Report-k.de: Sie sind gerade von einem Hilfseinsatz aus Mogadischu in Somalia zurückgekehrt – wie lange waren Sie insgesamt in dort?
Yasmin Hiller: Ich habe insgesamt drei Wochen im Banadir-Krankenhaus gearbeitet.

Philippe Valentin: Mein Einsatz im Benaadir Krankenhaus in Mogadischu dauerte sechs Wochen.

Worin bestand Ihre Motivation für diesen Einsatz, und wie kam es zur Zusammenarbeit mit Cap Anamur?
Hiller: Ich habe 2005 und 2007 jeweils ein halbes Jahr für Cap Anamur gearbeitet, in Liberia und in Angola. Für den Einsatz in dem Krisengebiet Somalia wurde ich kurzfristig von Cap Anamur gefragt und konnte meinen Urlaub vorziehen, um nach Mogadischu zu reisen. Aufgrund meiner Erfahrung in früheren Cap-Anamur-Projekten konnte ich erahnen, was mich vor Ort erwartet und war somit für diese Akutsituation einsatzbereit.

Valentin: Die Not der Hungerflüchtlinge welche nach Mogadischu kommen war Motivation genug. Ich habe vor zwei Jahren länger für Cap Anamur in einem Projekt in Angola gearbeitet und wurde gefragt ob ich kurzfristig und übergangsweise helfen könne das Team vor Ort zu verstärken.

Wie sah ein Arbeitstag in Mogadischu aus?
Hiller: Prinzipiell gibt es keine geregelten Arbeitszeiten, wir haben in einem Gebäude auf dem Krankenhausgelände gelebt und waren somit jederzeit für die lokalen Mitarbeiter ansprechbar. Cap Anamur ist für die vier Kinderstationen in diesem Krankenhaus zuständig, das heißt, meine Kollegen und ich waren für je eine Station verantwortlich. Wir haben den Tag mit der Visite begonnen, die kleinen Patienten untersucht, Neuaufnahmen aufgenommen, das lokale Personal in alltäglichen Krankenhausabläufe geschult, ein Dokumentationssystem eingeführt und Ähnliches. Die chronisch überfüllten Stationen waren vorher sehr unübersichtlich, man konnte nicht nachvollziehen, wann oder ob überhaupt bei den Patienten eine Therapie begonnen hatte.

Valentin: Das Projekt von Cap Anamur konzentriert sich auf die Pädiatrie im Benaadir Krankenhaus. Jeder medizinische Mitarbeiter übernahm eine Abteilung mit zwischen 50 und 80 Patienten. Wir begleiteten die Visite und die Aufnahme neuer Patienten welche mangels Ärzten von lokalen Medizinstudenten durchgeführt wurde. Zu Anfang des Projekts gab es nahezu keine Patientendokumentation und auch zu wenige Medikamente auf den Abteilungen. Wir haben eine einfache Dokumentation eingeführt, die benötigte Medikamentenmenge eingeschätzt und zur Verfügung gestellt. Ausserdem wurde eine kleine Intensivstation eingerichtet in der Sauerstoffgabe und sofortige Bluttests möglich sind und eine genauere Überwachung der schwerst kranken Kinder stattfindet. Insbesondere dort war meist direkte Arbeit an den Kindern gefragt. Mein Arbeitstag ging normalerweise von morgens acht Uhr bis etwa 18Uhr mit Pause durch die in Mogadischu üblichen Gebetszeiten. Ausserhalb der Arbeitszeit wohnten wir auf dem Krankenhausgelände nahe der Pädiatrie, das Gelände konnte Aufgrund der Sicherheitslage nicht verlassen werden. Auf dem Gelände wurden wir bis zu den Stationen von bewaffneten Wachen begleitet welche dort die Eingänge sicherten. 

Als Krankenpfleger ist man einiges gewöhnt. Würden Sie dennoch sagen, dass Sie mit dem Einsatz in Somalia an Ihre Grenzen gegangen sind?
Hiller: Ich denke ja, vor Ort hat man das vielleicht noch nicht so gemerkt, weil man auch ein Stück weit „funktioniert“, hier zu Hause in Ruhe holen mich schon sehr viele Erinnerungen ein.

Valentin: Ja. Die unvorstellbar hohe Zahl an schwerst kranken, unterernährten und sterbenden Kindern ließ mich zeitweise verzweifeln. Leider kam für viele Kinder jede Hilfe zu spät, jedoch konnte auch vielen Kinder geholfen werden die ohne dieses Projekt sicher verloren gewesen wären.
 
