Köln | Mit seiner Foto-Ausstellung „Hyperlokal“ im Rahmen des Festivals der Internationalen Photoszene Köln 2014 ist Frank Domahs an gleich zwei Standorten vertreten: vor der report-k.de-Redaktion in der Körnerstraße und im Bürgerhaus Stollwerck. report-k.de sprach vor der offiziellen Ausstellungeröffnung mit dem Kölner Fotografen über sein Projekt und seine Erfahrungen während seiner Aufenthalte in Port-au-Prince, das neben Köln in seiner Ausstellung thematisiert wird.

report-k.de: Zur Internationalen Photoszene zeigen Sie an zwei Orten Arbeiten. Einmal in Ehrenfeld und einmal im Bürgerhaus Stollwerck. Was erwartet die Besucher wo?

Domahs: In Ehrenfeld, in der Körnerstraße 59, sind Bilder der Haltestelle Parkgürtel / Geldernstraße ausgestellt und im Bürgerhaus Stollwerck Bilder von Menschen aus Port-au-Prince, der Hauptstadt Haitis.

Fangen wir in Übersee an. Wie kam es zum Kontakt nach Haiti?

Vor einigen Jahren habe ich eine Charity-Veranstaltung des Vereins „LESPWA – Hoffnung für Kinder in Haiti“ fotografiert. Als dann das Erdbeben in Haiti war, half ich dem Verein bei seiner Öffentlichkeitsarbeit. Ein Jahr später lud mich dann Dr. Barbara Höfler nach Port-au-Prince ein, um ihre Arbeit und die von OPEPB, dem Werk der Kleinen Schulen, zu dokumentieren.

Wie oft waren Sie mittlerweile in Haiti?

Inzwischen war ich dreimal dort.

Wie reagieren die Menschen in Haiti auf Kameras?


Grundsätzlich sind die Menschen eher zurückhaltend. Wenn sie aber Vertrauen haben, sind sie schon aufgeschlossen.

Da Sie mittlerweile mehrfach dort waren, hat sich etwas verändert, geht der Wiederaufbau nach dem großen Beben voran?

Ich kenne die Lage in Port-au-Prince vor dem Beben nicht. Aber in den letzten drei Jahren konnte ich schon langsame Fortschritte sehen. Immer mehr einsturzgefährdete Häuser sind eingerissen. Oftmals dauert es aber noch lange, bevor der Schutt dann auch abtransportiert werden kann. Allerdings geht es nicht nur um den „Wiederaufbau“. Was helfen Straßen und neue Hütten, wenn die Leute keine Jobs haben, die größtenteils alleinerziehenden Mütter in den Slums sich prostituieren müssen, um ihre Kinder durchzubringen?

Wie ist die Lage der Menschen dort, der Familien und der Kinder?

In ein paar Sätzen ist das kaum zu beantworten. Ich spreche jetzt von den etwa 80 Prozent der Menschen, die in den ärmeren Vierteln und Slums der Stadt leben. Man hat den Eindruck, dass die Menschen dort alle traumatisiert sind. Kinder hocken mit leerem Blick vor den Hütten. Nur sehr selten habe ich Spielzeug gesehen. Mit ihnen beschäftigt sich niemand und zwischen Trümmern und Müll finden sie auch kaum einen Platz, um sich zu entfalten.

Die Mütter sind meist vollkommen überfordert, da sie selten weniger als drei-vier Kinder zu versorgen haben. Väter existieren fast gar nicht. Wenn sie ihre Familien nicht mehr ernähren können, verschwinden sie einfach und suchen sich eine neue Frau. Dies wird dort als Normalität angesehen und findet seinen Grund noch immer aus der Zeit der Sklaverei. Dort war es verboten zu heiraten und Familien zu gründen. Beziehungen aus Liebe scheinen dort ein Luxusgut zu sein.

Als Kölner lebt man in der eigenen Stadt relativ sicher, alles ist geregelt, der Supermarkt um die Ecke und wenn man etwas vergessen hat, kann man schnell zum Büdchen huschen. Wenn man jetzt in Haiti ist, ist das alles anders, was machen diese Erfahrungen mit Ihnen?

Was man wirklich schätzen lernt: Sich frei bewegen zu können und nach Einbruch der Dunkelheit auf die Straße zu gehen. Dies vermeiden auch die Einwohner von Port-au-Prince, für Europäer kann dies lebensgefährlich sein. Das man in Köln nicht sicher sei, erscheint einem vollkommen übertrieben.

