Köln | Überfällige Nachhilfe in Sachen deutscher Geschichte bietet das Schauspiel mit „Herero_Nama – A History of Violence“. Verhandelt wird der Mord deutscher Kolonialtruppen zu Beginn des 20. Jahrhunderts im damaligen Deutsch-Südwest-Afrika, heute Namibia. Fast 100.000 Herero und Nama wurden Opfer des Genozids.

Es ist ein Tabuthema, auch wenn die Beziehung zwischen Deutschland und Namibia aktuell durch drei Ereignisse wieder in die Öffentlichkeit rückt. Da ist zum einen Günter Nooke, Afrikabeauftragter der Bundesregierung: „Der Kalte Krieg hat Afrika mehr geschadet als die Kolonialzeit“, relativierte er jüngst die Verbrechen der europäischen Kolonialmächte.

Dann ist da die Rückgabe einer Bibel und einer Peitsche, die dem 1905 von deutschen Truppen ermordeten Nama-Führer Hendrik Wittboi gehörten. Sie waren bis dahin im Besitz des Stuttgarter Linden-Museums. Schließlich das Urteil eine Gerichts in New York. Das wies vor wenigen Tagen eine Klage auf Entschädigung von Herero und Nama gegen die Bundesrepublik ab. Die Kläger wollen in die Berufung gehen.

Bis heute verdrängt: der Genozid in „Deutsch-Südwest“

Für die breite Öffentlichkeit aber ist die deutsche Kolonialgeschichte, die 1915 endete, immer noch ein verdrängtes Kapitel. So breitet Autor und Regisseur Nuran David Calis im Schatten eines Porträts von Kaiser Wilhelm II. und angedeuteten Kirchenfenstern zunächst einmal historische Fakten aus. Danach kamen im frühen 19. Jahrhundert zuerst Missionare der „Rheinischen Mission“ durchaus friedlich ins heutige Namibia. Nachfolgende deutsche Siedler raubten der indigenen Bevölkerung das Land und versklavten sie.

Ein Aufstand wurde 1904 brutal niedergeschlagen. Lothar von Trotha, General der „Schutztruppen“, trieb Herero und Nama in die Wüste, wo diese verdursten mussten. Gefangene wurden nicht gemacht. Die „Rheinische Mission“ verurteilte dieses Vorgehen zwar, forderte aber nie öffentlich ein Ende. Später wurde diskutiert, welche Prügelstrafe „humaner“ sei: mit Nilpferdpeitsche oder Tauende. Und auf welchen Körperteile zu schlagen sei. Das Zitieren dieser „wissenschaftlichen Auseinandersetzung“ dürfte wohl keinen heutigen Zuschauer kalt lassen.

Regisseur Calis schickt Profis und betroffene Laien auf die Bühne

Für seine Inszenierung greift Calis auf Mittel zurück, die ihm schon mit seiner Trilogie „Die Lücke“ über das Nagelbombenattentat in der Keupstraße und dessen Folgen für das Verhältnis zwischen deutschen und türkischen Kölnern weithin Anerkennung brachten. Auch hier schickt er neben Schauspiel-Profis (Yuri Englert, Stefko Haniyhevsky und Talita Uinuses à Shari Asha Crosson) drei betroffene Laien auf die Bühne: die Nama aus Namibia, den in Berlin lebenden Herero und den Münchener Kultur-Ethnologen Julian Warner.

Es bleibt nicht bei der Vergangenheit – denn diese wirkt bis heute nach. So haben Uinuses und Kaunatjike auch „weißes“ Blut: Ihre Großmütter wurden mit größter Wahrscheinlichkeit vergewaltigt. Zum Schluss sind sich aber alle im Wesentlichen einig: Deutschland muss seine Schuld anerkennen und die Konsequenzen tragen (unabhängig davon, wie sich andere Kolonialmächte verhalten), es muss sich entschuldigen und – als dritte Forderung – die damals geraubten Objekte zurückgeben. Insbesondere die Schädel und Skelette, die zur „wissenschaftlichen Begründung“ der Rassenlehre nach Deutschland gebracht wurden. In ihrer Heimat sollen sie nach über 100 Jahren ein ehrenvolles Begräbnis finden.

Erzählung vom Genozid nur eine bessere SM-Schau?

Wichtig ist auch in dieser Inszenierung das Aufgreifen von Diskussionen, die während der Proben geführt wurden. Diese leiden bei „Herero_Nama“ allerdings etwas, da Talita Uinuses nur Englisch spricht. Diskutiert werden da etwa Fragen der politischen Korrektheit und der umstrittenen kulturellen Aneignung. Dürfen Weiße Schwarze spielen? Ist es korrekt, wenn Betroffene mit ihrer Leidensgeschichte einem wohlsituierten Publikum vorgeführt werden? Ist die Inszenierung nur eine bessere SM-Schau?

Eine Selbstreflexion über die Rolle des Theaters und des Publikums – grundsätzlich notwendig, lenkt sie hier aber von der überfälligen und erfolgreichen Aufklärungsarbeit des politischen Theaters ab. Das Premierenpublikum dankte allen Beteiligten mit langem Applaus.

[infobox]„Herero_Nama – A History of Violence “ – Die nächsten Vorstellungen: 15., 22. und 27. März, jeweils 20 Uhr, Schauspiel Köln, Depot 2 im Carlswerk, Schanzenstr. 6-20, 51063 Köln-Mülheim, Karten: Tel. 0221 / 22 12 84 00, Fax 0221 / 22 12 82 49, E-Mail: tickets@buehnenkoeln.de, dazu alle Vorverkaufsstellen von KölnTicket. Kartenservice mit Vorverkauf und Abo-Büro in der Opernpassage zwischen Glockengasse und Breite Straße

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Autor: ehu | Foto: David Baltzer/Schauspiel
Foto: „Herero_Nama“: Die Schauspieler erinnern mit ihren weisen Kutten und Masken an Missionare und Todesengel. Rechts Talita Uinuses und Israel Kaunatjike. | Foto: David Baltzer/Schauspiel