Karlsruhe | aktualisiert | Der Skandal um die Rolle des Bundesnachrichtendienstes (BND) beim mutmaßlichen Ausspähen befreundeter Regierungen und europäischer Industrieunternehmen beschäftigt nun auch Generalbundesanwalt Harald Range. Der niedersächsische Ministerpräsident Weil fordert vollständige Aufklärung, der grüne Innenpolitiker Ströbele sieht eine strafrechtliche Dimension und die Schriftstellerin Julie Zeh wirft Kanzlerin Angela Merkel Passivität vor. Die „Bild“-Zeitung meldet, dass der BND die abgefangenen Daten auch für eigene Zwecke ausgewertet habe.

Die Karlsruher Bundesanwaltschaft leitete inzwischen einen entsprechenden Prüfvorgang ein, wie der „Spiegel“ berichtet. Geklärt werden soll demnach insbesondere, „ob ein Anfangsverdacht für eine in unsere Zuständigkeit fallende Straftat vorliegt“, hieß es aus der Behörde.

Deutschlands oberste Ermittlungsbehörde ist unter anderem für die Strafverfolgung von Spionage und Landesverrat zuständig. Zuvor war bekannt geworden, dass der US-Geheimdienst NSA den BND offenbar über Jahre hinweg mit Tausenden fragwürdigen Zieldaten für Abhöraktionen beliefert hatte.

BND wertete abgefangene Daten für eigene Zwecke aus

In der Spionageaffäre um den Bundesnachrichtendienst (BND) soll die Behörde im bayerischen Bad Aibling abgefangene Daten nicht allein an den US-Geheimdienst NSA weitergegeben haben: Wie „Bild“ (Samstag) unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtet, wertete der deutsche Nachrichtendienst die NSA-Daten immer wieder für sich selbst aus. Das bestätigten Beteiligte des NSA-Untersuchungsausschusses gegenüber der Zeitung. Nach der Filterung sogenannter „Selektoren“ zum Ausschluss deutscher Staatsbürger wurden die erfassten Kommunikationsdaten europäischer Konzerne, Ministerien und Behörden jahrelang von BND-Mitarbeitern ausgewertet sowie in Berichten verwertet.

Dabei handelte es sich bei der abgefangenen Kommunikation nach „Bild“-Angaben auch um vollständige Aufzeichnungen von Telefonaten und E-Mails sowie Ton- und Textdateien. Wie die Zeitung weiter berichtet, will der parlamentarische Untersuchungsausschuss die Offenlegung erwirken, in welchem Umfang der BND diese aufgezeichneten Gespräche auswertete. Bei diesen Gesprächen soll es sich um Kommunikation in Krisengebieten und den Austausch in diesen Regionen tätiger Unternehmen und EU-Behörden handeln.

Mit Wissen des Bundeskanzleramts soll der BND bis spätestens zur Enthüllung der NSA-Abhörpraktiken durch den früheren US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden im Herbst 2013 befreundete Staaten und Länder der Europäischen Union überwacht haben. Der Leiter der für Geheimdienste zuständigen Abteilung 6 im Bundeskanzleramt, Günter Heiß, traf sich für bilaterale Abstimmungen wiederholt mit Mitarbeitern aus Bad Aibling, wie aus Unterlagen des NSA-Untersuchungsausschusses hervorgeht. Informationen aus der dortigen Überwachung sollen zudem mehrfach in die Lagevorträge des BND fürs Kanzleramt eingeflossen sein.

Mit einer Nachfrage hätte das Bundeskanzleramt nach Informationen von „Bild“ dabei eine vollständige Liste aller NSA-Ziele am Standort Bad Aibling erhalten können. Zwischen dem US-Geheimdienst und dem BND existierte dafür eine dem Kanzleramt bekannte Vereinbarung, wonach die NSA dort eigene „Selektoren“ überwachen lassen darf.

BND plante weitere Geheimdienstkooperation am Kanzleramt vorbei

Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat offenbar am Kanzleramt vorbei eine weitere heikle Geheimdienstoperation mit ausländischen Partnerdiensten geplant. Um an eine zentrale Datenleitung in Frankfurt am Main zu gelangen, bot der britische Geheimdienst GCHQ dem BND im Jahr 2012 ein hoch entwickeltes Erfassungs- und Verarbeitungssystem an, berichtet der „Spiegel“ in seiner neuen Ausgabe. Die Deutschen sollten das System demnach dazu nutzen, um Transitdatenleitungen anzuzapfen und die Rohdaten zu übermitteln.

Dafür wollten die Briten auch Daten aus ihrer Auslandserfassung übermitteln. Als dritten Partner wollten die Deutschen den US-Geheimdienst NSA involvieren. Die Operation lief unter dem Codenamen „Monkeyshoulder“.

