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Berlin | Artikel ergänzt | Der gesamte Grünen-Vorstand hat am Mittwoch überraschend seinen Rücktritt erklärt. Man brauche einen „Neustart“, sagte Grünen-Chef Omid Nouripour am Vormittag in Berlin.

Der Bundesvorstand legt demnach mit Wirkung zum Parteitag im November in Wiesbaden sein Amt nieder. „Es braucht neue Gesichter, um diese Partei aus der Krise zu führen“, ergänzte Nouripours Co-Vorsitzende Ricarda Lang. Das könne ein Baustein sein für die „strategische Neuaufstellung“ der Partei und diese brauche es, „denn die Bundestagswahl im nächsten Jahr ist nicht einfach irgendeine Wahl“.

Es gehe darum, welche Rolle die Grünen in Zukunft in einem Parteiensystem einnehmen werde, das sich gerade „fundamental verändert“. Es sei nicht die Zeit, „um am eigenen Stuhl zu kleben“, so Lang. „Jetzt ist die Zeit Verantwortung zu übernehmen und wir übernehmen diese Verantwortung.“ Zu den möglichen Nachfolgern wurden zunächst keine Angaben gemacht.

Die Entscheidung ist eine Reaktion auf die Wahlschlappen der Partei im Osten. Die Grünen hatten es nur in Sachsen gerade so wieder ins Parlament geschafft, in Thüringen und Brandenburg flogen sie nicht nur aus der Regierung, sondern auch aus den Landtagen.

Anton Hofreiter (Archiv) (via dts Nachrichtenagentur)

Hofreiter verlangt konzentrierte Diskussion über Grünen-Strategie  

Der ehemalige Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter, fordert nach dem angekündigten Rücktritt der Grünen-Vorsitzenden Omid Nouripour und Ricarda Lang eine konzentrierte Diskussion über die Strategie und personelle Neuaufstellung der Partei.

„Ich möchte mich ganz herzlich bedanken für die gute Arbeit, die Omid Nouripour und Ricarda Lang in nicht einfachen Zeiten geleistet haben“, sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Es zeuge von Größe, dass sie bereit seien, die Verantwortung zu übernehmen. „Bei den Grünen braucht es jetzt eine ruhige und konzentrierte Diskussion, was die Strategie und die personelle Neuaufstellung an der Parteispitze betrifft.“

SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sieht im Rücktritt der Grünen-Vorsitzenden unterdessen auch ein Signal an die Ampel-Parteien. „Sie sind eher bereit, bei sich selbst Veränderungen vorzunehmen, statt die Koalition infrage zu stellen“, sagte Wiese der „Rheinischen Post“ (Donnerstagsausgabe). Die Entscheidung der Grünen „in dieser für sie schwierigen Situation verdient Respekt“, ergänzte Wiese. „Insbesondere Omid Nouripour habe ich stets als engagierten und integren Vorsitzenden erlebt“, so der Fraktionsvize.

Carsten Linnemann am 23.09.2024 (via dts Nachrichtenagentur)

Linnemann fordert nach Grünen-Rücktritten frühere Bundestagswahl  

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann fordert nach der Rücktrittsankündigung des Grünen-Vorstands eine vorgezogene Bundestagswahl. „Noch ein Jahr Ampel wird unser Land nicht verkraften“, sagte Linnemann der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Donnerstagsausgabe).

„Ich bleibe dabei: An Neuwahlen führt kein Weg vorbei.“ Die Grünen hätten „persönliche Konsequenzen“ aus den „desolaten“ Wahlergebnissen gezogen, sagte der CDU-Generalsekretär. Bei der Landtagswahl in Brandenburg am vorigen Sonntag waren die Grünen nicht mehr in den Landtag gewählt worden. „Das ist ein respektabler Schritt von Omid Nouripour und Ricarda Lang.“

Das Problem sei aber ein anderes: „Die Grünen müssen ihre Politik grundsätzlich ändern“, sagte Linnemann. „Die grüne Blockadehaltung bei der Migrationspolitik und Robert Habecks ideologisches Mikromanagement im Wirtschaftsministerium schaden unserem Land.“

