Interview mit dem Direktor des Kölner NS-Dokumentationszentrums, Dr. Werner Jung

Wie erleben Sie Köln in der Krise?

Dr. Werner Jung: Zum Beginn der Krise, beim Lockdown, war die Stadt leer. Auch ich konnte die Zeit gut nutzen, um Dinge zu erledigen, zu denen ich Jahre lang nicht gekommen bin: wissenschaftliche Buchprojekte. Jetzt sieht es wieder ziemlich normal aus. Auch ich bin nicht mehr im Homeoffice, sondern ständig hier vor Ort. Ich hoffe, dass das jetzt eine Übergangsphase zur Normalität ist, und dass wir nicht noch einmal einen Rückschritt erleben müssen. Unser Haus ist derzeit noch sehr wenig besucht, aber es war richtig, das NS-Dok wieder zu öffnen. Jetzt arbeiten wir gerade daran, unser Angebot noch zu erweitern.

Was war für Sie als Direktor des NS-Dok die größte Herausforderung?

Jung: Unser Jahresbericht für 2019 war wie so oft glanzvoll – wir konnten fast 100.000 Besucher verzeichnen. Da ist es bitter, wenn die Zahlen jetzt so abstürzen. Bei uns sind Schulklassen, Touristen und geführte Gruppen, die wichtigsten Besucher und die bleiben jetzt aus. Da sehnt man sich in die Zeiten zurück, in denen es hier bunt und laut war. Aber wir sind trotzdem gut beschäftigt, der Umbau des NS-Dok geht weiter und wir können wieder Sonderausstellungen anbieten. Ab dem 1. Juli werden wir wieder Führungen in Programm aufnehmen. Dazu zählen neben den Führungen hier vor Ort auch öffentliche Stadtführungen wie die zum jüdischen Köln und zum Kriegsende. Die ersten Führungen vor Ort wird es am 2. und 4. Juli geben. Sie werden dann wieder regelmäßig an den langen Donnerstagen und am ersten Samstag im Monat angeboten. Unser Ziel ist es, mehr Leute zu erreichen. Ich hoffe, dass nach der Sommerpause die Schulklassen wieder zurückkehren werden. Gerade in Zeiten, in denen man versucht, den Unterricht wegen Corona zeitlich versetzt zu organisieren, gewinnen außerschulische Lernorte an Bedeutung. Das ist unsere Chance.

Wie fällt die Bilanz noch der Wiedereröffnung aus?

Jung: Im Vergleich zu einem normalen Monat war natürlich wenig los. Aber das ist aktuell bei fast allen Museen der Fall. Ich finde es bemerkenswert, dass jetzt beim Lockdown in Gütersloh bei den Schließungen als erste Einrichtungen die Museen genannt werden. Dabei ist hier alleine wegen der geringen Besucherzahlen das Ansteckungsrisiko doch minimal.

Wie wichtig ist es, Schüler wieder zurück ins NS-Dok zu holen?

Jung: Das ist für uns und für die Schüler sehr wichtig. Deshalb wollen wir nach der Sommerpause entsprechende Akzente setzen, um die Schulklasse wieder zurückzuholen. Dazu gehört auch die Initiative Anfang März, die es ermöglicht, dass Kölner Schulklassen unser Angebot entgeltfrei nutzen können. So können wir einen Anreiz für den Besuch bieten. Der Besuch von außerschulischen Lernorten ist ein ganz wesentlicher Teil der Bildung und deckt Themen wie Demokratie, Rassismus und Antisemitismus umfassend ab. Da sind wir als NS-Dok breit aufgestellt. Und wir haben auch die Möglichkeit, in Zeiten von Corona flexibel zu reagieren. So machen wir bei großem Andrang aus einem Workshop zwei Veranstaltungen und entzerren das Ganze. Dieser Gedenkort ist ein Ort der Begegnung und des Austausches. Wir werden mit der neuen Ausstellung nach der Sommerpause auch wieder mit unserem Veranstaltungsangebot beginnen.

Aktuell gerät die Demokratie in vielen Ländern unter Druck.

Jung: Ich fühle mich jetzt in der Bundesrepublik gut aufgehoben. Es ist gut, dass in dieser Ausnahmesituation bei uns nicht Leute wie Trump, Orban oder Bolsonaro an der Spitze des Staates stehen. Bei den Demonstrationen in Deutschland finde ich das Engagement gegen den Rassismus in den USA und die Solidarisierung mit der schwarzen Community sehr gut und wichtig.

Das digitale Angebot hat beim NS-Dok schon immer eine zentrale Rolle gespielt.

Jung: Während des Lockdowns haben alle auf das digitale Angebot gesetzt. Das war bei uns schon lange vor der Krise vorhanden. Ich staune selbst immer wieder, wenn ich sehe, wie umfangreich unser Angebot auf der Website ist. Da gibt es 360-Grad-Rundgänge durch alle Sonderausstellungen, wir bieten Webapps und andere Ebenen, um unsere Themen zu vertiefen. Zu nennen ist hier zum Beispiel die „Jugend1918-1945“. Dahinter verbirgt sich ein umfassendes Angebot für den Schulunterricht, das aber auch von Studenten für eine Abschlussarbeit genutzt werden kann. Natürlich ersetzt das digitale Angebot, nicht die Atmosphäre des Gedenkortes bei einem Besuch vor Ort. Die Gedenkstätte Gestapogefängnis des NS-Dok ist hier europaweit einzigartig. Aber man kann einen Besuch im Internet vorbereiten und im Anschluss daran vertiefen.

Was wird sich beim Museumsbesuch durch die Krise verändern?

Jung: Jetzt ist die Zeit, um die lange Durststrecke beim Lockdown wieder zu überwinden. Es war richtig, wieder zu öffnen und jetzt das Angebot auszuweiten. Wir haben die Chance, in den kommenden Jahren wieder die alten Besucherzahlen zu erreichen. Gerade in Zeiten, in denen die Demokratie bedroht ist und der Antisemitismus wächst, hat Bildung eine sehr hohe Bedeutung. Und dazu zählt das Angebot des NS-Dok.

Was macht Ihnen aktuell Hoffnung und was macht Ihnen Sorgen?

Jung: Hoffnung macht mir, dass wir in der Zeit des Lockdowns gut mit unseren Projekten vorangekommen sind. Da hatte man keine Termine und entsprechend mehr Zeit für die Arbeit. Sorgen macht mir, dass das Ganze länger dauern könnte, als dies für uns wünschenswert ist. Unsere Angebote erfordern viel Aufwand und aktuell werden diese nur wenig angenommen. Wir hoffen, dass die Kölner und die Menschen aus dem Umland wieder erkennen, wie lohnenswert ein Besuch im NS-Dok ist. Gerade jetzt hat man viel Zeit und Ruhe, um sich alles anzuschauen.

Autor: Von Stephan Eppinger | Foto: NS-Dok