Düsseldorf/Mönchengladbach/Berlin | aktualisiert | Der Skandal um falsch deklariertes Pferdefleisch ist endgültig in Deutschland angekommen. Der Discounter Real teilte am Mittwochabend in Mönchengladbach mit, dass bei Laboruntersuchungen seiner Ware nicht deklariertes Pferdefleisch in Tiefkühl-Lasagne nachgewiesen worden sei. Das Unternehmen rief das Nudelgericht, das als Eigenmarke der Supermarktkette vertrieben wird, zurück. Für Verbraucher bestehe aber keine gesundheitliche Gefahr.

00:44 Uhr > EU-Kommission macht sich für Gentests für Fleischprodukte stark

Bei dem Nudelgericht handelt es sich den Angaben zufolge um das Produkt „TiP Lasagne Bolognese, 400g, tiefgekühlt“. Mit dem Laborergebnis genüge das Gericht nicht mehr den Qualitätsansprüchen des Unternehmens, hieß es. Kunden, die das Produkt gekauft haben, könnten es in allen Real-Märkten gegen Erstattung des Kaufpreises zurückgeben.

Das Produkt sei bereits am Freitag nach einem Hinweis des Herstellers aus den Regalen genommen worden, sagte ein Sprecher des Unternehmens auf Anfrage der Nachrichtenagentur dapd. In der Zwischenzeit seien dann aus dem Labor die Ergebnisse gekommen. „Vereinzelt“ sei demnach Pferdefleisch bei den Stichproben nachgewiesen worden, sagte er. Über Zulieferer für die Lasagne-Zutaten wollte Real aber keine Angaben machen.

Real könnte im Zuge des Pferdefleisch-Skandals nicht das einzige betroffene Unternehmen in Deutschland bleiben – denn auch bei anderen Produkten besteht bereits der Verdacht auf eine Verbrauchertäuschung durch falsch deklariertes Fleisch. Nach Erkenntnissen des nordrhein-westfälischen Verbraucherministeriums wurden zwischen November und Januar „in größerem Umfang“ verdächtige Tiefkühlprodukte in die Bundesrepublik geliefert. Unter Verdacht stehen den Angaben zufolge unter anderem Produkte der Kaiser’s Tengelmann Eigenmarke „A&P“, der Edeka-Marke „Gut & Günstig“, der Markant-Marke „Jeden Tag“ und des Tiefkühldienst-Unternehmens Eismann. Der Beweis dafür stand zunächst allerdings aus, da die Labortests mehrere Tage in Anspruch nehmen.

Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) verlangte nach Bekanntwerden der Verdachtsfälle eine schnelle und lückenlose Aufklärung des Skandals. „Wir haben es hier mit einem schlimmen Fall von Verbrauchertäuschung zu tun – das ist ein klarer Verstoß gegen geltende Gesetze“, erklärte Aigner. Kunden seien offenbar systematisch getäuscht worden.

EU-Kommission will Gentests für Fleischprodukte

Die EU-Kommission fordert als Reaktion auf den Pferdefleisch-Skandal unterdessen DNA-Tests für verarbeitete Fleischprodukte. In einer ersten Phase sollten für 30 Tage je 2.500 Genproben von deklarierten Rindfleischprodukte genommen werden, sagte Verbraucherkommissar Tonio Borg am Mittwoch nach einem Dringlichkeitstreffen mehrerer EU-Landwirtschaftsminister in Brüssel. Dadurch solle das Ausmaß des Betruges aufgedeckt und das Verbrauchervertrauen zurückgewonnen werden. Am Freitag sollen Ländervertreter in Brüssel über den Vorschlag der Kommission beraten.

„Die Menschen haben ein Recht zu wissen, was sie essen“, sagte der irische Landwirtschaftsminister und amtierende Ratsvorsitzende Simon Coveney. Nach seinen Angaben deckte ein DNA-Test nach einem Anfangsverdacht in Irland am 15. Januar den Etikettenschwindel auf. In dem untersuchten vermeintlichen Rindfleisch-Burger habe zu fast einem Drittel Pferdefleisch gesteckt.

Iren und Briten haben sich bereits hinter die systematischen DNA-Tests für verarbeitete Fleischprodukte gestellt. Am Freitag wird sich zeigen, ob alle Staaten dazu bereit sind. Vor Deutschland waren Täuschungsfälle bereits in Irland, Großbritannien und Frankreich aufgeflogen.

23:30 Uhr > Pferdefleisch-Skandal trifft deutschen Handel – Verdächtige Produkte sollen „in größerem Umfang“ in die Bundesrepublik geliefert worden sein

Der Pferdefleisch-Skandal hat nun auch Deutschland erreicht. Nach Erkenntnissen des nordrhein-westfälischen Verbraucherministeriums wurden zwischen November und Januar „in größerem Umfang“ verdächtige Tiefkühlprodukte in die Bundesrepublik geliefert. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) sprach am Mittwoch von einem „schlimmen Fall von Verbrauchertäuschung“ und verlangte eine schnelle und lückenlose Aufklärung der Vorgänge.