Das sagen die Grünen Kölns

Sarah Brunner vom Kreisvorstand der Grünen Köln in einem schriftlichen Statement: „Ich habe großen Respekt vor diesem Schritt. Es zeigt einmal mehr, dass die Grünen Verantwortung übernehmen und im Zweifelsfall das Wohl des Landes und der Partei über persönliche Interessen stellen.“

Taylan Kuzu vom Kreisvorstand ebenfalls schriftlich: „Die Grünen beweisen erneut, dass sie nach den Landtagswahlen in schwierigen Zeiten mit einem klaren Blick für die Zukunft handeln. Diese Haltung unterscheidet unsere Partei von anderen. Eine personelle Neuaufstellung bietet zudem die Chance, unsere Kommunikation zu unseren Kernwerten zu repriorisieren und inhaltliche Schwerpunkte neu und verstärkt zu setzen.“

Scholz nimmt Rücktritt der Grünen-Spitze „zur Kenntnis“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht nach dem angekündigten Rücktritt der Grünen-Spitze um Omid Nouripour und Ricarda Lang kein Machtvakuum in der Ampelkoalition.

„Zunächst einmal hat der Bundeskanzler die Entscheidung von Ricarda Lang und auch Omid Nouripour heute Vormittag zur Kenntnis genommen“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch in Berlin. Er habe mit den beiden „eng und vertrauensvoll“ zusammengearbeitet, sei auch persönlich mit ihnen eng verbunden und bedauere diesen Schritt.

„Ansonsten gehört das in demokratischen Verfahren immer wieder dazu, dass es Wechsel gibt, auch im Führungspersonal von Parteien und das hat keinerlei Auswirkungen auf die Koalition“, fügte Hebestreit hinzu. Zudem seien die beiden auch noch bis zum Parteitag der Grünen im November im Amt. Insofern gebe es da auch keinerlei Lücken zu befürchten. Es sei ein „normaler demokratischer Prozess“, den man „zur Kenntnis“ nehme, sagte der Regierungssprecher.

Paul Ziemiak zollt Respekt

Paul Ziemiak, Generalsekretär der NRW-CDU zum Rücktritt des Bundesvorstandes der Grünen: „Ich habe größten Respekt vor dieser Entscheidung. In unserem Verhältnis mit Ricarda Lang und Omid Nouripour war die Zusammenarbeit wirklich immer gut, vertrauensvoll und persönlich immer hochanständig. In der Zusammenarbeit gab es immer eine große Fairness. Nouripour und Lang zahlen jetzt persönlich den Preis für die katastrophale Politik der SPD-geführten Ampel. Aber klar ist: Das Vertrauen in die Bundesregierung ist doch nicht deshalb in Bevölkerung in Auflösung begriffen, weil die die beiden schwer Fehler gemacht hätten. Sondern die Menschen lehnen schlicht diese Ampel strikt ab.

Die SPD schiebt doch wechselnd den Grünen und der FDP die Hauptverantwortung für die katastrophale Arbeit der Bundesregierung zu. Und das hat verfangen. Es wird sich überhaupt nichts ändern bei der Zustimmung zu den Grünen und ihrer Situation, weil Omid Nouripour und Ricarda Lang weg sind. Dafür müsste die Ampel ihre Politik ändern. Davon ist aber nicht auszugehen.

Zu Ricarda Lang: Ich muss sagen, was diese starke Frau an Anfeindungen und Beschimpfungen erlebt hat, das auszuhalten, verlangt mir größten Respekt ab. Ich wünsche Ihnen beiden wirklich alles Gute – und Sie zahlen jetzt den Preis für die katastrophale Politik der SPD-geführten Ampel. Für all das Missmanagement und den Streit in der Ampel zu.

Union fordert auch Rücktritt von Baerbock und Habeck

Nach dem angekündigten Rücktritt der Grünen-Spitze fordert die Union auch den Rücktritt von Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck.

„Wenn die Parteivorsitzende Ricarda Lang von der Notwendigkeit eines Neuanfangs und von neuen Gesichtern spricht, können ja wohl kaum diejenigen Vertreter im Amt bleiben, die zum Symbol der verkorksten Wirtschafts- und Migrationspolitik wurden – Baerbock und Habeck“, sagte Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) der „Rheinischen Post“ (Donnerstagsausgabe).

