Obrhausen | Gäbe es den intensiven Geruch nach frischer Farbe nicht, könnte dies der Himmel sein: ein weißer, transparenter Raum, scheinbar unendlich hoch und weit, lichtdurchflutet, aber kühl. Tatsächlich ist der Raum, den der Besucher betritt, eine Skulptur aus fein gewebtem Polyester, mehr als 90 Meter hoch, und hat ein Volumen von 177.000 Kubikmetern. Von oben fällt Tageslicht in den Gasometer Oberhausen, hinein in die nach Angaben der Aussteller größte Innenraumskulptur der Welt. Sie trägt den Namen „Big Air Package“ und ist ein Werk des bulgarischen Verhüllungskünstlers Christo. Er hat sie nach einem Konzept aus dem Jahr 2010 erschaffen.
„Als das Big Air Package aufgerichtet war, war das, was ich sah, vollkommen unerwartet. Der Stoff hat eine ungeheure Leuchtkraft“, sagt der 77 Jahre alte Künstler in Oberhausen. „Wenn man sich im Inneren des Big Air Package befindet, hat man geradezu den Eindruck, als würde man in Licht baden.“ Vom 16. März bis 30. Dezember ist das Kunstwerk im Ruhrgebiet zu sehen. Dazu gibt es eine Ausstellung, welche die bedeutendsten Projekte von Christo und seiner verstorbenen Frau Jeanne-Claude aus den vergangenen fünf Jahrzehnten zeigt.
Ein Gasspeicher mit künstlerischem Innenleben
In einer hellen Jacke, mit einem dunkel gemusterten Schal um den Hals steht Christo im Bauch seines Werkes. Er lächelt und erzählt, dass er es als Künstler immer noch genieße, den Raum zu betreten. „Von außen kannst du dir nicht vorstellen, was im Inneren ist. Das finde ich sehr aufregend.“ Er hat den mächtigen Gasspeicher, der aus den Zeiten stammt, als das Ruhrgebiet noch von der Schwerindustrie geprägt war, mit einer 20.350 Quadratmeter großen Hülle aus lichtdurchlässigem Gewebe gefüllt. Diese wurde im vergangenen Sommer in Lübeck von einer Spezialfirma zusammengenäht und in sieben Teilen nach Oberhausen geliefert. Hier wurde die Skulptur Stück für Stück zusammengebaut, mit dicken braunen Seilen festgezurrt und aufgeblasen.
„In dem Moment, wo es aufgeblasen war, begann das Big Air Package ein Eigenleben. Es atmet ganz sanft“, sagt Projektleiter Wolfgang Volz, mit dem der Künstler schon seit Jahrzehnten zusammenarbeitet. Später vergleicht Volz seine Wahrnehmungen in dem begehbaren Kunstwerk noch mit einem windstillen Tag am Meer.
Bereits 1966 hatten Christo und Jeanne-Claude ihre erste aus Luft bestehende Skulptur geschaffen, und auch auf der Kunstausstellung Documenta präsentierte er 1968 ein Luftpaket. Das hatte mit einem Volumen von 5.600 Kubikmetern aber lange nicht die Dimension, die sein Werk im Gasometer Oberhausen nun erreicht. Und, wie der Künstler betont: „Diese Werke waren Skulpturen, die nur von außen betrachtet werden konnten.“ Dieses Mal habe er den immensen Raum des Gasometers voll genutzt, 250 Besucher können das gigantische Kunstwerk gleichzeitig von innen erleben.
Auch die Projektzeichnungen sind zu besichtigen
In der Ludwiggalerie im Schloss Oberhausen sind parallel zum „Big Air Package“ die Zeichnungen und Collagen ausgestellt, die Christo für das monumentale Projekt angefertigt hat. Sie waren die Vorlage für die Ingenieure: Nach ihnen entwickelten sie die Materialien, berechneten die Dimensionen des Kunstwerks und erstellten die Schnittmuster.
Es ist das zweite Mal, dass Christo im Gasometer Oberhausen ausstellt. Bereits 1999, damals noch mit seiner Frau Jeanne-Claude, präsentierte er dort die Installation „The Wall“ aus insgesamt 13.000 Ölfässern. Es sei die Weite des Raumes, die ihn so fasziniere, dass er zum zweiten Mal im Gasometer ausstelle: „Das ist außergewöhnlich und einmalig.“
Wie es nach dem 30. Dezember mit dem Kunstwerk weitergeht, ist noch unklar. Vielleicht finde man einen anderen Raum, wo es ausgestellt werden kann, meint Volz. Wenn nicht, werden all die Quadratmeter aus speziell angefertigtem Material industriell recycelt. Auf diese Weise endeten auch all die anderen Kunstwerke von Christo.
Autor: Kathrin Aldenhoff, dapd | Foto: Philipp Guelland/dapd
Foto: Eine Skizze des Ballonprojektes „Big Air Package“ des bulgarischen Künstlers Christo liegt in der Werkstatt der Ballonnäherei „geo – Die Luftwerker“ in Lübeck auf einem Tisch, während eine Näherin an der Ballonhülle für das Kunstwerk arbeitet.