Undeklariertes Pferdefleisch könnte nach Angaben des nordrhein-westfälischen Verbraucherschutzministers Johannes Remmel (Grüne) unter anderem in Produkten der Kaiser’s Tengelmann Eigenmarke „A&P“, der Edeka-Marke „Gut & Günstig“, der Markant-Marke „Jeden Tag“ und des Tiefkühldienst-Unternehmens Eismann enthalten gewesen sein. Allerdings steht der Beweis dafür noch aus.

Die deutschen Behörden waren am Dienstagabend über das europäische Schnellwarnsystem für Lebensmittel alarmiert worden. Nach bisherigen Erkenntnissen hatte ein Luxemburger Zwischenhändler die verdächtigen Produkte an ein Kühlhaus in Nordrhein-Westfalen geliefert. Doch sei nicht auszuschließen, „dass auch weitere Produkte, Unternehmen oder Bundesländer betroffen seien“, hieß es im Bundesverbraucherministerium.

Die für die Lebensmittelüberwachung in Nordrhein-Westfalen zuständigen Behörden waren am Mittwoch damit beschäftigt zu prüfen, ob die verdächtigen Produkte bereits alle vom Markt genommen wurden. Außerdem bemühten sie sich, Proben sicherzustellen. Erste Produkte seien bereits in den Labors, doch werde der Test wohl drei Tage dauern, sagte Remmel. Erst dann könne gesagt werden, ob und wenn ja, wie viel Pferdefleisch die Produkte enthielten.

14:54 Uhr > Treffen in Brüssel

Betroffene Unternehmen hatten aber offenbar schon vor der aktuellen Warnung aus Brüssel Verdacht geschöpft und den Verkauf einiger Produkte gestoppt. Allerdings seien die Behörden darüber nicht informiert worden, berichtete der Minister. Dies sei zwar rechtlich nicht zu beanstanden, erschwere aber die Aufarbeitung des Skandals.

So hatte die Supermarktkette Real bereits vor einigen Tagen vorsorglich den Verkauf von Mini Cheeseburgern des Lieferanten Agro on sowie von Lasagne der eigenen Handelsmarke Tip eingestellt. Der Konkurrent Kaisers’s Tengelmann nahm Tiefkühl-Lasagne der Hausmarke A&P aus dem Verkauf. Auch Eismann hatte schon in der vergangenen Woche Lasagne-Produkte aus dem Angebot genommen. Alle drei Unternehmen betonten allerdings, es handele sich um vorsorgliche Maßnahmen.

Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka erklärte auf Anfrage, er prüfe derzeit seine Eigenmarkenprodukte. Bislang lägen aber noch keine Ergebnisse vor. Konkurrent Rewe teilte mit, von den bisher im Pferdefleisch-Skandal ins Zwielicht geratenen Lieferanten bezögen weder das Unternehmen selbst noch die Tochterfirmen Penny oder Toom Ware. Auch die Discounter Aldi und Lidl erklärten, sie seien vom Pferdefleisch-Skandal in Deutschland nicht betroffen.

Die Bundesregierung wollte am Abend in Brüssel an einer Sondersitzung zu dem Thema teilnehmen.

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WISSEN

Lebensmittel-Lügen satt – Hühnersuppe ohne Huhn, Putensalami aus Schwein, Schinkenimitate: Drei Viertel aller Verbraucher fühlten sich schon vor dem Pferdefleisch-Skandal getäuscht

Der Verdacht, dass auch in Deutschland Fertiglasagne mit Pferde- statt Rindfleisch in den Regalen liegt, sorgt für Empörung. So richtig wundern dürfte das aber nur die wenigsten Bundesbürger. Denn schon vor dem Skandal fühlten sich 72 Prozent der Verbraucher von der Lebensmittelindustrie häufig getäuscht und an der Nase herumgeführt, wie die jüngste Studie des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv) von Ende Januar ergab.

Tatsächlich halten nach Ansicht von Verbraucherschützern unzählige Produkte nicht das, was auf der Verpackung so vollmundig und appetitlich bebildert angekündigt wird. Von wegen Erdbeerquark mit „extra viel Frucht“, Apfelkuchen „aus unserer Region“, Schafskäse „nach traditioneller Art“: Da werden beispielsweise Früchte in Joghurt oder Quark durch kostengünstige Aromen ersetzt. Ein Gramm Aroma kann etwa einem Kilogramm Lebensmittel den Wunschgeschmack geben. Das ist erlaubt und gilt sogar für Tiefkühlobst, eingelegte Gurken, Margarine oder Fischkonserven.

