Das Symbolbild zeigt ein Getreidefeld

Köln | dts, red | aktualisiert | Die Entscheidung von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir einen Kompromiss bei Fruchtwechsel und Flächenstilllegung zu suchen findet in beiden Lagern, derer der Umweltschützer und der Verfechter traditioneller Agrarpolitik keine Unterstützung.

Özdemir unterbreitet Ländern Kompromissvorschlag zur Flächennutzung

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hat den Ländern einen Kompromissvorschlag zur Umsetzung der Kommissionsentscheidung zum Aussetzen von Fruchtwechsel und Flächenstilllegung unterbreitet. „Putin spielt mit dem Hunger und er tut dies auf Kosten der Ärmsten in der Welt“, sagte er am Samstag. „Gleichzeitig ist der Hunger bereits dort am größten, wo die Klimakrise schon voll zugeschlagen hat. Für mich gilt daher, dass jede Maßnahme zur Lösung einer Krise darauf hin überprüft werden muss, dass sie eine andere nicht verschärft.“ Die Landwirtschaft in Deutschland habe ein Angebot gemacht, durch Beibehalten der Produktion die Getreidemärkte zu beruhigen. „Die EU hat letzte Woche den Rahmen zur Umsetzung geschaffen. Gestern habe ich den Bundesländern meine Entscheidung zum Kommissionsvorschlag zur Aussetzung von Flächenstilllegung und Fruchtwechsel in 2023 in Deutschland unterbreitet“, so der Minister. Die Landwirte bräuchten Planungssicherheit, was sie in wenigen Wochen aussäen dürfen. „Ich habe mich deshalb entschlossen, auf das Angebot einzugehen und gleichzeitig beim Artenschutz, beim Klimaschutz keine Verschlechterung zu erzielen. Was ich vorlege, ist ein Kompromiss, der an der einen oder anderen Stelle auch wehtut, denn er sieht vor, die eigentlich geplanten zusätzlichen Artenschutzflächen erst 2024 einzuführen“, so Özdemir. In 2023 könnten die Bauern dann auf diesen Flächen weiter Nahrungsmittel anbauen.

„Artenvielfaltsflächen und Landschaftselemente, die schon etabliert sind und längst dem Artenschutz dienen, bleiben unangetastet und dürfen nicht umgebrochen werden. Schließlich leisten sie schon einen wertvollen Beitrag für den Arten- und Klimaschutz und für eine nachhaltige Landwirtschaft“, gab der Grünen-Politiker zur Begründung an. „Ich freue mich, dass die EU meinem Vorschlag gefolgt ist und eine Ausnahme beim Fruchtfolgenwechsel zulässt.“ So könnten die Landwirte im kommenden Jahr ein weiteres Mal Weizen auf Weizen anbauen.

„Auch das habe ich den Bundesländern jetzt vorgeschlagen. Auf diese Art und Weise gelingt es am besten, die Getreideerträge in Deutschland stabil zu halten und damit zur Stabilität der Weltmärkte beizutragen“, sagte der Minister. Er nehme alle beim Wort: „Ich schließe diesen Kompromiss für den Teller, nicht damit Getreide im Tank oder Trog landet – und unsere Ausnahme gilt ausdrücklich nur für 2023. Auch da nehme ich alle beim Wort und auch in die Pflicht. Denn die Länder müssen diesem Kompromiss noch zustimmen“, so Özdemir. „Für mich steht auch fest, dass ich keine Verordnung unterschreiben werde, die den Hunger in der Welt als Argument missbraucht, um mehr für Tank und Trog zu produzieren und beim Artenschutz hinter das, was wir schon erreicht haben, zurückzufallen.“

Union wirft Özdemir bei Ackerflächen-Kompromiss Zögerlichkeit vor

Für die Unionsfraktion im Bundestag kommt die Ankündigung von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), im kommenden Jahr die EU-Regelungen zur Fruchtfolge und zur Stilllegung von Ackerflächen aussetzen zu wollen, zu spät. „Besser spät als gar nicht – aber mit seinem parteitaktisch motivierten Zaudern hat Minister Özdemir wertvolle Zeit im Kampf gegen die globale Ernährungskrise verspielt“, sagte Unionsfraktionsvize Steffen Bilger (CDU) am Samstag. Jetzt müsse der Minister im Eiltempo für eine rechtssichere Umsetzung sorgen.

