Berlin | Vor dem Impfgipfel von Bund und Ländern und den Beratungen der EU-Kommission mit den Pharmaunternehmen fordern die Grünen eine systematischeren Umgang mit der Coronakrise. Bundeswirtschaftsminister Altmaier droht Impfstoffherstellern mit rechtlichen Konsequenzen

„Die Bundesregierung und die EU müssen endlich umsteuern und eine Pandemiewirtschaft etablieren“, sagte die europapolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Franziska Brantner, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Sonntagausgaben). „Das bedeutet eine koordiniertere Steuerung und die Möglichkeit für staatliche Eingriffe in Unternehmensentscheidungen.“

Sonst laufe man weiter von einem Mangel in den nächsten. „Nach dem Impfstoff werden Schnelltests, Kanülen und Corona-Medikamente knapp werden. Da muss frühzeitig gegengesteuert werden.“

Vorbehalte gegen Eingriffe in Unternehmen hielfen der Wirtschaft an dieser Stelle nicht, weil dann die Pandemie noch länger dauere. „Da müssen die ideologischen Schranken fallen“, sagte Brantner. Die Grünen-Politikerin warnte vor überzogenen Erwartungen an den deutschen Impfgipfel, der für Montag geplant ist.

„Ein nationaler Impfgipfel allein hilft nicht weiter.“ Pharmaunternehmen seien in der Regel multinational aufgestellt. „Hier muss die EU tätig werden“, sagte sie.

Ursula von der Leyen müsse bei ihrem für Sonntag angesetzten Treffen mit den Pharmafirmen nicht nur über den Umgang mit Virus-Mutationen sprechen, „sondern ganz konkret über Produktionskapazitäten für Impfstoffe“. Klar wandte sich Brantner gegen einen EU-Exportstopp für Impfstoffe. „Das wäre unsolidarisch und kontraproduktiv“, sagte sie. Man sollte nicht verhindern, dass auch andere Länder Impfstoff bekommen. „Und wir sollten Unternehmen nicht zwingen, Verträge zu brechen. Andere Länder könnten ihrerseits den Export von Zusatzstoffen verbieten, die für die Impfstoffproduktion wichtig sind. Wenn die Lieferketten zusammenbrechen, ist uns nicht geholfen“, so die Grünen-Abgeordnete.

Altmaier droht Impfstoffherstellern mit rechtlichen Konsequenzen

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will eine Benachteiligung der Europäischen Union durch Impfstoffhersteller nicht akzeptieren und droht mit rechtlichen Schritten. „Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat als Verhandlungsführerin sehr deutlich gemacht, dass alle Firmen ihre Zusagen einhalten müssen“, sagte Altmaier der „Welt am Sonntag“. „Keinesfalls dürfen sie ein anderes Land gegenüber der EU nachträglich bevorzugen.“

Er begrüße, dass die EU-Kommission den Vertrag mit dem Hersteller Astrazeneca veröffentlicht habe. „Sollte sich herausstellen, dass einzelne Unternehmen ihre Verpflichtungen nicht einhalten, muss über rechtliche Konsequenzen entschieden werden“, sagte Altmaier. Er sehe bei der Beschaffung von Impfstoffen für die EU und Deutschland „keine offenkundigen schweren Fehler“.

Altmaier gehört auch der Impf-Arbeitsgruppe des Bundeskabinetts an. Es sei richtig gewesen, ordentliche Zulassungen für die Impfstoffe abzuwarten, auch wenn andere Länder wie Großbritannien durch Notzulassungen früher mit dem Impfen beginnen konnten. „Ich finde, Politiker sollten sich nicht in Entscheidungen einmischen, die nur von Medizinern und Pharmakologen getroffen werden müssen“, sagte Altmaier.

„Aber richtig ist auch, dass wir unsere Verfahren überprüfen müssen, ob sie schneller und unbürokratischer ablaufen können, ohne dass es dabei zu einem Qualitäts- oder Sicherheitsverlust kommt.“ Der Bundeswirtschaftsminister schloss nicht aus, dass der Corona-Lockdown auch dann verlängert werden muss, wenn der 7-Tage-Inzidenzwert von 50 Infektionen pro 100.000 Einwohner erreicht ist. „Die aktuelle Entwicklung nährt die Hoffnung, dass wir uns relativ schnell einer Inzidenz von 50 nähern können“, sagte Altmaier.

„Die Länge des Lockdowns hängt aber auch davon ab, inwieweit sich neue Mutationen des Coronavirus in Deutschland verbreiten.“ Man habe in Großbritannien gesehen, dass sich die neue Variante auch deshalb schnell habe ausbreiten können, weil der dortige Lockdown weniger streng gewesen sei als der aktuell in Deutschland geltende. Altmaier mahnte angesichts der Milliardenkosten für die Bewältigung der Corona-Pandemie zur Haushaltsdisziplin nach der Bundestagswahl im Herbst. „Wer Steuererhöhungen vermeiden möchte und die Schuldenbremse einhalten will, tut gut daran, sich mit teuren Wahlversprechen zurückzuhalten“, sagte der Minister der „Welt am Sonntag“. Er sprach sich zudem für Privatisierungen aus, um die Kosten der Krise zu bewältigen. „Der Wert der staatlichen Beteiligungen ist in den letzten Jahren ordentlich gewachsen. Deshalb sollten wir prüfen, welche staatlichen Beteiligungen zurückgefahren werden können“, so der CDU-Politiker. „Auch das bringt Geld in die Staatskasse, das wir für Zukunftsinvestitionen gut gebrauchen können.“

Autor: dts