Heinz Günther Hunold und Björn Griesemann mt der neuen Kanone für die Roten Funken, die nicht schiiessen kann.

Köln Der Kölner Karneval feiert in diesem Jahr sein 200-jähriges Bestehen. Auf 200 Jahre Geschichte können in der Domstadt auch die Roten Funken zurückblicken. Im Interview spricht ihr Präsident Heinz-Günther Hunold über die Perspektiven seines Traditionskorps und des Karnevals sowie über die feierenden Massen im Studentenviertel rund um die Zülpicher Straße und die Chance für ein weibliches Dreigestirn in Köln.

Wie fällt Ihre erste Bilanz zur Jubiläumssession im Kölner Karneval aus?

Heinz-Günther Hunold: Der Karneval wurde nach der langen Pause von den Menschen sehnsüchtig erwartet – zumindest von denen, die sich nach der Pandemie trauen, wieder raus in die Säle zu gehen. Manche Gesellschaften haben derzeit Probleme, ihre Säle so zu füllen, dass sie zumindest kostendeckend arbeiten können. Etwa ein Viertel des Publikums fehlt derzeit bei den Sitzungen. Aber es gibt auch wieder volle Säle, da zahlt sich die Qualität der Premiumveranstaltungen aus. Und die gibt es nicht nur bei den großen Gesellschaften. Man muss die Leute erreichen, indem man eine warmherzige Atmosphäre schafft. Bei uns Roten Funken sind die Veranstaltungen weitgehend ausverkauft, was auch an unserem Jubiläum und unserem Dreigestirn liegt. Wir haben beim Marketing und den Formaten aber auch viel getan, um die Leute zu begeistern und um neue, junge Zielgruppen dort abzuholen, wo sie gerade sind.

„Die Jungen feiern anders, als wir das tun. Das zeigen zum Beispiel die großen Musikfestivals“

Wie beurteilen Sie die Perspektiven des Kölner Karnevals?

Hunold: Im Jahr des 200-jährigen Bestehens muss man auch darüber nachdenken, was in den kommenden 200 Jahren passieren wird. Diese Pandemie wird wohl nicht die letzte gewesen sein und die hohen Lebenshaltungskosten, sorgen dafür, dass die Menschen ihr Geld zusammenhalten und weniger bereits sind, hohe Beträge für Sitzungen und Bälle zu zahlen. Da geht es dann auch darum, kürzere, kleinere und auch weniger Veranstaltungen anzubieten. Dazu kommt, dass uns zunehmend die Altersgruppe über 70 wegbricht, da viele sich noch nicht trauen, wieder rauszugehen. Dagegen gibt es die große Zielgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die feiern wollen, für die man aber auch die passenden Formate anbieten muss. Die Jungen feiern anders, als wir das tun. Das zeigen zum Beispiel die großen Musikfestivals.

Damit wären wir beim Thema XXL-Party im überfüllten Viertel um die Zülpicher Straße.

Hunold: Genau, davon kann sich in Köln keiner freisprechen, weil einfach das richtige Konzept noch nicht gefunden wurde. Da sind auch wir ehrenamtlichen Karnevalsgesellschaften gefragt. Wir müssen lernen, mit dieser Situation umzugehen, indem wir neue junge Formate anbieten, die der Art des Feierns entsprechen, die beim Nachwuchs gefragt sind. Leider haben das in Köln die Verbände genauso verschlafen wie die Stadtverwaltung selbst. Wir müssen jetzt auf die jungen Leute zugehen, das sind unsere Kunden von morgen.

Das Tanzpaar der Roten Funken mit Solidaritätsschleifen in den Farben der Ukraine beim Biwak auf dem Kölner Neumarkt am 26.2.2022. | Foto: Eppinger

Da gibt es auch Bezüge zu der Zeit, als der organisierte Karneval in Köln erfunden worden ist.

Hunold: 1823 herrschte beim Feiern in Köln großes Chaos und es waren der damals 26-jährige Heinrich von Wittgenstein und seine Weggefährten, die den neuen organisierten Karneval in Köln auf den Weg gebracht haben. Auch heute haben wir im Zülpicher Viertel eine chaotische Situation. Dabei ist nicht nur der übermäßige Alkoholkonsum das Problem, sondern auch die gut 100 Tonnen Müll, die danach auf der Straße liegen. Da ist einerseits die Fridays-For-Future Generation beim ökologischen Denken gefragt, anderseits müssen wir Karnevalisten gemeinsam mit der Stadt und den Verbänden genau hingucken und neue Konzepte finden. Das ist eine ganz zentrale Aufgabe. Wir müssen uns jetzt darum kümmern und dürfen nicht wegschauen.

Was muss getan werden, um die Situation wieder zu entschärfen?