„Denn unsere Landwirte brauchen rasch Klarheit, was kommendes Jahr konkret gilt. Die Regeländerungen bei der gemeinsamen Agrarpolitik sehe ich nur als ersten Schritt“, so Bilger. „Der Green Deal braucht dringend in weiten Teilen wegen des Kriegs in der Ukraine ein Krisenupdate.“

Grüne gegen Aussetzung der Stilllegung von Ackerflächen

Der umweltpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Jan-Niclas Gesenhues, fordert statt einer Aussetzung der Stilllegung landwirtschaftlicher Flächen die Reduzierung von Getreide in der Futterversorgung und ein Ende des Biosprit-Einsatzes. „Die wenigen Rückzugsflächen für die Artenvielfalt dürfen nicht auch noch in die intensive Bewirtschaftung kommen“, sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Deswegen müsse man an den Stilllegungen festhalten.

„60 Prozent der Getreideernte landet in der Futterversorgung für die Fleischproduktion. Das muss dringend reduziert werden.“ Hinzu komme, dass fünf Prozent der Ackerfläche in Deutschland im Tank lande.

„Der Einsatz von Agro-Kraftstoffen muss schnellstmöglich beendet werden.“ Das Argument, man könne durch Produktion auf Brachflächen das Ernährungsproblem auf der Welt wirklich lindern, sei falsch, sagte er. Der Grünen-Politiker sieht keinen Lebensmittelmangel, sondern ein Verteilungsproblem: „Weltweit stehen eigentlich ausreichend Nahrungsmittel zur Verfügung, aber wir haben ein massives Verteilungsproblem.“

Eine Aussetzung der Stilllegungen wäre „ein weiterer Schlag ins Kontor des Naturschutzes“. Die EU-Kommission hatte als Reaktion auf drohende Lebensmittelknappheit ermöglicht, für ein Jahr Ausnahmen von der geplanten Stilllegung von vier Prozent der Ackerfläche zu machen. Die Umsetzung liegt bei den Mitgliedstaaten.

Die Agrarminister von Bund und Ländern konnten dazu lange keinen Konsens finden. Zuletzt hatte Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) aber einen Umsetzungsvorschlag gemacht.

Umwelthilfe rügt Freigabe von Artenschutzflächen für Ackerbau

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat die Entscheidung von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) kritisiert, Agrarumweltstandards der Gemeinsamen Agrarpolitik zum Fruchtwechsel und zu Brachflächen ab 2023 auszusetzen. „Eben weil wir die Ernährung von Menschen sichern müssen, dürfen nicht die viel zu wenigen und ertragsschwachen Artenschutzflächen weichen, während wir gleichzeitig immer noch 3,4 Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten jedes Jahr in den Tank werfen und 60 Prozent des Getreides in Deutschland für Futtermittel verwenden“, sagte DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. „Das ist Irrsinn.“

Damit verstoße die Bundesregierung klar gegen den Geist ihres Koalitionsvertrages, in dem genau Gegenteiliges versprochen wurde. „Und sie nimmt mutwillig in Kauf, dass für viele Arten wie etwa für stark bedrohte Feldvögel überlebenswichtige Rückzugsflächen in der intensiv genutzten Agrarlandschaft fehlen. Wir fordern Landwirtschaftsminister Özdemir auf, jetzt tatsächlich etwas für die Ernährungssicherung zu tun und die Agrospritförderung sofort zu stoppen und mit Hilfe der Fleischabgabe zügig auf eine Reduktion der Tierbestände hinzuwirken.“

DUH-Agrar-Expertin Reinhild Benning kritisierte: „Das Bundeslandwirtschaftsministerium will, dass auf den freizugebenden Artenschutzflächen nur Lebensmittel angebaut werden sollen. Wie aber will das in Berlin ansässige Bundeslandwirtschaftsministerium überprüfen, ob nicht doch dort angebaute Pflanzen in den Tank oder in den Tiertrog wandern?“ Das sei kaum zu kontrollieren. „Außerdem sind die Flächen zwar artenreich, aber meist sehr arm an Ernteerträgen. Von der Entscheidung profitieren daher wohl kaum die Hungernden, sondern die Pestizidhersteller, für deren Produkte die Anwendungsfläche vergrößert wird“, so Benning.

red01