Köln | Der Vorstellabend vor ausverkauftem Theater am Tanzbrunnen. Die Kajuja dreht den Lautstärkeregler auf. Beobachtungen und Stilkritik zum Vorstellabend Nr. 2 in Köln vor der Session 2025. Von report-K.
Kurze Ausschnitte aus dem Programm des Kajuja Vorstellabends 2024 im Theater am Tanzbrunnen im report-K Videobeitrag:
Hektisch, Fastelovend außer Atem und den Volumenregler auf maximal gestellt, so präsentierte sich das volle Partyprogramm beim Vorstellabend der Kajuja. Bei den Jungen kommt das Mega an und sorgte für gigantische Stimmung im Theater am Tanzbrunnen. Es lohnt ein differenzierter Blick auf die 13 Programmnummern 2024, da der Vorstellabend der Kajuja gemeinhin als Seismograph für Trends im Kölschen Fasteleer gesehen werden kann. Hier starten die Trends. Umso erstaunlicher mutet es an, dass zwar Agenturchefs gesichtet werden, aber wenige derer, die später die Shoutbox anwerfen, wenn es um die Deutung des immateriellen Kulturerbes geht und die sich als Gralshüter des Kölschen Fasteleer verstehen. Aber das nur als Randnotiz.
Vorstellabende sind das Vorspiel der Session
So ein Vorstellabend eignet sich zur seismographischen Einordnung des Kölner Karnevals, das ist heute die eigentliche Rolle dieser Veranstaltungen. Sie spiegeln oder reflektieren die Analyse der vergangenen Session und reagieren mit neuen Impulsen auf die kommende Session. Sie zeigen, was hat sich verändert und wie reagieren die wichtigsten Akteure – die Aktiven auf der Karnevalsbühne – auf die von ihnen wahrgenommenen Veränderungen und formulieren ein Angebot an die, mit denen sie später die Zahlung dieser künstlerischen Dienstleistung vereinbaren. Es geht also nicht mehr um den einen neuen Song oder die eine neue Rede, sondern eher um die Megatrends für Sitzungs-, Ball-, Straßen- und Kneipenkarneval. In den vergangenen Jahrzehnten war und ist der Vorstellabend der Kajuja der stärkste Taktgeber in diesem Spiel, denn in der Kajuja sammelt sich die Jugend. Auch wenn die Vereinigung seit 75 Jahren besteht. Sie feierte am Samstag Jubiläum.
Künstlervereinigungen kommen und gehen, spielen eine große oder weniger starke Rolle. Als Stichwort mögen die Muuzemändelcher dienen, die seit einigen Jahren ihre vormals wichtige Rolle abgegeben haben. Es geht nach wie vor bei den Vorstellabenden darum, was kommt im Kölner Karneval und wie ist dieser positioniert, auch wenn die saturierten Marken wie Bläck Fööss, Brings oder Höhner dort nicht mehr zu finden sind. Sie profitieren von ihrem Status und Habitus, selbst wenn sie sich personell verjüngten. Deren Lizenzprogramm reicht als Qualitätsmaßstab, aber sie setzen nicht mehr die neuesten Trends. Sie sind automatisch gesetzt am Elften im Elften oder den Mitsingzetteln in den Kneipen.
In den Sitzungssälen gab es nicht nur durch die Corona-Pandemie Veränderungen. In vielen Gesellschaften wurden die Staffelstäbe weitergereicht und das Publikum forderte mehr Party. Denn in den Augen vieler Menschen ist Kölner Karneval und Kölner Musik Party und Partymusik. Die Grenzen zwischen Straßenkarneval, Mallorca Urlaub in der Schinkenstraße und Sitzungskarneval verschwimmen zunehmend und überall dort ist kölsche Musik als Exportschlager gefragt. Das ist nicht neu.
Die Gesellschaften reagierten in zwei Richtungen. Sie buchten mehr Bands auf ihre Sitzungen, weniger Tanzgruppen und Redner. Sie lassen mehr Party zu und die Bands animieren stärker und richten ihre Songs auf Mitmacheffekte aus und weniger auf inhaltliche Aussage. Wer dies negiert, dem sei empfohlen einmal eine Sitzung kurz vor Mitternacht zu besuchen, wenn eine Band spielt und im Mittelgang die jecken Partypeople toben. Die Gesellschaften reagierten nicht nur mit der Buchung von mehr Bands und Musik, sondern schafften neue Formate: die Flüstersitzung, die Sitzung der leisen Töne oder wie die einzelnen Formate heißen. Sie differenzierten ihr Angebot aus und ergänzten das Format Sitzung, bei gleichzeitiger Ausweitung des Ballangebotes, das heute mehr Gesellschaften im Angebot haben, als noch vor einigen Jahren. So ist das mit Angebot und Nachfrage und andersherum.
