub in Kitzbühl. Für Ketelsen zwei Beispiele dafür, wie Künstler sich die Postkarte, die im 19. Jahrhundert erfunden wurde, als Medium zu eigen machten.

„Zwei selbstständige Liniensysteme finden harmonisch zusammen

Wenn Künstler zur Schreibfeder griffen, bestand schon immer die „Gefahr“, dass sie ins Zeichnerische abschweiften. So verliert sich Tiepolo beim Schreiben von Anschriften in verwirrende Arabesken, Johann Evangelist Scheffer von Leonhartshoff bricht 1812 eine „Liebeserklärung“ an seinen Freund Friedrich Overbeck abrupt ab und zeichnet stattdessen anatomisch exakt die Knochen einer Hand. Für Ketelsen exzellente Beispiele dafür, wie „zwei selbstständige Liniensysteme – die Kunst des Schreibens und die Kunst des Zeichnens – harmonisch zusammenfinden“.

Strenge Regeln galten bei Briefschreiben. So galt es einen „Respektraum“ einzuhalten: Je höher die soziale Distanz zwischen Schreiber und Adressat war, desto größer musste auch der Abstand zwischen der ersten Zeile und der Blattoberkante sein. Und wer etwas auf sich hielt, der kaufte sich teures Papier mit Prägedruck – wie Goethe an die Kölner Brüder Boisseree – oder griff auf Blätter zurück, die mit Rahmen bedruckt waren, die mit Schrift zu füllen waren.

Ein beliebtes Bildmotiv: Der Briefeschreiber, die Briefeleserin

Die liebevoll zusammengestellte Ausstellung beginnt – gleichsam als Einleitung zum Thema – mit dem Brief als Bildmotiv. Danach scheint das Schreiben von Briefen die Sache (gelehrter) Männer zu sein: Ein Holzschnitt von Lucas Cranach zeigt den Apostel Paulus, ein Kupferstich von Albrecht Dürer Erasmus von Rotterdam. Schließlich sieht man noch, wie ein Postreiter auf die Fertigstellung eines Briefes – wohl durch einen Militärschreiber – wartet (Johann Gottfried Haid, 1768).

Das zärtliche Porträt eines Briefträgers leitet dann über zu den Empfängern und Leserinnen der Post – hier überwiegen überraschenderweise die Damen. Vielleicht weil Liebesbriefe die Fantasie mehr anregten als Geschäftsnachrichten? Zwar kann man nicht lesen, was in den – zum Teil noch ungeöffneten – Umschlägen steckt: Doch die freudig-gespannten Mienen der Empfängerinnen lassen höchst Erotisches erahnen.

Aber auch auch eine eher negative Botschaften lässt sich etwa aus den Gesichtern einer Bauerngruppe ablesen. Auch die „Hoffnung auf Rückkehr“, die die elegante Frau – mit einem langen Brief in der Hand um 1790 festgehalten von Henri Gerard – scheint sich wohl eher nicht zu erfüllen. Und völlige Ratlosigkeit ist es wohl bei dem Bauermädchen, dem gerade ein Brief überreicht wurde: „Ich kann nicht lesen“, betitelte Rose-Joseph Lemercier 1831 seine Lithographie.

[infobox]„Der Brief und die Zeichnung“ – bis 21. Mai 2018, Wallraf-Richartz-Museum, Obermarspforte, Di-So 10-18 Uhr, jeden ersten und dritten Donnerstag im Monat 10-22 Uhr (außer an Feiertagen), Begleitheft 10 Euro

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Autor: ehu | Foto: Graphische Sammlung, Wallraf-Richartz-Museum
Foto: “Wohl auf Kameraden aufs Pferd! Aufs Pferd! Heute so und morgen wieder!”, munterte Öovis Corinth den Empfänger der Postkarte mit seinem Selbstporträt auf.