Das Symbolbild zeigt das Verkehrszeichen für Einbahnstraße

Köln | Der Umbau der Verkehrsinfrastruktur in Köln ist in vollem Gange. Vor allem die zentralen Achsen sind in der Diskussion und sollen zu Einbahnstraßen werden, wie die Venloer Straße. Jetzt beginnt die Diskussion um die Kalker Hauptstraße. Der Verkehrsausschuss und die Bezirksvertretung Kalk werden das Thema im August diskutieren. Aus der Bevölkerung regt sich Widerstand und der Bürgerverein Kalk und die Standortgemeinschaft Kalk senden einen dramatischen Appell an Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker.

Die Kalker Hauptstraße soll zwischen der Rolshover Straße und der Kapellenstraße zur Einbahnstraße werden. Der Gegenverkehr soll dann über die Dillenburger Straße geleitet werden. Betroffen sind rund 700 Meter der Kalker Hauptstraße. Der Verkehr würde dann entsprechend über die Rolshover Straße und Kapellenstraße abgeleitet. Betroffen ist nur der Bereich der Fahrbahn von Bordsteinkante zu Bordsteinkante nicht die Fußgängerwege. Nur dieser soll umgestaltet werden.

Dies soll jetzt geprüft werden und die Stadtverwaltung soll eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorbereiten. In der Bevölkerung vor Ort regt sich Widerstand. Die Stadtverwaltung wurde aktiv, weil die Politik im Veedel Kalk dies so beschlossen hat.

SPD und Linke waren die Initiatoren

Der Antrag stammt von der Kölner SPD und der Linken vom 25. Mai 2021 mit dem Titel „Mehr Freiraum für die Kalker Hauptstraße in Köln-Kalk“. (AN 1144/2021) Die Stadtverwaltung sollte bis zum 1. Quartal dieses Jahres eine entsprechende Vorlage erarbeiten. Die beiden Parteien wollen die Kalker Hauptstraße vom Autoverkehr befreien und diesen auf die B55 (Dillenburger Straße) verlagern. Zudem sollte die Stadtverwaltung prüfen, wie die Kalker Hauptstraße vom Status Bundesstraße herabgestuft werden könne, da diese Funktionalität von der parallel gebaute B55a übernommen worden sei. Die Kalker Hauptstraße habe seit Jahren keine überörtliche Funktionalität mehr, so SPD und Linke. Hier ist die Kölner Stadtverwaltung schon mit den entsprechenden Behörden in Abstimmung.

Nach Ansicht der Lokalpolitker:innen in Kalk mache die Kalker Hauptstraße das Einzelhandelszentrum unattraktiv. Dazu schreiben SPD und Linke in Kalk, ohne die Studien zu benennen: „Studien weisen nach, dass Radfahrende und zu Fußgehende eher zu Kund*innen werden, als solche in PKW eingepferchte.“

Das hat die Stadtverwaltung herausgefunden

In dem genannten Bereich ist die Kalker Hauptstraße im Querschnitt rund 8 Meter breit. Die Stadtverwaltung sieht einen Konflikt mit den Schutzstreifen für Radfahrende, da dieser zum einen häufig zugeparkt aber auch zu klein für die enormen Verkehrsmengen sei. Die städtische Verwaltung spricht von einem Sicherheitsrisiko. Die Busse der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) und LKW müssen die Schutzstreifen zudem überfahren. Die Erkenntnisse in der Vorlage für die Politik beziehen sich nur auf die verkehrliche Situation. Zu wirtschaftlichen Auswirkungen gibt es keine Anmerkungen.

Das plant die Stadtverwaltung

Die Stadt will konfliktfreie Bereiche für Radfahrende und den Rest an motorisiertem Individualverkehr schaffen. Zudem sollen Fußgänger:innen sich besser bewegen können und es soll geprüft werden, wie sie die Straße besser queren können. Für die beiden Buslinien der KVB 159 und 171 würde eine Einbahnstraßenregelung deutliche Auswirkungen haben: Fahrzeiten verlängern sich und die KVB hätte erhöhte Kosten. Für die Belieferung der Ladenlokale schlägt die Verwaltung Ladezonen vor. Die Stadtverwaltung will die Öffentlichkeit beteiligen, da diese gesetzlich vorgeschrieben ist.

So will die Stadtverwaltung die Öffentlichkeit beteiligen

Die Stadtverwaltung schlägt der Öffentlichkeit drei Varianten vor:

• Variante 1: „Beidseitige Radfahrstreifen“
• Variante 2: „Durch einseitigen Längsparkstreifen geschützter Radfahrstreifen“
• Variante 3: „Geschützter Zweirichtungsradweg“

Die Stadtverwaltung verbindet mit der Öffentlichkeitsbeteiligung drei Ziele:

•  breite Information der Anwohnenden und Nutzenden des Planungsgebietes
• zielgruppengerechte Ansprache zur Gewinnung wertvoller Kenntnisse aus der Stadtgesellschaft 
• Schaffung von Akzeptanz gegenüber dem Vorhaben 

Als Planungsgebiet sieht die Stadt Köln folgenden Bereich:

• Kalker Hauptstraße
• Wiersberg Straße
• Hollwegh Straße
• Neuerburg Straße
• Sievers Straße
• Josephskirch Straße
• Breuer Straße
• Steprath Straße
• Dillenburger Straße

Einladen will die Stadt die Anwohner:innen und Eigentümer:innen sowie Nutzer:innen der Kalker Hauptstraße.