Eine Sitzung ist heute mehr Party als jemals zuvor. Ein konkretes Beispiel dafür ist auch die Prinzenproklamation im Kölner Gürzenich. Redner und Proklamationsakt in die erste Hälfte und danach Partyprogramm nonstop. Da wird selbst in der Gralsritter-Sitzung des Kölschen Fasteleer mehr Bierzeltseligkeit, Sing-along-happening und Partylaune zelebriert. „Döp, dödö, döp!“ Schließlich wollen alle die ganze Nacht feiern – auch die mit den besonders mit Straß geschmückten Kappen mit Mond.
Bands bieten Partystimmung
Die jungen Bands auf dem Kajuja-Vorstellabend wie „Zesamm“, „Scharmöör“ oder „Aluis“ boten Party pur. Daran ließen sie keinen Zweifel. Wer sie bucht, bei dem steht der Saal von der ersten Minute an. Dies garantiert der Wumms der aus der Bassbox kommt oder wie es die Atzen verewigten in „Denn die Party geht erst los – Wenn die Bässe richtig pumpen…“. Durch die Lautstärke – Unterhaltung am Tisch unmöglich – und Daueranimation ist Partystimmung garantiert. Neben der Lautstärke haben die jungen Bands nochmal an der Temposchraube gedreht. Da tickt das Metronom im Turbo- und nicht im Moderato-Modus. Da ist Prestissimo angesagt. Das ist deutlich geschwinder als die Polka im raschen Zweivierteltakt. Schließlich geht es ja auch nicht um Rundtanz, sondern Hüpfen an den Tischen. Dazu kommt Sprechgesang – das beschleunigt den Sound um ein vielfaches – und im Theater am Tanzbrunnen natürlich Stroboskop-Licht.
Der Anspruch an die Texte ist simpel gehalten: Leicht merkbar, leicht ergänzbar, aus dem Klischee-Zettelkasten. Die Textbausteine muss eine maximal breite Masse kennen und fast von alleine ergänzen können. Bestes Beispiel von „Zesamm“ ist „Bella“… „Colonia“. Das hat der Saal nach einmaliger Ansage von der Band drauf. Sänger: „Bella“. Saal-Echo: „Colonia“. Die Texte erzählen keine Geschichte mehr, sondern sind Chiffren für Kölsch, Kölle, Sunnesching oder hart abfeiern, wie die „Abriss GmbH“ von „Aluis“. Dazu kommen Lautmalereien wie Döp, dödö, döp! Diese Lautmalereien können auch in anderer Reihung oder anderer Buchstabenfolge vorgesungen werden.
Wichtig Eins: Da muss keiner den Text kennen. Wobei durch die klischeehaften Versatzstücke es heute nicht mehr nötig ist das Lied vorher gesungen zu haben oder wie bei „Loss mehr singe“ noch ein Textheft in der Hand zu halten, sondern einmal oder zweimal den Refrain gehört und schon kann mitgesungen werden. Das ist wichtig für die Saalkaraoke. Die Literaten können es sich sparen in den Liederheften auf dem Tisch die Texte abzudrucken. Das ist ja auch ökologischer. Der Klischee-Zettelkasten wird in Zukunft sicher, wenn nicht jetzt schon, aus KI generiert werden.
Wichtig Zwei: Animation. Vielleicht ist das nicht neu oder doch. Neben ihren Instrumenten und Verstärkern bringen die Bands jetzt Kisten mit auf die Bühne, auf denen die Musiker stehen, wenn der Saal steht. Das ist clever, denn nur so kann sie auch das hintere Publikum sehen und wer animieren will und muss, der muss gesehen werden, da er sonst den Takt nicht vorgeben kann. Mehr Stehparty in den Sälen braucht neue Ideen für die Inszenierung der Band. Döp, dödö, döp!
Zur Einordnung: Dies ist keine Kritik an den vorgestellten Bands wie „Zesamm“, „Scharmöör“ oder „Aluis“, die die Redaktion auf dem Kajuja-Vorstellabend sah. Sie passen sich dem Trend und der Nachfrage an, reagieren darauf mehr als professionell und formulieren ein tolles Angebot an Programmgestalter von Karnevalssitzungen. Und sie verkaufen ihre 100 Prozent Partypackung gekonnt als kölsches Lebens- und Herzensgefühl. Alle drei Bands sind top und sie werden in den Sälen, Kneipen für Partystimmung mit ihrem dominanten Sound und straighten Animationen sorgen. Was zu der Entwicklung nicht mehr passt ist die Debatte kölscher Gralshüter aus den vorvergangenen Jahren, was Karneval und was Ballermann sei. Beides ist zu einer großen Party verschmolzen, weil das Publikum es so will. Döp, dödö, döp!
Eine Randbeobachtung: Es gab im Kölner Karneval immer wieder das Phänomen, dass die älteren Karnevalssemester laute und junge Musik ablehnten. Erinnert sei an die rockige Phase von Brings und deren „Poope…“. Darauf tanzen heute ja, bekanntermaßen Kinder- und Jugendtanzgruppen. Auch bei der Kajuja blieben einige Ältere konsterniert auf ihren Plätzen sitzen, über die die Party-Eskalation hinwegrollte. Wir wissen nicht, ob der oder die andere nicht dachte: da war Brings doch ein Ministranten-Chor vor dem Stimmbruch und AC/DC ein Mozartkonzert gegen den Abriss am Vorstellabend. Aber die dürften Scooter vs. Marc Acardipane & Dick Rules – Maria (I Like It Loud) nicht kennen. “Döp, dödö, döp!“. Alle unter 55 im Saal beim Vorstellabend bei der Kajuja zeigten sich begeistert vom Programm der jungen Bands und jubelten nach deren Auftritten. Die Älteren gehen dann halt auf die Flüstersitzung und rufen leiser Alaaf.
Das Kontrastprogramm
Bei der Kajuja gibt es ein Duo, die Herren Löhr, die als „Zwei Hillje“ dazu das Kontrastprogramm bieten: Krätzchen, Splatter-Krätzchen aus dem Garten, Kastenwagen-Krätzchen oder Gender-Krätzchen, die sich statt mit Autowäsche mit Fahrzeuginnenreinigung beschäftigen. Kurzum das Top-Duo für die Flüstersitzung mit leisen kölscheren Tönen und Texten aus dem Hier und Jetzt. Übrigens verzichten die Herren Löhr auf Animation und „Döp, dödö, döp“, passend zu der Zielgruppe, die sie bespielen.
Die Kajuja und die Tanzgruppen-Fanbase
Bei keinem anderen Vorstellabend werden die Tanzgruppen so kräftig und schrill supported wie bei der Kajuja. Scream it loud, wenn Du zur Fanbase gehören willst. Strunde Pänz, Rheinmatrosen Minis, Rheinmatrosen und Schlebuscher konnten sich auf den Support verlassen. Akrobatische Performance bleibt das Markenzeichen der Rheinmatrosen der Großen Mülheimer Karnevalsgesellschaft. Da fliegen die Mädels in jede Dimension des Raumes, soweit dieser dies zulässt. Die Tänzer:innen agieren wie im kölschen Weltraum – annähernd schwerelos. Wer spektakuläre Figuren und Akrobatik für sein Publikum sucht, ist mit den Rheinmatrosen bestens versorgt.
Die Redner:innen
Der Kölner Karneval hat kein Redner:innen-Problem und auch kein Sprachproblem mit fehlendem Kölsch. Das zeigte sich bei der Kajuja mehr als deutlich. Es gab zwei Angebote in kölscher Sprache: Ne Spätzünder und der Knubbelisch. Beide mit kölschen Narrativen und in perfektem und tiefsten Kölsch.
Der Knubbelisch entführte in den Löstigen Scharfrichter an die Theke. Sodann ließ er Bilder kölscher Typen entstehen und malte sie in kölscher Sprache so dicht aus, dass sie vor jedem geistigen Auge im Saal sichtbar wurden. Knubbelisch wies dezent darauf hin, dass er sehr wohl ein gedrucktes Witzebuch aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts ab und an zu Rate ziehe, und dessen Witze auf die Neuzeit anpasse. So eine Art Witze KI in gedruckt. Der Knubbelisch, Ralf Knoblich, ist ein kölscher Poet, der sinnlich kölsches Lebensgefühl, wie es die kölschen Somewheres so lieben, erzählen kann. Also diejenigen die mit Köln stark verwurzelt sind und die gerade über den Kölschen Fasteleer ein großes Gruppenzusammengehörigkeitsgefühl entwickeln. Und er gehört dazu. Dies führt dazu, dass der Knubbelisch extrem authentisch rüberkommt. Gleichzeitig ist der Knubbelisch mittlerweile auch ein ausgebuffter Bühnenprofi, der es versteht mit dem Publikum zu spielen und es zu locken. Dabei wechselt er schon mal gerne vom Trab in den Galopp. Die Rede vom Knubbelisch für die Session 2025 – und mehr sei nicht verraten – ist ein sprachkulinarischer Hochgenuss, so eine Art Himmel und Äd der kölschen Rede.
