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Berlin | dts | Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Konjunkturprognose deutlich gesenkt. Das geht aus dem Frühjahrsgutachten der Ökonomen hervor, welches am Mittwoch veröffentlicht wurde. In ihrer Gemeinschaftsdiagnose prognostizierten die Konjunkturforscher demnach nur noch ein Wachstum der deutschen Wirtschaftsleistung von 2,7 Prozent im laufenden Jahr.

Im Herbst waren sie noch von 4,8 Prozent ausgegangen. Für 2023 erwarten sie ein Wachstum von 3,1 Prozent. Die Erholung von der Coronakrise werde infolge des Kriegs in der Ukraine gedämpft, behalte aber die Oberhand, hieß es zur Begründung.

„Der Erholungsprozess der deutschen Wirtschaft verzögert sich abermals“, sagte Stefan Kooths, Vizepräsident und Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel). „Das Konjunkturbild ist geprägt durch gegenläufige konjunkturelle Strömungen, die allesamt preistreibend wirken.“ Der Wegfall der Pandemiebeschränkungen sorge für konjunkturellen Auftrieb.

Lieferketten nach wie vor unter Stress

„Dämpfend wirken die Nachwehen der Coronakrise, weil Lieferketten immer noch unter Stress stehen. Die Schockwellen durch den Krieg in der Ukraine belasten die Konjunktur sowohl angebots- wie nachfrageseitig.“ Schon die staatlichen Hilfspakete während der Pandemie hätten preistreibend gewirkt.

„Die Verteuerung wichtiger Energierohstoffe nach dem russischen Überfall fachen den Preisauftrieb weiter an“, so Kooths. Aufgrund der hohen Unsicherheit über die für die deutsche Wirtschaft wichtigen Gaslieferungen aus Russland berechneten die Institute in ihrem Frühjahrsgutachten zwei Szenarien für die konjunkturelle Entwicklung. Das eine geht von fortgesetzten Gaslieferungen und keinen weiteren ökonomischen Eskalationen aus (Basisszenario), das andere von einem sofortigen Stopp russischer Gaslieferungen (Alternativszenario).

2023 könnte BIP steigen

Im Basisszenario legt das deutsche BIP im Jahr 2022 um 2,7 Prozent zu, im Falle eines Lieferstopps nur um 1,9 Prozent. Maßgeblich für die Revision sind neben dem Ukraine-Krieg der ungünstige Pandemieverlauf im zurückliegenden Winterhalbjahr. 2023 dürfte das BIP um 3,1 Prozent steigen, im Falle eines Lieferstopps um 2,2 Prozent sinken (Herbstgutachten: +1,9 Prozent).

Der kumulierte BIP-Verlust beläuft sich im Falle eines Lieferstopps allein in den beiden Jahren 2022 und 2023 auf rund 220 Milliarden Euro, was mehr als 6,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung entspricht. Für das laufende Jahr rechnen die Institute mit einer Inflationsrate von 6,1 Prozent, dem höchsten Wert seit 40 Jahren. Im Falle eines Lieferstopps für russische Energie würden sogar 7,3 Prozent erreicht, der höchste Wert seit Bestehen der Bundesrepublik.

Auch im kommenden Jahr dürfte die Rate mit 2,8 Prozent (Lieferstopp: 5,0 Prozent) deutlich über dem Durchschnitt seit der Wiedervereinigung liegen. Die Arbeitslosenquote liegt im Basisszenario in beiden Prognosejahren bei 5,0 Prozent (nach 5,7 Prozent im Vorjahr). Im Fall eines Lieferstopps dürften die Raten 5,2 Prozent (2022) und 6,0 Prozent (2023) betragen.

Belastungen für die Konjunktur würden in diesem Fall im Wesentlichen über eine reduzierte Arbeitszeit aufgefangen werden. Das Defizit der öffentlichen Haushalte verringert sich, weil Pandemiehilfen auslaufen, die Staatseinnahmen im Zuge des Aufschwungs steigen und die Sondervermögen für Klimaschutz und Verteidigung wohl nur in geringem Umfang abfließen. Das Defizit sinkt laut Prognose auf 52,2 Milliarden Euro im laufenden Jahr und auf 27,9 Milliarden Euro im kommenden Jahr.

Bei einem Lieferstopp wird 2022 ein Defizit von gut 76 Milliarden Euro (2,0 Prozent in Relation zum BIP) erwartet und für 2023 von etwa 160 Milliarden Euro (4,1 Prozent in Relation zum BIP). „Bei einem Stopp der Gaslieferungen droht der deutschen Wirtschaft eine scharfe Rezession“, sagte Kooths. „Wirtschaftspolitisch käme es dann darauf an, marktfähige Produktionsstrukturen zu stützen, ohne den Strukturwandel aufzuhalten.“

Hilfen nur dosiert angehen

Dieser werde sich für die gasintensiven Industrien auch ohne Boykott beschleunigen, da die Abhängigkeit von den bislang günstig zu beziehenden russischen Lieferungen so oder so rasch überwunden werden solle. „Auch die Hilfen für private Haushalte zum Abfedern hoher Energiepreise sollte die Politik nur sehr zielgerichtet dosieren.“ Würden solche Hilfen auf breiter Front ausgereicht, treibe das zusätzlich die Inflation und torpediere den wichtigen Lenkungseffekt höherer Energiepreise. „Das verschärft wiederum die Probleme einkommensschwacher Haushalte und erhöht die gesamtwirtschaftlichen Kosten“, so Kooths. Zu den Wirtschaftsinstituten, die zweimal jährlich Diagnosen über die wirtschaftliche Lage in Deutschland erstellen, zählen neben dem IfW das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH Halle), das Münchener Ifo-Institut und das RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung.