Berlin | Mit scharfen Worten geht der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Frank Überall, mit der Berichterstattung über die jüngsten Gewalttaten ins Gericht. „Tatsächlich müssen sich gerade die Rundfunkanbieter daran messen lassen, ob ihre aktuellen Sendungen noch journalistischen Standards genügen“, schreibt Überall in einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“ (Mittwochausgabe). Die öffentliche Gier nach schnellen Informationen sei gefährlich.

So sei dem Amokläufer von München fälschlicherweise erst ein rechtsextremes, dann ein islamistisches Motiv unterstellt worden. „Augenzeugen berichteten Verqueres, Sender wie Onlinemedien verbreiteten das schnell.“ Überall räumt zwar ein, dass sich derjenige, der sich Zeit lasse und Gerüchte prüfe, bevor er sie veröffentliche, dem „Vorwurf der Schnarchnasigkeit“ aussetze. Aber: „Wer alles publiziert, was verbreitet wird, wird unglaubwürdig.“ Überall sieht daher die „medial vermittelte Öffentlichkeit“ in einem tiefgreifenden Strukturwandel, bei dem es um Relevanz und Vertrauen gehe.

„Redaktionen dürfen sich nicht mit dem Virus der Unglaubwürdigkeit sozialer Netzwerke anstecken“, warnte der DJV-Chef. „Für Medien, die sich als Qualitätsprodukte im Markt platzieren, wäre das tödlich. Trotzdem versuchen viele, das kopflose Hennenrennen gegen soziale Netzwerke zu gewinnen.“ Überall warb daher für gut ausgestattete Medien.

„Gleich nach einer Eilmeldung wird man nie über alle Hintergründe einer Gewalttat berichten können“, erklärte er. Handwerklich korrekte Recherche, die für eine „wahrhaftige Berichterstattung“ notwendig sei, koste Zeit und Geld. „Beides muss die Gesellschaft den Medien gewähren, will sie sich nicht mit dem Virus der Desinformation und Verrohung anstecken.“

Autor: dts