Als Fotograf sind Sie ein genauer Beobachter, ein Meister des Augenblicks, auch dann wenn die Bedingungen schwierig sind. Wir erinnern uns an das Foto beim Einsturz des Kölner Stadtachivs, als der junge Mann vor dem Abgrund im dritten Stock in seiner abgerissenen Wohnung stand und mit dem Handy telefonierte. Ein Foto, das um die Welt ging und für das Sie mehrfach ausgezeichnet wurden. Werden Sie dann besonders ruhig und konzentriert oder wie schafft man es dann auch noch die Sensualität für solche Bilder zu entwickeln?


Ohne Ruhe funktioniert das für mich nicht. Ich muss aus der Szene zurücktreten können und mich darauf einlassen, was gerade passiert. Das Bild vom Einsturz entstand ebenso. Ich stand vor dem Archiv, als es knackte und ich musste weg rennen, um nicht darunter begraben zu werden. Als ich dann anfing zu fotografieren, war ich kein Beteiligter der Situation mehr, sondern suchte nach den Bildern.

Eigentlich kann man, zumindest Ihre Arbeiten der letzten Jahre als klassische Reportagefotografie beschreiben, ungekünstelt, nicht inszeniert. Was reizt Sie daran?

Wo fängt in der Fotografie die Inszenierung an? Eigentlich ja schon bei der Wahl des Blickwinkels. Spannend finde ich es aber, wenn die Menschen trotzdem ganz bei sich bleiben können – ob ich sie jetzt bewusst irgendwo hinstelle, oder in der Situation „erwische“. Dann können diese Bilder auch etwas erzählen.

Jetzt reisen und arbeiten Sie nicht im Zugfeld großer Pressefotoagenturen wie AP, um nur eine zu nennen, sondern auf eigene Faust. Ist das nicht ungleich schwieriger oder eröffnet dies neue und andere Perspektiven?

Eine Zeit lang habe ich für eine Boulevardpresseagentur gearbeitet. Ist sehr praktisch: Man bekommt gesagt, wohin man gehen soll und muss sich auch nicht um die Aquise kümmern. Für mich war das nur nichts, da ich Boulevardthemen unerträglich finde. Wenn man kein wirkliches Interesse an dem Thema und den Menschen dahinter hat, lässt man es besser. Große Agenturen haben meist den Nachteil, dass man kaum den Raum findet, sich tiefer in ein Thema einzuarbeiten. Auf meinem ersten Rückflug lernte ich einen Fotografen kennen, der für eine solche Agentur fünf Tage in Haiti war. So konnte er auch nur Klischees bedienen. Beispielsweise eine Voodoo-Zeremonie. Das sind für unsere Augen zwar recht exotische Abbildungen – wird dem Thema aber überhaupt nicht gerecht.

Was treibt Sie als Fotograf an, was ist das perfekte Bild für Frank Domahs?

Bilder, die man sich anschaut und „Schön“ sagt, finde ich uninteressant. Spannend finde ich Fotos, die mir etwas erzählen können oder die mich dazu bringen, über etwas nachzudenken.

In Köln haben Sie Fotos mit Ihrem Smartphone vom Büdchen an der Geldernstraße gemacht. Warum das Smartphone?

Da ich mein Smartphone eh immer dabei habe und ich damit niemanden verschrecke. Dafür sind diese Dinger gut geeignet – dass sie technisch natürlich nicht so toll sind, ist für den Inhalt der Bilder eher uninteressant.

Was interessiert Sie an einem Ort, an dem wahrscheinlich 99 Prozent der klassischen Fotografen vorbeigehen würden?

Das Hinschauen. Es ist doch ungeheuer spannend, welche Menschen diese Haltestelle bevölkern.

Die Bilder sind vor dem Fenster der Redaktion von Kölns Internetzeitung mitten im Veedel 24 Stunden zu sehen. Gibt es einen roten Faden zwischen der Ausstellung Haiti im Bürgerhaus Stollwerck und der Ausstellung im Viertel?

Der Blick auf eine eigene Welt, die wir entweder nicht sehen können oder ausblenden.