Daher richteten sich „die drängenden Fragen natürlich auch an die führenden Bundesminister der Grünen“, ergänzte Frei. Zugleich sagte der CDU-Politiker: „Was wir hier sehen, ist die Initialzündung einer Kettenreaktion.“

Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht fordert unterdessen nach dem angekündigten Rückzug der Grünen-Spitze Neuwahlen. Mit Blick auf die Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour sagte sie der „Rheinischen Post“, dass es Respekt verdiene, dass Lang und Nouripour „politische Verantwortung“ übernehmen. „Viel zu oft erleben wir heute eine Unkultur der politischen Verantwortungslosigkeit und das Kleben an Ämtern, egal wie mies die Performance ist. Das wird nicht zuletzt bei den anderen beiden Ampel-Parteien deutlich.“

„Ich würde mir wünschen, dass der Schritt von Lang und Nouripour auch die Bundesminister der Grünen ermuntert, politische Verantwortung für schlechtes Regieren zu übernehmen und den Weg für notwendige Neuwahlen freizumachen.“ Sie fügte hinzu: „Dass der Rückzug der Vorsitzenden zu einem Kurswechsel der Partei führt, vor allem in der bei den Grünen einst so wichtigen Friedensfrage, ist leider nicht zu erwarten.“

Spahn legt Scholz und Habeck Rücktritt nahe  

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Jens Spahn, findet, mit den Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour seien die Falschen zurückgetreten. Es sei zwar bemerkenswert, dass überhaupt jemand in den Ampel-Parteien Konsequenzen aus diesem massiven Vertrauensverlust ziehe, allerdings seien es die Falschen, sagte Spahn dem TV-Sender „Welt“ am Donnerstag.

Schuld an dem Vertrauensverlust seien Olaf Scholz und Robert Habeck, die mit ihrem Chaos, ihrem Streit, ihrer ideologischen Politik so viel Vertrauen verloren hätten, dass die Grünen etwa aus drei Landtagen rausgeflogen seien, so Spahn. Die Grünen werden künftig nicht mehr im Saarland, in Thüringen und in Brandenburg im Landtag vertreten sein. Aus dem saarländischen Landtag sind die Grünen allerdings bereits 2017 und damit vor Beginn der Ampel-Koalition ausgeschieden. Bei der jüngsten Wahl zum sächsischen Landtag haben die Grünen den Einzug knapp geschafft.

„Es geht ja darum, dass überhaupt mal jemand Verantwortung übernimmt für diesen massiven Vertrauensverlust, den wir sehen, wo die Extreme, die Populisten links und rechts so viele Stimmen gewinnen können und die Ampel praktisch an Wahltagen zerschreddert wird“, sagte Spahn. Er wünsche sich, „dass der Kanzler, dass der Vizekanzler das entweder erkennen oder den Weg freimachen“.

Die ganze Ampelregierung müsse außerdem Neuwahlen ermöglichen, forderte der CDU-Politiker. Diese Regierung zerfasere geradezu, auch mit dem Rücktritt der Grünen-Spitze. Bei der FDP sei außerdem die Frage offen, wie es weitergehe. Und bei der SPD könne man nur noch Wahlen gewinnen, wenn der Kanzler versteckt werde, wie man in Brandenburg gesehen habe, so Spahn weiter. „Die Ampel ist in Auflösung, das schon seit Monaten. Und deswegen: besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende oder noch zumindest ein Jahr lang.“

Ex-Geschäftsführer rät Grünen zu raschen Personalentscheidungen 

Der frühere Politische Bundesgeschäftsführer der Grünen und heutige Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Michael Kellner, hat seiner Partei nach dem Rücktritt der Bundesvorsitzenden Omid Nouripour und Ricarda Lang zu schnellen Personalentscheidungen geraten. „Es braucht eine zügige personelle Klärung“, sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Donnerstagausgaben).

Die Bundestagswahl nähere sich mit großen Schritten. „Der Wahlkampf muss vorbereitet werden. Wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagte Kellner.

Schleswig-Holsteins stellvertretende Ministerpräsidentin Aminata Touré (Grüne) sprach sich für inhaltliche Klärungen aus. „Es geht jetzt vor allem darum, deutlich herauszustellen, wofür die Grünen stehen und wie wir künftig Verantwortung wahrnehmen wollen“, sagte sie den Zeitungen. „Die Themen sind wichtiger als die Personen, das Land ist wichtiger als die Partei.“