Obwohl es im BND erhebliche rechtliche und politische Bedenken gab, wurde das Projekt bis weit ins Jahr 2013 vorangetrieben, berichtet das Nachrichten-Magazin. Intern wurde die Ansage gemacht, niemanden offiziell in Kenntnis zu setzen, weder das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik noch das Bundeskanzleramt als oberste Aufsichtsbehörde. BND-Mitarbeiter wurden in mehreren Workshops am GCHQ-Erfassungssystem geschult.

Der letzte dieser Workshops fand im August 2013 statt, rund sechs Wochen nach Beginn der NSA-Affäre. Erst dann stoppte BND-Präsident Gerhard Schindler die Operation „Monkeyshoulder“, hieß es weiter.

Weil drängt GroKo in BND-Affäre zur vollständigen Aufklärung

In der Spähaffäre um den Bundesnachrichtendienst (BND) und den US-Geheimdienst NSA drängt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) auf eine vollständige Offenlegung durch die Bundesregierung. In einem Interview mit „Bild“ (Samstag) sagte Weil: „Der gegenwärtige Zustand ist unerträglich, die Bundesregierung muss aufhören zu mauern.“ Der derzeitige Zustand sei „ein Stück aus dem Tollhaus“.

Den Verdacht, das der eigene Geheimdienst gegen ein anderes Land für ein drittes Land spioniert hätte, bezeichnete Weil gegenüber der Zeitung als „ungeheuerlich“ und „fatal“. Eine lückenlose Aufklärung müsse „im ureigensten Interesse der Bundesregierung“ liegen, sagte der niedersächsische Ministerpräsident. Das Vertrauen in die Bundesregierung als auch in den Bundesnachrichtendienst könnte dabei „deutlichen Schaden“ nehmen.

Nach einer vollständigen Aufklärung würden sich möglicherweise auch Fragen nach personellen Konsequenzen stellen. Der SPD-Politiker drängte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zur Aufklärung. „Was wir täglich hören, verschlägt einem den Atem“, sagte Weil.

„Entweder es ist falsch, dann muss das gesagt werden. Oder es ist richtig, dann haben wir einen handfesten Skandal.“

Ströbele: BND-Affäre hat strafrechtliche Dimension

Generalbundesanwalt Harald Range ist wegen der Späh-Affäre um den Bundesnachrichtendienst (BND) für den kommenden Mittwoch im Rechtsausschuss des Bundestags geladen: „Die Affäre hat auch eine strafrechtliche Dimension“, sagte der Innenexperte der Grünen, Hans-Christian Ströbele, der „Rheinischen Post“ (Samstagausgabe). Range solle zu den „neuen Erkenntnissen Stellung nehmen, wonach auch Wirtschaftsunternehmen und Politiker in Europa ausspioniert worden sind“, sagte der Grünen-Innenexperte, der auch Mitglied im Rechtsausschuss ist, weiter.

Julie Zeh kritisiert Merkels Passivität im Spionage-Skandal

In der Debatte über die Spionage-Zusammenarbeit von Bundesnachrichtendienst (BND) und US-Geheimdienst NSA hat die Schriftstellerin Juli Zeh die Passivität von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisiert. Merkel schaffe es, aus gespielter Ahnungslosigkeit eine Tugend zu machen und entziehe sich so der Kritik, sagte Zeh in einem Interview mit der „Rheinischen Post“ (Samstagausgabe). Mit ihrer defensiven Haltung erreiche die Kanzlerin Leute, die dankbar in Passivität verharrten, weil ihnen die Auseinandersetzung mit Datenschutz und der Rolle der Geheimdienste zu kompliziert erscheine.

„Wir versäumen gerade die historische Chance, eine technische Revolution demokratieverträglich zu gestalten“, so Juli Zeh. Die Geschichtsbücher würden Angela Merkel aber eines Tages fragen, warum sie nicht gehandelt habe, um das Ausspähen anderer Staaten wie der eigenen Bürger zu verhindern.

Gysi spricht in BND-Affäre von Landesverrat

Linken-Fraktionschef Gregor Gysi hat in der Affäre um die Abhöraktivitäten des Bundesnachrichtendienstes (BND) von Landesverrat gesprochen. „Es ist ein Skandal, dass der BND für die USA bis in die höchsten Spitzen und in Unternehmen in ganz Europa spioniert hat“, sagte Gysi dem „Mannheimer Morgen“. „Das ist politische Spionage und Wirtschaftsspionage und als Landesverrat strafbar.“

Das Bundeskanzleramt sei für die Kontrolle des BND zuständig, so der Linken-Politiker weiter. Wenn das Kanzleramt von den Abhöraktivitäten des BND nichts gewusst habe, funktioniere die Kontrolle nicht. Sollte das Kanzleramt hingegen davon gewusst haben, hätten sich die Betreffenden an Straftaten beteiligt, so Gysi weiter.

Autor: dts