Hunold: Ich habe keine zündende Idee, die alle Probleme löst. Aber wenn ich höre, dass Supermärkte andere Waren wegräumen, um an Straßenkarneval möglichst viele alkoholische Getränke anbieten zu können, die das Geschehen weiter anheizen, stellt man sich die Frage der Verantwortung, die über dem reinen Kommerz stehen sollte. Die Sehnsucht nach dem Rausch steckt schon immer in unserem Fest, aber das bedeutet nicht, dass man sich komatös betrinken muss.

Wie sind Sie selbst als Jugendlicher zu den Roten Funken gekommen?

Hunold: Ich bin mit der Katholischen Jugend in Rodenkirchen sehr behütet aufgewachsen. Wir haben als ältere Jugendliche dort schon früh Verantwortung übernommen. Mit 18 bin ich dann zu den Roten Funken gegangen. Da mein Vater auch bei den Funken war, habe ich schon früh an deren Leben teilgenommen. Es ist wichtig, jungen Leuten wie zum Beispiel bei unseren etwa 40 Tanzgruppen ein gutes Angebot zu machen und sie so in den Karneval zu integrieren. Dazu zählen auch Formate wie unsere Veranstaltung in den Hallen des „Bogen 2“, wo wir sechs weltbekannte DJs am Start hatten, das wurde sehr gut angenommen. Wir gehen mit unserem kleinen Biwak auch ganz bewusst in die Kölner Veedel, um die Menschen dort direkt ansprechen zu können. Auch das ist sehr erfolgreich.

Drei Frauen in der Uniform der Roten Funken. | Foto: Eppinger

Zu den anderen großen Themen des Kölner Karnevals zählt im Moment die Rolle der Frauen und die Frage nach einem weiblichen Dreigestirn?

Hunold: Das ist eine Frage, die sich bei der Entwicklung unseres Karnevals in den vergangenen Jahren unweigerlich stellt. Zunächst waren die Kölner Karnevalsgesellschaften komplett von Männern dominiert. Dann kamen die ersten gemischten KGs und heute haben wir viele reine Damengesellschaften. Und trotzdem haben reine Männergesellschaften wie die Roten Funken genauso ihre Daseinsberechtigung wie reine Frauenvereine. Auch das ist in Köln Diversität. Aber auch wir haben in unserem Förderverein weibliche Mitglieder, die durchaus auch mal in Uniform bei uns unterwegs sind.

Wann kommt das erste weibliche Dreigestirn?

Hunold: Wir haben etwa 100 Gesellschaft, die zum Festkomitee gehören. Darunter sind inzwischen viele Frauenkarnevalsgesellschaften. Da ergibt sich alleine schon durch die Frage der Gleichberechtigung ein weibliches Dreigestirn. Aber es muss auch passen. Unsere drei Mitglieder im Dreigestirn sind seit mehr als 20 Jahren im Karneval aktiv und kennen alle Säle der Stadt. Diese Trittsicherheit und Erfahrung braucht man als Dreigestirn, wenn man durch seine mehr als 400 Auftritte in der Session kommen will. Aber ich bin mir absolut sicher, dass das weibliche Dreigestirn kommen wird. Das ist eine Frage der Demokratie und der gelebten Toleranz.

„Das was Heinrich von Wittgenstein 1823 geschafft hat, muss uns heute wieder gelingen“

Wie würden Sie die DNA des Kölner Karnevals beschreiben?

Hunold: Als 1823 sich der organisierte Karneval gegründet hat, war nicht nur das Chaos ein Problem. Nach der französischen Besatzung und der preußischen Verwaltung war den Kölnern die eigene Identität abhandengekommen. Durch den Helden Carneval, die Stadtsoldaten und die Helligen Knäächte un Mägde als Tanzgruppe konnte der Karneval den Menschen diese Identität wiedergeben. Karneval ist bis heute ein Fest der Sehnsüchte. Man verkleidet sich und schlüpft in andere Rollen, man kann sich vorbehaltlos in den Arm nehmen und gemeinsam singen und man kann all die Sorgen im Alltag für eine gewisse Zeit vergessen. Das ist gerade heute in der schwierigen Zeit ganz zentral. Das, was Heinrich von Wittgenstein 1823 geschafft hat, muss uns auch heute wieder gelingen, dann bekommen wir auch Themen wie das Feiern auf der Zülpicher Straße in den Griff. Der Narr hat die Freiheit, Dinge beim Namen zu nennen und kann dann mit den Menschen gemeinsam darüber lachen. Das ist viel wichtiger, als ständig die Gesellschaft zu polarisieren, wie wir das heute oft sehen. Karneval ist wie ein Biotop, das traditionelle Strömungen genauso kennt wie alternative. Es geht auch um das soziale Engagement im Karneval, wenn die Roten Funken zum Beispiel mit ihren Sammelbüchsen durch die Stadt gehen und für Investitionen in soziale Brennpunkte sammeln. Man darf nicht nur die Asche bewahren, sondern muss vor allem das Feuer weitergeben, dann bleibt die DNA des Karnevals in Köln weiter sehr lebendig.