Dann berät die Politik  

Zunächst wird der Verkehrsausschuss am 23. August die Vorlage der Stadtverwaltung beraten, bevor die Bezirksvertretung Kalk am 25. August ihr Votum abgeben wird. Sollte die Bezirksvertretung gleichlautend wie der Verkehrsausschuss votieren, dann käme es nicht zu einer erneuten Debatte dort. Sollte die Bezirksvertretung anders votieren, wird der Verkehrsausschuss in seiner regulären Sitzung am 27. September erneut beraten.

Kritik aus der Stadtgesellschaft und dramatischer Appell an Oberbürgermeisterin Reker

Der Bürgerverein Kalk e.V. und die Standortgemeinschaft Kalk e.V. fordern Oberbürgermeisterin Henriette Reker auf zu intervenieren und schrieben einen offenen Brief an das Kölner Stadtoberhaupt. Basis ist die Planung, die Kalker Hauptstraße zu einer stadtauswärts führenden Einbahnstraße zu machen. Die Fahrtrichtung ist aufgrund der Fahrtrichtung von Einsatzfahrzeugen der Polizei und Feuerwehr so vorgegeben, denn die Polizeiwache Köln-Kalk befindet sich westlich in Walter-Pauly Ring, wie auch die Feuerwache, die in der Gummersbacher Straße untergebracht ist.

In ihrem offenen Brief führen die Akteure der Stadtgesellschaft aus, dass nach Jahren des Niedergangs in Kalk, unter anderem durch Deindustrialisierung, nun wieder ein Hoffnungsschimmer zu sehen sei, dass eine gelungene und sozial gerechte Gentrifizierung stattfinde. Bei der Kalker Hauptstraße sprechen die Bürger:innen vor Ort von einer Magistrale, die Einfluss auf den gesamten Stadtbezirk nehme, der größer ist, als nur der Stadtteil Kalk. 140 Einzelhandelsgeschäfte auf rund 24.000 Quadratmetern böten dort ihre Waren an und dazu kämen Ärzte und andere Dienstleister. Zur Lage des Einzelhandels vor Ort nach der Etablierung der Köln Arkaden schreiben die Initiatoren: „Das Erscheinungsbild der Kalker Hauptstraße wurde und wird maßgeblich beeinflusst durch die Kaufkraft und die Nachfrage der überwiegend sozial schwachen und multiethnischen Anwohner. Seit der Öffnung des Einkaufszentrums hat sie mit erheblichen Trading down Problemen zu kämpfen. Jeweils mit dem Auslaufen der Mietverträge ist bei der Neuvermietung Marginalisierung oder Notvermietung zu beobachten.“

Dazu habe der Handel mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie, der gestiegenen Inflation und Energiekosten sowie fehlendem Personal zu kämpfen. Auch die Abwanderung in Richtung Online-Handel setze dem Einzelhandel vor Ort zu. Aber es gab auch positive Entwicklungen, etwa durch das Schrägparken und die Brötchentaste, die feststellbar zu mehr Geschäftsbetrieb führten.

Auch im Radverkehr sehen die Akteure vor Ort zwei Seiten. Da gibt es einmal die Radpendler:innen und die Radflaneure. Hier kollidieren Nutzungen, so die Bürger:innen.

Kalker fühlen sich überrumpelt

In dem offenen Brief heißt es weiter: „Die Bezirksvertretung will auf die Probleme reagieren, die Lebensqualität im Stadtteil verbessern und bessere Lösungen schaffen. Die Stadtverwaltung hat deswegen vorgeschlagen die Kalker Hauptstraße als Einbahnstraße um zu gestalten. Der Vorschlag wurde von der BV angenommen. Damit wurden Fakten geschaffen und die Kalker völlig überrumpelt. Auf die Beteiligung der o.g. Protagonisten, sowie auf die Hinzuziehung von (wissenschaftlichem) Sachverstand durch IHK, HDE, oder HUG wurde geflissentlich verzichtet. Die Einschätzung des Bürgervereins Kalk und der StandortGemeinschaft Kalk. Ein hilfloser Teil der Bezirksvertretung und eine sowohl qualitativ, als auch quantitativ miserabel besetzte Verwaltung wollen auf dem kleinen Dienstweg eine schnelle Minimal Lösung schaffen. Die jeweils ihrer Klientel gefällt, aber wesentliche Funktionen der Straße und existentielle Bedürfnisse der Anlieger maßgeblich ignoriert. Die Mittel, die die Stadt bei einer Veränderung nach dem Minimalprinzip spart, werden maßgeblich die Händler, Dienstleister und Hauseigentümer mit erheblichen Umsatz- und Mietverlusten bezahlen. Immobilienwerte werden vernichtet werden. Durch das Wegbrechen der Ladenmieten kann der Wertverlust bei einem 100m2 Ladenlokal dabei leicht 250.000 Euro für die Immobilie ausmachen, für die Geschäftstrasse insgesamt 60 Millionen Euro.“