Mogadischu gilt als einer der gefährlichsten Orte der Welt. Wie haben Sie den Ort erlebt?
Hiller: Außer dem Krankenhausalltag haben wir ja nicht viel mehr von Mogadischu erlebt.
Wie schon erwähnt, haben wir auf dem Krankenhausgelände in einem Haus hinter einer Mauer gewohnt, sobald wir unser Haus verlassen haben, wurden wir von dem krankenhauseigenem Securitypersonal bis zu unseren Stationen begleitet. Jeder Mitarbeiter war mit einem Funkgerät ausgestattet, morgens und abends gab es immer den Kontrollfunk der UN vor Ort, ob alle  gemeldeten Personen „wohlbehütet“ in ihren Quartieren sind. Abends und nachts konnten wir besonders in den ersten zwei Wochen noch sehr oft Schusswechsel und Detonationen hören, was für mich eine sehr unangenehme Erfahrung war.

Valentin: Ich habe von Mogadischu nur wenig sehen können. Was ich sah waren zerstörte Häuser und Menschen die in den Ruinen hausen. Ich persönlich konnte Keines der vielen Flüchtlingslager in der Stadt besuchen, jedoch konnte ich anhand der Patienten im Krankenhaus einschätzen das die Lage dort verheerend sein muss. Die Sicherheitslage schien sich während meiner Zeit in Mogadischu zu verbessern, zu Anfang hörten wir täglich Gefechte und Explosionen und fast jeder zweite Mann auf der Strasse trug eine Waffe bei sich. Über die Wochen wurden die Gefechte weniger oder entfernter, vereinzelte Schüsse gehörten jedoch zum Alltäglichen trotz das sich die sichtbare Menge an Waffen im Strassenbild deutlich reduziert hatte. Die Menschen kehrten bei meiner Abreise wieder zurück und schienen den Wiederaufbau zu beginnen.


Philippe Valentin
im Krnakenhaus in Somalia


Bevor man sich zu so einer Reise entschließt, informiert man sich doch mit Sicherheit in den Medien. Wie haben Sie persönlich die Situation der Menschen dort erlebt?
Hiller: Natürlich habe ich mich vorher über die Gesamtsituation informiert, aber es besteht ein unüberbrückbarer Unterschied zwischen dem, was man lesen beziehungsweise in kurzen Berichten sehen kann, und dem, was man dann letztendlich in der Realität erlebt und erfährt.

Valentin: Ich habe Mogadischu als einen durch 20 Jahre Krieg und Anarchie zerstörten und nicht funktionierenden Ort erlebt, junge Mitarbeiter erzählten das dieser Zustand der Beste sei den sie je erlebt hätten. So ruhig wie jetzt sei es nie gewesen.

Wie kann man, auch ohne direkt vor Ort zu fahren, den Menschen in Somalia am besten helfen?
Hiller: Ich denke, spenden ist die einzige Möglichkeit, wenn man nicht die Möglichkeit hat als Mitarbeiter einer Hilfsorganisation oder Politiker persönlich aktiv zu werden.

Valentin: Spenden sind notwendig um in diesen Situationen helfen zu können. Ich habe nun zweimalig für Cap Anamur gearbeitet und möchte dies auch in der Zukunft wieder tun da diese Organisation immer mit eigenen Mitarbeitern vor Ort ist und somit dafür sorgt das ein Maximum der Spendengelder bei den Bedürftigen ankommt. Personal- und Organisationskosten werden auf ein Minimum reduziert und das erscheint mir in der heutigen Spendenindustrie unvergleichbar.

Zum Schluss: Würden Sie wieder nach Mogadischu oder ein ähnliches Krisengebiet fahren, um dort zu helfen?
Hiller: Vorerst sicherlich nicht, um das Erlebte erstmal zu verarbeiten, aber wenn irgendwann nochmal die Anfrage von Cap Anamur kommen sollte und ich es mit meinem Alltagsleben vereinbaren kann, könnte ich es mir sicherlich nochmal vorstellen, denn Krisengebiete wird es in dieserWelt wohl immer geben …

Valentin: Ja.

Frau Hiller, Herr Valentin, wir danken Ihnen für das Gespräch. Das Interview führte Dominic Röltgen für report-k.de | Kölns Internetzeitung

[cs, dr, Fotos: Jürgen Escher | Cap Anamur]