Auf google+ haben Sie über 95.000 Follower, das ist für einen Fotografen eine unglaubliche Zahl und Sie dürften damit weit vor allen anderen deutschen Fotografen und sogar weit vor großen Medienportalen liegen. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

Im Gegensatz zu Medienportalen und Bloggern, die ihre Texte dort einstellen, hat man als Fotograf den Vorteil, dass die Sprachbarrieren entfallen. Meine Follower kommen aus der ganzen Welt. Ich war recht früh dabei, da ich in dieser Plattform ein geeignetes Werkzeug sah, Menschen mit meinen Bildern zu erreichen und offensichtlich scheinen diese die Menschen zu berühren.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was ihre Bilder und auch die jetzt aktuellen Ausstellungen bewirken sollen, was oder wie sieht der aus?

Einerseits, dass die Menschen Spaß daran haben, ihre Umwelt genauer zu beobachten. Andererseits möchte ich gerade mit meinen Bildern aus Port-au-Prince die Erinnerung an die Menschen dort wach halten! Haiti wird noch sehr lange unsere Unterstützung und gut überlegte, nachhaltige Hilfe benötigen!

Wie finanziert man eigentlich als freier Fotograf eine Reise wie Haiti. Früher unterstützten Redaktionen solche Reisen, soweit uns bekannt ist, ist das heute nicht mehr so?

Auf meinem ersten Rückflug von Haiti traf ich einen Fotografen einer deutschen Pressebildagentur. Er wurde für fünf Tage dorthin geschickt. In der Zeit hat man kaum eine Chance, dem Land und den Menschen dort näher zu kommen. Mehr finanzieren diese Agenturen ihren Fotografen aber in der Regel nicht.

Unter anderem dokumentiere ich in Port-au-Prince für OPEPB und LESPWA den Wiederaufbau und die Arbeit. Als ich das letzte Mal dort war, habe ich für OPEPB auch zwei Lehrfilme gemacht. Dafür bekomme ich meine Unkosten erstattet und profitiere sehr von diesen Kontakten vor Ort und dem hohen Ansehen, welches Dr. Barbara Höfler in Port-au-Prince geniesst.

Sehen Sie Chancen auch im Crowdfunding für solche Fotoreisen?

Bei solchen Einzelprojekten bin ich skeptisch. Auf der einen Seite bekomme ich viel Zuspruch und Interesse – andererseits glaub ich nicht an die Bereitschaft der „Crowd“, für solche Projekte Geld auszugeben.  

Ihre Bilder waren auch bei der „Zeit“ und anderen Institutionen abgedruckt. Welche Resonanz gab es?

Mir persönlich gegenüber keine. Aus den Kommentaren dort konnte man aber erkennen, dass die Menschen durchaus aufgeschlossen sind, wenn man ihnen solche Themen präsentiert.

Sie kehren immer wieder nach Köln zurück, warum?

Als ich das letzte mal zurückkam, fuhr ich am nächsten Morgen, es war ein Sonntag, mit dem Fahrrad durch Köln und dachte mir: Wir leben hier in einem riesigen Wohnzimmer!

Vielen Dank für das Interview.

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[infobox]Report-k.de | Kölns Internetzeitung präsentiert

Frank Domahs: „Hyperlokal“ – Eine Ausstellung an zwei Orten in Köln

Zwei Foto-Orte, Entfernung Luftlinie 7.675 km:
Port-au-Prince, Haiti und Köln, Geldernstraße.

Zwei Ausstellungsorte in Köln:
5.0 Kilometer Entfernung.

Mitten im Veedel Smartphone-Fotos von Menschen am Kiosk, in der U-Bahn, Köln-Nord, Geldernstraße.
Präsentiert im Fenster der Redaktion von report-k.de / Kölns Internetzeitung in der Körnerstraße, 24/7.


Fotos aus Haiti von Frank Domahs ab 19.8. im Bürgerhaus Stollwerck

Bilder von Menschen aus Haiti, Port-au-Prince: Bürgerhaus Stollwerck, multikultureller Veranstaltungs-Melting-Pot in der Kölner Südstadt.

Fotografien des Kölners Frank Domahs von Menschen in ihren hyperlokalen Zusammenhängen.
Beide Ausstellungen vom 19.8. bis 30.9.2014.

Vernissage: 19.8.2014, 19 Uhr
Bürgerhaus Stollwerck
Dreikönigenstraße 23
Köln – Altstadt Süd

Die Website des Fotografen Frank Domahs >

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Autor: Andi Goral