Eine kleine Schnecke als Mahnmal des Artensterbens

Köln | „Lonely George“ war der Name eines besonderen Tieres – einer hawaiianischen Baumschnecke, die Anfang vergangenen Jahres nach langer Gefangenschaft gestorben war. Sie galt als letzte ihrer Art – lange hatten die Forscher noch versucht, ein passendes Weibchen aufzutreiben. Doch das war in den 14 Jahren, in denen George im Fokus der Wissenschaft stand, nicht gelungen. Jetzt ist die einsame Schnecke zurückgekehrt. Im Kölner Skulpturenpark ist sie als lebensgroße Bronze, die am Stamm eines Baumes klebt, zu sehen. Wer George entdecken möchte, muss allerdings sehr genau hinsehen – das kleine Tier befindet sich etwa Kirchererbsen-groß und farblich gut getarnt in gut zwei Meter an der Baumrinde.

Es ist die Skulptur der Künstlerin Ayse Erkmen, die den Namen „Lonesome George“ erhalten hat und die bei der zehnten Ausstellung im Kölner Skulpturenpark als Mahnmal des Artensterbens eine zentrale Rolle bekommt. Seit 1997 gibt es direkt am Rheinufer in Riehl regelmäßig neue Kunst unter freiem Himmel und bei freiem Eintritt zu sehen. Es ist ein echter Ruhepol in der hektischen Großstadt – mitten im Kölner Verkehrsgetümmel.

Ins Leben gerufen wurde das besondere Kunstprojekt vom Sammlerehepaar Michael und Eleonore Stoffels. Fortgeführt wird ihr Werk seit 2008 von einer Stiftung, die sich für die regelmäßigen Ausstellungen verantwortlich zeigt. Dabei wird ein festes Sklupturenensemble immer wieder durch neue Kunstwerk ergänzt und so neu in Szene gestetzt. Aktuell sind im Skulpturenpark 44 Kunstwerke mitten in der Natur zu sehen.

Die zehnte Ausgabe der alle zwei Jahre stattfindenden Freiluftausstellung „Köln Skulptur“ erweitert den Skulpturenpark Köln aktuell um acht neue Kunstwerke. Wegen der Lage des Parks zwischen Rhein, Kölner Zoo, Flora und Botanischem Garten war es laut der Ausstellungsmacher naheliegend, Arbeiten in Auftrag zu geben, die sich mit dem Thema Natur auseinandersetzen und so mit der unmittelbaren Umgebung korrespondieren.
Jetzt, im Sommer 2020, erfährt der künstlerische Bezug auf die natürliche Umwelt des Menschen eine noch größere Dringlichkeit als zuvor. Köln Skulptur #10 eröffnet während einer verheerenden Pandemie, die durch den seltenen Übersprung eines Tier-Virus auf den Menschen ausgelöst wurde und sich aufgrund der fortgeschrittenen Globalisierung mit ihren hohen Mobilitätsraten weltweit ausbreiten konnte.
Die Ausstellung changiert zwischen klein- und großformatigen Exponaten. Die aktuell kleinsten Arbeit ist die Baumschnecke Ayşe Erkmen. Noch etwas kleiner ist eine echte Libellenlarve, die Künstler John Bock in eine große Vitrine gesetzt hat, die ihren Platz in einem durch eine Klanginstallation beschalltem Betonloch gefunden hat. Die Libellenlarve steht für die Wandlungsfähigkeit von Tieren, die sich so ihr Überleben sichern.

Bei der größten Arbeit von Dane Mitchell handelt es sich um zwei künstliche Bäume, die zur Tarnung von Funkmasten und Überwachungstechnologien in China massenproduziert werden. Sie wurden von der letztjährigen Biennale in Venedig nach Köln gebracht. Die Installation „Rübezahl“ von Mary Baumeister besteht aus 130 bearbeiteten Baumstämmen, die an Sitzmöbel erinnern. Trevor Yeungs Ginkobaum, hat als Ersatz für seine Baumpartnerin eine Straßenlaterne gefunden, an die er sich schmiegen kann und die in nachts mit einem rosafarbenen Licht illuminiert. Weitere neue Kunstwerke in Riehl sind der „Blindfold Receptor“ von Leelee Chan, „Approximation“ von Katja Novitskova sowie „Old Eggs and the Catcher“ von Guan Xiao.
Die durch die Pandemie geschaffene „neue Normalität“ lässt Menschen die Welt mit anderen Augen betrachten. Kunst sowie Kunstausstellungen wird diese veränderte Perspektive ganz besonders betreffen. In unserer Gegenwart kommt es vor allem darauf an, das Bewusstsein für globale wirtschaftliche Verflechtungen zu schärfen und ein breites Verständnis für die tiefgreifenden Auswirkungen zu schaffen, die diese auf die Umwelt haben und vice versa. Auch wenn Köln Skulptur #10 die schwierigen Fragen der Zeit nicht erschöpfend beantworten wird, so will sie doch dazu beitragen, drängende Probleme zu benennen.

Kuratiert wurde die neue Ausstellung von Tobias Berger. Er ist Chefkurator am Tai Kwun Centre of Heritage and Arts in Hongkong. Von 2003 bis 2005 war er Direktor des Artspace NZ in Auckland, Neuseeland, von 2005 bis 2008 leitete er den Para Site Art Space in Hong Kong. 2008 bis 2010 war Berger Chefkurator am Nam June Paik Art Center in Seoul, Südkorea, und 2010 bis 2015 Kurator für Bildende Kunst am M + Museum in Hongkong. Die neue Ausstellung läuft bis zum Juli 2022. Der Park hat täglich von 10.30 bis 19 Uhr seine Pforten an der Elsa-Brandström-Straße 9 geöffnet.

Autor: Von Stephan Eppinger