Düsseldorf |Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft will bei der Wahl am Sonntag (13. Mai) eine stabile Mehrheit für die bisherige rot-grüne Minderheitsregierung erzielen. Umfragen zufolge zeichnet sich allerdings ein knappes Ergebnis ab. Zur CDU grenzt sich Kraft dennoch ab und betont die Erfolge von Rot-Grün. Punkten will die SPD-Politikerin unter anderem mit ihrer Forderung nach einer stärkeren finanziellen Förderung des Westens. Die dapd-Korrespondenten Christian Wolf und Herbert Spies sprachen mit der Sozialdemokratin.

Frau Kraft, der Turbo-Wahlkampf biegt auf die Zielgerade ab. Wie anstrengend waren die vergangenen Wochen?

Hannelore Kraft: Die erste Phase hat wirklich Kraft gekostet. Wir mussten Wahlprogramme schreiben, Flyer und Plakate erstellen und Veranstaltungen organisieren. Da wurde sehr detailgenau gearbeitet und auch die ein oder andere Nachtschicht eingelegt. Seitdem der Wahlkampf auf der Straße geführt wird, ist es wieder entspannter. Ich komme mit den Menschen ins Gespräch und lade so meine Batterien immer wieder auf.

Umfragen sagen Rot-Grün nur noch eine hauchdünne Mehrheit voraus. Warum soll NRW in den kommenden fünf Jahren von SPD und Grünen regiert werden?

Kraft: Umfragen sind nur Wasserstandsmeldungen. Wir kämpfen für eine starke SPD. Das Ziel ist natürlich eine stabile Mehrheit für Rot-Grün. Zusammen haben wir in den vergangenen fast zwei Jahren wichtige Themen angepackt, die nun weitergeführt werden müssen. Ich denke da besonders an die vorbeugende Politik unter dem Titel „Kein Kind zurücklassen“, aber auch an die Stärkung der Kommunen, den Kampf um gute Arbeit und den Wirtschaftsstandort NRW.

Trotzdem könnte es am Sonntag eng werden für eine Koalition aus SPD und Grünen. Was unterscheidet überhaupt eine rot-grüne Regierung von einer großen Koalition?

Kraft: Die Positionen der CDU sind im Wahlkampf doch hinlänglich klar geworden. Sie wollen die Schulden abbauen, sagen aber nicht, wo gespart werden soll. Wir haben stattdessen einen klaren Konsolidierungsweg eingeleitet. Allein in diesem Jahr waren rund eine Milliarde Euro im Haushalt eingeplant. Die CDU will laut ihrem eigenen Wahlprogramm nur 800 Millionen Euro einsparen. Mit den Grünen können wir zudem den Prozess der Energiewende besser vorantreiben. Denn Klimaschutz ist für uns ein Fortschrittsmotor und für den Wirtschaftsstandort NRW liegen darin viele Chancen. Die CDU hat zwischen 2005 und 2010 stattdessen die Windenergie massiv behindert.

Aber die großen Konfliktlinien von früher sind doch verschwunden. Alle wollen solide Finanzen, möglichst viele Kita-Plätze und eine rasche Energiewende.

Kraft: Es gibt einige wichtige Konfliktfelder. Bei der Frage, wie wir die Inklusion umsetzen, bin ich mir nicht sicher, ob alle Parteien einer Meinung sind. Ein großes Thema aber, das uns über Jahrzehnte hinweg beschäftigt hat, ist tatsächlich vom Tisch: Die Frage der Schulstruktur ist nun für 12 Jahre festgelegt. Da haben wir als rot-grüne Landesregierung zusammen mit der CDU endlich einen Schulfrieden vereinbart. Lediglich die FDP ist nicht bereit das zu akzeptieren und behauptet fälschlicherweise, dass die Gymnasien benachteiligt würden.

Die Liberalen können dank ihres Spitzenkandidaten Christian Lindner punkten. Erkennen Sie bei der FDP keinen Weg der Erneuerung?

Kraft: Herr Lindner versucht die FDP mit dem zu positionieren, was er mal mitfühlenden Liberalismus genannt hat. Es gibt aber noch immer eine große Diskrepanz zwischen dem, was er in seinen Wahlkampfreden formuliert und den eigentlichen Positionen der FDP. Ich erkenne noch keinen grundlegenden Wandel.

Die Piraten halten mit ihrem Drang nach Transparenz den etablierten Parteien im Wahlkampf den Spiegel vor und werfen auch der SPD vor, sich von den Bürgern zu entfernen. Ein berechtigter Vorwurf?

Kraft: Nein, wir sind die Kümmerpartei. Und wir sind sehr basisdemokratisch. Wir haben zum Beispiel die letzten Sondierungsgespräche sehr offen mit allen Mitgliedern diskutiert. Schon vor zwei Jahren haben wir unser Wahlprogramm parteiintern offen beraten und als Regierung den Haushalt 2011 mit 40.000 Nutzern im Internet diskutiert. Der Vorwurf, alle Entscheidungen würden in Hinterzimmern treffen, entspricht auch nicht der Realität. Im Landtag sind fast alle Plenar- und Ausschusssitzungen öffentlich. Diese abgeschotteten Strukturen, von denen die Piraten in Teilen sprechen, gibt es nicht.

Sie plakatieren im Wahlkampf mit dem Slogan „Jetzt den Westen fördern“. Was wollen Sie damit zum Ausdruck bringen?

Kraft: Die Menschen im Land erkennen tagtäglich, dass sich die Infrastruktur nicht in dem Zustand befindet, wie es eigentlich sein sollte. Wir haben im Westen Nachholbedarf bei der Sanierung von Straßen, Schienen, Bahnhöfen oder Brücken. Der Solidarpakt II gilt bis 2019. Aber ich sage ganz deutlich: Wir wollen die Infrastrukturmittel des Bundes in dem Maße nach NRW lenken, wie sie gemäß dem Anteil unserer Bevölkerung hier her gehören. Da werden wir mit einer starken Landesregierung den Druck auf die Bundesregierung erhöhen.

Wie soll das konkret aussehen?

Kraft: Uns geht es vor allem um Infrastrukturmittel aus dem Ressort von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer. Die Bundesregierung muss erkennen, dass NRW die größte Wirtschaftsregion und das Transitland Nummer Eins in Deutschland ist. Wenn hier die Infrastruktur nicht deutlich verbessert wird, schadet das der wirtschaftlichen Entwicklung in ganz Deutschland. In den nächsten zehn Jahren haben wir allein Brückensanierungen in einer Größenordnung von 3,5 Milliarden Euro vor uns. Das werden wir nicht alleine stemmen können.

Dann werden aber in anderen Regionen Gelder fehlen.

Kraft: Es kann doch nicht sein, dass Bayern über weniger Bahnhöfe verfügt als NRW, prozentual aber mehr umgebaut bekommt. Wo ist da die Gerechtigkeit? Es muss nach Bedürftigkeit gehen, und nicht nach Himmelsrichtung. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir in NRW sehr solidarisch den Aufbau vom Süden und Osten Deutschlands mitfinanziert. Das war auch alles gut und richtig. Aber nun muss hier im Westen die Infrastruktur erneuert und ausgebaut werden. Dafür werden wir Druck machen.

Autor: dapd