Köln | Eine Ausstellung mit einem besonderen Perspektivwechsel, die das Rautenstrauch-Joest-Museum aktuell zeigt. Noch bis zum 3. Juni heißt es „Der Wilde schlägt zurück – Kolonialzeitliche Europäerdarstellungen der Sammlung Lips“. Gezeigt werden wie die, die von den Europäern kolonialisiert wurden, die Kolonisatoren darstellen. Die Ausstellungsmacher versprechen überraschend neue Einsichten in die Kolonialgeschichte und dass diese festgefahrene Selbst- und Fremdbilder hinterfrage.

Der Ausstellungstitel geht zurück auf das Buch „The Savage Hits Back or The White Man through Native Eyes“, das in den 1930er-Jahren hohe Wellen schlug: Vor den Nationalsozialisten geflohen, publizierte Julius Lips, der Kölner Ethnologe und ehemalige Direktor des Rautenstrauch-Joest-Museums sein antifaschistisches und antikoloniales Werk im amerikanischen Exil. Er zeigte darin, wie Künstler aus den Kolonien Europäer darstellten und interpretierte ihre Skulpturen und Zeichnungen als Kritik und Spott am Besatzer. In seiner Arbeit zum „Gegenschlag“ des vermeintlich „Wilden“ und seinen polemischen Deutungen wird der Europäer selbst zum Barbaren.

„Im Mittelpunkt dieser Ausstellung steht dieses Mal der Europäer, so wie er von außereuropäischen Künstlern gesehen und dargestellt wurde“, betont Prof. Dr. Klaus Schneider, Direktor des Rautenstrauch-Joest-Museums. Durch den Wechsel der Perspektive werde der Blick auf Europäer zurückgeworfen. Der Effekt sei auch heute noch verblüffend: sich in den Augen eines Anderen zu sehen, kann starre Selbst- und Fremdbilder ins Wanken bringen. Insbesondere vor dem Hintergrund neu aufflammender Nationalismen und der gegenwärtigen Rassismus-Debatte gewinnt Julius Lips Versuch, die Perspektive auf „Fremde“ umzukehren, an Aktualität.

Europäerdarstellungen
Die Ausstellung, für die Lips seit den 1920er Jahren Europäerdarstellungen sammelte, wurde von den Nationalsozialisten vereitelt. Bisher ist kaum bekannt, dass sich die Objekte und Fotografien im Depot des Rautenstrauch-Joest-Museums befinden. Erstmals werden nun diese Darstellungen von Kolonialbeamten, Soldaten, Händlern und Missionaren aus Afrika, Asien, Ozeanien und Amerika der Öffentlichkeit präsentiert. Neuere Forschungen zu den Werken ermöglicht es, die vielfältigen Geschichten dieser Objekte zu rekonstruieren. Sie zeigen die kreativen Strategien indigener Künstler in der Begegnung mit fremden Bildsprachen und den neuen Techniken und Waren, die die Europäer brachten. Zwischen Aneignung und Abgrenzung vom Fremden spiegeln die Objekte die gesellschaftlichen Umbrüche der Kolonialzeit.
Während die indigenen Künstler bei Lips namenlos bleiben, lassen sich heute die Biografien zweier Künstler (Tommy McRae und Thomas Onajaje Odulate) rekonstruieren. In der Ausstellung werden sie als Zeitgenossen der europäischen Moderne präsentiert.