Der Spätzünder ist derber in der Ansprache und ihm fehlt die lange Erfahrung eines Knubbelich. Dafür ist auch er wahnsinnig authentisch und er vermittelt in seiner Rede wie stark er sich Köln, der Kölschen Sprache und dem Kölschen Lebensgefühl verbunden fühlt. Aus dieser Verbundenheit entwickelt der Spätzünder allerdings ein Einteilungssystem. Entführt Knubbelisch in die Kneipe zum Löstigen Scharfrichter und erzählt über kölsche Typen, wird der Spätzünder eher zum Richter über das was er als Kölsch definiert. Dafür bekommt er von einem Teil des Publikums Zuspruch. Negativ und unkölsch ist die Rede der Oberbürgmeisterin bei der Prinzenproklamation, Menschen, die mit Steckenpferden spielen oder der Ebertplatz ohne dass dies näher definiert wird. Die Kölner Schulen seien Ruinen und der Spätzünder klagt: „kein Panz spricht mehr Kölsch“. Dann stellt er die Frage: „Kölle wo gehst Du hin“. Sein Köln ist Süper, FC und er findet es gut, dass die Stattgarde in diesem Jahr das Dreigestirn stellt. Dann wäre das auch sortiert.
Erika Laste tritt als das letzte volkseigene Thüringer Funkenmariechen auf. Unter ihrem volkseigenen Kostüm trägt Erika ein Spitzenhöschen mit dem sie auf der Bühne kokettiert. Der Auftritt war durchaus durchwachsen, so gab es an mehreren Stellen ordentlichen Applaus, an anderen eher weniger. Das mag auch daran liegen, dass die Figur vom Ansatz her gelungen erscheint, aber für eine Karnevalsrede noch ein klarerer roter Faden, der beim Zuhören erkennbar wird, fehlt. Der Auftritt professionell, da Erika Laste viel Moderations- und Bühnenerfahrung mitbringt unter anderem von der Moderation der Nubbelverbrennung im Kölner Bermudadreieck seit 13 Jahren.
Oma Helga konnte nicht überzeugen. Dafür aber Djavid, der mit seiner Rede nicht nur an einer Stelle dem Publikum den Spiegel vorhielt. Wer Motombo kennt, erahnt die Richtung. Djavid war zum ersten Mal bei der Kajuja auf der Bühne und ihm gelingt es Verwirrung in den Köpfen seines Publikums zu stiften und dann den Knoten im Hirn auf herrlich sarkastische Art und Weise wieder zu entwirren. Dabei hat Djavid einen wunderbaren Helfer: Das Vorurteil. Djavid spielt in einer Liga wie Bülent Ceylan oder Motombo. Seine Selbstironie, Beobachtungsgabe seiner Surroundings, deren scharfe sowie zielgenaue Analyse und Fähigkeit dies in Sprache und sprachlichen Bildern wiederzugeben macht ihn für die kommende Session zu einem Must-Have für die Literaten die einen Newcomer Shooting-Star präsentieren wollen. Seine Comedy-Pirouetten setzen allerdings auch ein frisches und offenes Publikum voraus. Es gab Standing Ovations.
Die Auftritte von King Loui, der Schlebuscher und von Bel Air verfolgte die Redaktion nicht mehr, so dass diese hier nicht explizit besprochen werden.
Die Jugend ist laut und schnell. Egal ob Band, Tanzgruppe oder Moderation. Da wird der Lautstärkeregler aufgedreht. Die Geschwindigkeit der Beats per Minute auf Maximal gestellt. Es ist schrill, die Shoutbox ist an. Die Jungen sprechen eine andere Sprache auf der Bühne und wollen Party. Dabei verabschieden sie sich aber nicht von kölschen Klischees wie Hätz und Schmalz. Nein, ganz im Gegenteil da duftet die Stadt nach Döner und nach Rievkooche. So bunt wie sie sich selbst gerne sieht. Aber die jungen Kölschen – da muss nicht einmal gegendert werden – bringen es härter. Mehr Party, mehr Volume und coolere Sprüche. Damit greift die Kajuja, ganz ihrer Tradition entsprechend frühzeitig Trends auf, die sich seit zwei Jahren im Sitzungskarneval und die nächste jecke Generation ankündigen.