Berlin | aktualisiert | In Deutschland sind mehr als zwei Millionen Minderjährige auf staatliche Grundsicherung angewiesen. Das geht aus neuen Daten der Bundesagentur für Arbeit hervor, aus denen die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ (Mittwochsausgabe) zitiert. Ende 2016 lebten demnach 2.003.805 Unter-18-Jährige in Bedarfsgemeinschaften, sprich in Familien, die Hartz IV beziehen.

Trotz des anhaltenden Wirtschafts-Aufschwungs waren das 3,3 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Die Quote der Kinder und Jugendlichen in der Grundsicherung stieg bundesweit von 13,6 auf 14,1 Prozent. In NRW fiel der neuerliche Anstieg der Kinderarmut mit 3,8 Prozent auf 564.000 noch deutlicher aus.

Die höchste Hilfe- oder Armutsquote gab es Ende 2016 in Gelsenkirchen, dort leben mittlerweile vier von zehn Kindern (39,6 Prozent) in Hartz-IV-Haushalten. Die jüngste Entwicklung hängt laut Bundesagentur für Arbeit in NRW eng mit der Zuwanderung zusammen, denn für den Anstieg sorgten vor allem mehr ausländische Kinder in der Grundsicherung, darunter viele Flüchtlinge. Doch auch die Langzeitarbeitslosigkeit halte viele Kinder dauerhaft in der Grundsicherung.

Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann kritisierte, dass bisher „fast alle Hilfsprogramme auf die Eltern und nur ganz wenige direkt auf die Kinder“ zielten. „Das ist der große Konstruktionsfehler“, sagte er der Zeitung. Er sprach sich dafür aus, dass der Staat die Kinder außerhalb ihrer Familien fördert, damit der in vielen Hartz-IV-Familien niedrige Bildungsstand der Eltern nicht weitergegeben werde.

Zwar tue man vielen engagierten Eltern damit Unrecht. „Wir wissen aber auch, dass die oberen 20 Prozent der Gesellschaft zu 80 Prozent wollen, dass ihre Kinder Abitur machen, von den unteren 20 Prozent wollen das nur 20 Prozent“, sagte er. Man müsse die Eltern motivieren, ihre Kinder dabei zu unterstützen, einen höheren Bildungsabschluss zu erzielen als sie selbst. Das sei „pädagogisch höchst anspruchsvoll“.

Armutsforscher Butterwegge: Armuts- und Reichtumsbericht „verharmlosend“

Der Armutsforscher Christoph Butterwegge hat den am Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedeten Armuts- und Reichtumsbericht als „verharmlosend“ kritisiert. Die große Koalition nehme die „Finanznöte vieler Familien“ einfach nicht ernst, schreibt der Politologe in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Rundschau“ vom 13. April. Wenn es in dem Report heiße, „nur wenige Kinder in Deutschland leiden unter erheblichen materiellen Entbehrungen“, geht das Butterwegge zufolge an der Realität vorbei.

Die Koalition habe zwar den Regelbedarf von Arbeitslosengeld-II-Beziehern sowie Schulkindern und Jugendlichen im Hartz-IV-Bezug zum 1. Januar 2017 leicht erhöht. Kinder unter sechs Jahren gingen dabei aber leer aus, schreibt Butterwegge. Auch auf die wachsende Altersarmut, „eines der drängendsten Probleme“, habe die Regierung keine Antwort.

Die im Koalitionsvertrag angekündigte „solidarische Lebensleistungsrente“ für Menschen, die jahrzehntelang versicherungspflichtig beschäftigt waren, aber keine Altersrente oberhalb der staatlichen Grundsicherung bekommen, habe die Koalition nicht umgesetzt. Die Angst vor Armut im Alter, die selbst viele Angehörige der Mittelschicht umtreibe, biete einen günstigen Nährboden für die rechtspopulistische Agitation der AfD, warnt Butterwegge.

Autor: dts