Der Provokateur Julius Lips
Julius Lips war Professor für Völkerkunde und Soziologie an der Universität Köln und seit 1928 Direktor des Rautenstrauch-Joest-Museums (ehemals Kölner Museum für Völkerkunde). Schon zu seinen Lebzeiten hat Lips polarisiert: Einerseits galt er als innovativer und charismatischer Wissenschaftler und Kurator, andererseits ist seine Zeit in Köln geprägt von Plagiatsvorwürfen und Gerichtsprozessen. Während der nationalsozialistischen Herrschaft musste er im Jahr 1934 – nicht zuletzt aufgrund seiner Mitgliedschaft in der SPD – Deutschland verlassen. Aller seiner Ämter und Besitztümer in der alten Heimat beraubt, veröffentlichte Lips im Exil in den USA „The Savage Hits Back or the White Man through Native Eyes“ (1937). Das Buch war nicht nur eine Attacke gegen das rassistische Überlegenheitsdenken der „Kolonialherren“ und Nationalsozialisten sondern bezog sich zugleich auf seine persönliche Entrechtung, die er öffentlich anprangerte. Das Erscheinen des Buches löste einen Skandal aus: In Deutschland wurde es sofort verboten und im englischsprachigen Ausland als antifaschistisches Werk gefeiert. Bis heute ist die Person Julius Lips Gegenstand flammender wissenschaftshistorischer Debatten. Darüber sind sein ethnologisches Werk und sein Wirken als Kurator am RJM in Vergessenheit geraten. Beides wird im zweiten Teil der Ausstellung thematisiert. Dort können sich die Besucherinnen und Besucher auf die Spuren von Julius Lips und seiner Frau Eva begeben.

[infobox]Begleitheft und Katalog
Zur Ausstellung gibt es ein Begleitheft in deutscher und englischer Sprache mit zahlreichen Texten und Abbildungen (ISBN 978-3-942810-40-1). Die Publikation kann auch im Museumsshop des Rautenstrauch-Joest-Museums erworben werden.

Öffnungszeiten
Das RJM ist von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet, zusätzlich donnerstags bis 20 Uhr und am 1. Donnerstag im Monat bis 22 Uhr (außer an Feiertagen).
Eintritt
Das Einzelticket zur Sonderausstellung kostet 4,00 Euro und ermäßigt 3,00 Euro.
Ein Kombiticket für die Dauer- und Sonderausstellung kostet 9,00 Euro und ermäßigt 7,00 Euro.
Ein Gruppenticket gibt es ab 15 Personen.

Begleitprogramm zur Ausstellung „Der Wilde schlägt zurück“

Donnerstag, 3. Mai 2018 um 18 Uhr, Vortrag
„Tanz im postkolonialen Raum: Chombotrope“, Prof. Alexandra Karentzos (TU Darmstadt)

Tanz war seit Jahrhunderten eine Form des Widerstands gegen den Kolonialismus. Das Jitta-Tanzkollektiv greift solche Strategien spielerisch-ironisch auf und wendet sie postkolonial. In seinen Performances stellt das Kollektiv die Frage nach kulturellen Aneignungen im Kontext der afrikanisch-europäischen Kolonialgeschichte neu und nimmt einen Perspektivwechsel vor: Wer nimmt sich etwas, von wem? Solche Zuordnungen geraten in der Tanzperformance „Chombotrope“ in Bewegung und werden in einem rasanten Mix aus Mode, Tanz und Musik umgestülpt.

Donnerstag, 17. Mai 2018, Vortrag
Englischsprachiger Vortrag: „Reversing the Gaze: The Savages Hits Back!“, Prof. Gerald McMaster (OCAD University, Toronto, Kanada)
Through the use of humour, irony, metaphor, and politics, this lecture on otherness will feature the provocative works of Indigenous contemporary artists who use as their historic subject the European and Euro-American. Drawing on historic sources artists such as Kent Monkman, Annie Pootoogook, Skeena Reese, and Nicholas Galinin, and others, we will discover how the varied expressions are every bit as much about the artists as it is about their subject.

Anschrift und Anfahrt RJM Museum

Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt

www.museenkoeln.de/rjm

ÖPNV
Das Museum liegt im Zentrum Kölns in Sichtweite vom Neumarkt (2 Minuten Fußweg zur Haltestelle Neumarkt).

Haltestelle Neumarkt
Stadtbahnlinien: 1, 3, 4, 7, 9, 16, 18
Buslinien: 136, 146

Mit dem Auto
Die Tiefgarage Cäcilienstraße ist direkt unter dem Museum.

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Autor: ag, Q.: RJM