Berlin | aktualisiert | Bund und Länder haben sich nicht auf einen verbindlichen neuen Maßstab zur Beurteilung der Corona-Lage geeinigt. Die seit wenigen Wochen tagesaktuell erhobene Hospitalisierung von Covid-19-Patienten sei jedoch „eine wichtige Größe zur Beurteilung des Infektionsgeschehens“, heißt es im Beschlusspapier der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) vom Dienstag. „Insbesondere die Inzidenz“ solle jedoch weiterhin ein wichtiger Maßstab sein, daneben die Impfquote und die Zahl der schweren Krankheitsverläufe.

Niedersachsen ließ in einer „Protokollerklärung“ festhalten, dass das Land „einen neuen Maßstab zur Einschätzung des Pandemiegeschehens anstelle der alleinigen Inzidenzbetrachtung für die Zukunft für geboten“ halte. Schon vorher war bekannt geworden, dass das Angebot kostenloser Bürgertests für alle mit Wirkung zum 11. Oktober 2021 beendet werden soll. Für Personen, die nicht geimpft werden können und für die keine allgemeine Impfempfehlung vorliegt, wie Schwangere oder Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, soll es weiterhin die Möglichkeit zum kostenlosen Antigen-Schnelltest geben.

Spätestens ab dem 23. August soll die „3G-Regel“ für Zugang als Besucher zu Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen, Restaurants, Friseur und andere körpernahe Dienstleistungen, Sport im Innenbereich oder auch bei Beherbergungen gelten, wenn die 7-Tage-Inzidenz in einem Landkreis über 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner liegt. Alternativ können die Länder auch ein anderes „Indikatorensystem“ nutzen, das weitere Faktoren einbezieht, wie zum Beispiel Hospitalisierung, und das Infektionsgeschehen „vergleichbar“ widerspiegelt. Das bedeutet, Zutritt gibt es nur für geimpfte, genesene oder getestete Personen.

Bürger die auf Tests setzen, müssen einen negativen Antigen-Schnelltests, der nicht älter ist als 24 Stunden, oder eines negativen PCR-Tests, der nicht älter ist als 48 Stunden ist, vorlegen. Die Beschlussvorlage hatte noch vorgesehen, dass diese Regel auch für Gottesdienste gilt – das wurde von der Ministerpräsidentenkonferenz gestrichen. Weiter einigten sich Bund und Länder am Dienstag auf eine Höchstbegrenzung von 25.000 Zuschauern bei Sportgroßveranstaltungen.

Über die 3G-Regelung hinaus solle oberhalb einer absoluten Zahl von 5.000 Zuschauern die zulässige Auslastung bei maximal 50 Prozent der jeweiligen Höchstkapazität liegen. Der Bundestag soll zudem vermutlich am 7. September in einer Sondersitzung die förmliche Feststellung der Pandemielage über den 11. September hinaus verlängern.

Opposition mit MPK-Beschlüssen unzufrieden

Vertreter der Parteien, die im Bundestag in der Opposition sind, haben die Corona-Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) vom Dienstag kritisiert. „Die Beschlüsse der MPK sind angesichts steigender Infektionszahlen und einer inzwischen dominanten, gefährlicheren Virusvariante enttäuschend“, sagte Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen der „Rheinischen Post“. „Statt Pflegeeinrichtungen und Schulen endlich sicher zu machen, statt konkrete Maßnahmen für mehr Tempo beim Impfen vorzulegen, versucht man die Menschen an Stelle von überzeugenden Argumente durch Druck zum Impfen zu bewegen“, sagte er.

„Als Arzt sage ich, das wird nicht funktionieren“, sagte Dahmen. „Noch dazu beraubt man sich mit dem Wegfall kostenloser Tests eines systematischen Überblicks über das Infektionsgeschehen. In die gleiche Kerbe schlägt auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der gar einen Rückgang der Testbereitschaft bei Ungeimpften vorausgesagt. „Die Aufhebung der Kostenfreiheit für Tests wird bei der Bewältigung der Pandemie kontraproduktiv wirken. Denn dies führt dazu, dass sich deutlich weniger Menschen entscheiden, einen solchen Test zu machen“, sagte Kubicki ebenfalls der „Rheinischen Post“. „Damit sinkt zwar die Inzidenz, aber es werden nicht mehr diejenigen zuverlässig identifiziert, um die es bei der Pandemiebekämpfung eigentlich geht: die Infizierten“, sagte der FDP-Politiker. „Außerdem ist vollkommen unklar, wie sich diejenigen im Impfzentrum ausweisen sollen, denen weiterhin ein kostenfreier Test zusteht. Als „Stückwerk“ hat Linksfraktionschef Dietmar Bartsch die Beschlüsse des Bund-Länder-Treffens kritisiert. „Fatal ist, dass es keinen Plan gibt, über positive Anreize die Impfkampagne aus der Tempo-30-Zone zu holen und die Impfung zu den Menschen zu bringen“, sagte Bartsch den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Mittwochausgaben).

Das Ziel einer möglichen Herdenimmunität gerate zunehmend aus dem Blick. „Wir stehen vor einer vierten Welle, auch weil Armin Laschet und andere vornehmlich den Wahltermin im Blick haben“, sagte Bartsch. „Nach der Bundestagswahl drohen dann wieder Schließungen von Schulen. Die Bürger haben diesen kurzsichtigen Dilettantismus satt.“ Stephan Brandner, stellvertretender AfD-Bundesvorsitzender, zeigte sich „entsetzt“, wie die Partei mitteilte. „Wer nicht genügend Geld zur Verfügung oder gute Gründe hat, wird an der Ausübung seiner Grundrechte gehindert“, sagte er. Grundrechte seien „keine Geimpftenrechte“.

Autor: dts