In der Putensalami steckt vor allem Schweinefleisch drin, in der Hühnersuppe kein Stückchen Huhn, im Rucola-Pesto vorrangig Petersilie und im Wellness-Wasser wiederum Aroma. Der Maracujasaft strotzt nur so vor Orangenextrakt, der vermeintlich griechische Schafskäse ist aus der billigeren Kuhmilch gemacht und die Äpfel auf dem Kuchen stammen garantiert nicht aus der Heimatregion.

Die vielen Mogeleien und Irreführungen häufen sich, wie Armin Valet von der Hamburger Verbraucherzentrale berichtet. „Das verunsichert die Konsumenten und nervt.“

Schinken- und Käseimitate auf Pizzen

Nicht einmal auf Angaben wie „ohne Konservierungsstoffe“, „ohne Geschmacksverstärker“ oder „ohne Farbstoffe“ ist Verlass, wie Verbraucherschützer warnen. Damit werde Getränken, Milchprodukten, Tiefkühlkost oder Fertiggerichten nur ein natürliches Image angeheftet. Mehr steckt nicht dahinter. Was die Täuschungsmanöver entlarven kann, ist ein Blick auf die Zutatenliste. Die muss in vollständig sein.

„Gang und gäbe“ seien inzwischen auch Billigimitate, betont Ernährungsexperte Valet. Nachbauten machen Essen billiger. Angefangen hat der Trend mit „Analogkäse“. Das Imitat sieht aus und schmeckt wie Käse, hat mit dem Naturprodukt aus Milch aber wenig zu tun. Es wird preisgünstig kreiert aus Eiweiß, Pflanzenfetten, Verdickungsmitteln, Geschmacksverstärkern, Aroma- und Farbstoffen. Dazugekommen sind mittlerweile jede Menge Schinkenimitate, in denen nur noch etwa 60 Prozent echtes Fleisch drin steckt. Der Rest besteht aus Wasser, Binde- und Verdickungsmitteln. Analogkäse und Schinkennachbauten sind auf Pizzen und in Nudelgerichten zu finden – in Fertigessen wie auch in der Gastronomie. Käseimitate zieren häufig auch überbackene Brötchen oder Laugenstangen.

Außerdem im Angebot: Nachgeahmte Garnelen, Surimi genannt. In dem laborgeformten, gefärbten und aromatisierten Fischbrei ist von Garnelen keine Spur zu finden. Trotzdem landet er in Meeresfrüchtecocktails. Grundsätzlich sind Imitate erlaubt – solange sie als solche ausgewiesen werden. Nur: Die Lebensmittelüberwachung der Länder findet immer wieder falsch deklarierte Produkte, auch in der Gastronomie, wie Valet kritisiert. Verbraucher haben nur dann eine Chance zu merken, was sie sich einverleiben, wenn Händler und Gastronomen fair sind.

Von wegen Steak

Zur Trickkiste gehört auch „Klebefleisch“: Das Enzym Transglutaminase macht es möglich, Fleischfetzen zu einem ganzen Stück zusammenzufügen. Es wird aus einem Bakterium gewonnen, dem Streptomyces mobaraensis, und vernetzt die Proteinstränge in Nahrungsmitteln. So entstehen täuschend echt aussehende Scheiben Rinderfilet, Nussschinken oder Hähnchenfleischschnitzel. Oder eine Scheibe Fisch aus Resten. Eine neue Qualität der Irreführung, wie Jutta Jaksche vom vzbv bemängelt. Das Enzym macht auch Würstchen knackiger, Schinkenscheiben fester und Joghurt haltbarer.

Transglutaminase ist erlaubt, nicht gesundheitsbedenklich und in der Lebensmittelindustrie neuerdings gang und gäbe. Das Ausgangsmaterial für Mogel-Fleisch, die Reste, sind billiger als ein gewachsenes Stück. Eigentlich müsste es auf der Verpackung draufstehen, wenn das Enzym im Spiel war. Auch in Metzgereien, Gaststätten und Kantinen muss informiert werden. Nur halten sich Erzeuger, Handel und Gastronomie vielfach nicht daran, wie Verbraucherschützer monieren.

Wer den Tricks nicht auf den Leim gehen will, muss beim Einkaufen aufpassen wie ein Luchs und das Kleingedruckte über Zutaten und Mengen möglichst genau studieren. „Aber wer macht das schon beim Einkaufen“, gibt Valet zu bedenken. Und wenn, wie beim Pferdefleisch, der Inhalt von vornherein falsch deklariert ist, haben Konsumenten ohnehin keine Chance, nicht über den Tisch gezogen zu werden.

Autor: Holger Vieth, Berrit Gräber, dapd | Massimo Cavallo/fotolia
Foto: Pferdefleisch abgepackt