Die Bürgervertreter:innen vermissen den sensiblen Umgang mit der Situation vor Ort. Zwar würden Beispiele aus anderen Städten, Ländern und Kontinenten als positiv bewertet, aber wie viel haben diese mit der Situation vor Ort in Kalk zu tun? Die Bürger:innen werfen damit die Frage auf, ob hier Äpfel mit Birnen verglichen werden. Denn sind die nationalen und internationalen Positivbeispiele vergleichbar mit dem sozialen Gefüge in Kalk, mit der örtlich geringen Kaufkraft und der unmittelbaren Nachbarschaft von Kölns größtem Einkaufszentrum? Berechtigte Fragen.

Die Verfasser:innen des offenen Briefes unterstellen der Kölner Politik und Verwaltung ideologische Politik auf dem Rücken der Bürger:innen. Bei der Stadtverwaltung stapelten sich die Anträge und die Bearbeitung werde um Jahre geschoben. Dazu schreiben die Bürger:innen: „Eine Einbahnstraßenregelung ist allerdings die schwächste aller Lösungen. Die Regelung der Einbahnstraße stadtauswärts verschlimmert dies noch einmal deutlich, weil Besucher und Kunden der Kalker Hauptstraße, die aus dem Bezirk kommen, für ihren Einkauf in Kalk, erhebliche Umwege über den Kalker Norden oder Süden machen müssten. Viele werden deswegen direkt in die Innenstadt durchfahren und dort ihre Geschäfte tätigen. Der aus der Stadt kommende Verkehr wird allerdings seine Kaufkraft bereits in der Stadt gelassen haben.“ Und sie kritisieren die schlechte Erreichbarkeit von Arztpraxen für Senior:innen und Menschen mit Gehbehinderungen. Zudem befürchten sie an den Kreuzungen, die heute schon belastet seien, ein Verkehrschaos.

Dabei belassen es die Verfasser:innen nicht nur bei Kritik, sondern sind konstruktiv: Sie fragen warum werde nicht eine 30er Zone geprüft? Eine Veränderung der Parksituation wieder auf Längsparken um den Querschnitt der Fahrbahnfläche zu verbreitern?

Die Kalker Vertreter:innen verweisen auf negative Erfahrungen

Es gibt Umsatz-Erfahrungen mit der Schließung oder der Einschränkung von Verkehr auf der Kalker Hauptstraße, etwa durch das Rennen rund um Köln, oder die jüngsten Straßenfeste. Schon etwas her, aber hier ist auch noch der U-Bahnbau zu nennen – alle Erfahrungen sind klar negativ. Es gibt auch Erfahrungen in der nächsten Umgebung mit der Umwandlung in Einbahnstraßen. In Erinnerung ist hier, die Taunusstrasse mit katastrophalen Auswirkungen. Bei der Veränderung der Deutzer Freiheit zur Fußgängerzone hören wir das Umsatzeinbußen mancher Händler 50 Prozent erreichen.

Der Bürgerverein Kalk und Standortgemeinschaft Kalk fordern von der Kölner Oberbürgermeisterin:

• Schaffen Sie eine gute Lösung für alle auf der Kalker Hauptstraße, mit guter Ausstrahlung für den ganzen Stadtteil und den Stadtbezirk.
• Experimentieren Sie nicht mit dem Schicksal von ca. 140 Einzelhändlern, Gastronomen, deren Mitarbeiter und der entsprechenden Zahl an Hauseigentümern.
• Benachteiligen Sie nicht die Kalker Hauptstraße im Vergleich zu anderen Geschäftsstraßen dem Einkaufszentrum und dem Onlinehandel.
• Unterlegen Sie Ihr Projekt unbedingt mit wissenschaftlichem Beistand, Expertise und entsprechenden wissenschaftlichen Machbarkeitsstudien
• Beteiligen Sie IHK, HDE, die Kölner HUG und andere.
• Sichern Sie zu, dass insbesondere Besucher mit Handicap genauso schnell einen Parkplatz finden und dann wie früher das gewünschte Ziel fußläufig ähnlich schnell erreichen können.
• Und legen Sie unbedingt belastbare Evaluation aus anderen vergleichbaren umgewandelten Geschäftstrassen vor und zwar vor dem Start der Öffentlichkeitsarbeit.

Lesen Sie zum Thema den Kommentar von Andi Goral