Köln | Frank Domahs, Kölner Fotograf, war für LESPWA zweimal in Haiti und hat in Bildern die Situation in Port Au Prince festgehalten, zwei Jahre nach dem großen Erdbeben. Wir sehen Kinder in der Schule, das Leben auf der Straße, auf dem Markt, aber auch Bilder von der Arbeit von Dr. Barbara Höfler. Report-k.de sprach mit Frank Domahs, dessen Fotos ab Freitag dieser Woche im Bürgerhaus Stollwerck zu sehen sein werden.

Herr Domahs, Sie waren zweimal in Haiti. Wie erlebt man die ersten Augenblicke, wenn man aus Europa in Port au Prince ankommt?

Frank Domahs: Ich wurde am Flughafen von Port au Prince von der Kölner Ärztin Dr. Barbara Höfler abgeholt. Es war schon dunkel und die anschließende Autofahrt durch die immer noch zerstörte Stadt schon fast gespenstisch. Es gibt keine Straßenbeleuchtung, doch überall auf den Straßen sieht man durch die Scheinwerfer der fahrenden Autos Menschen auf den Straßen, die entweder noch im Licht ihrer Taschenlampen ihren Straßenhandel betreiben oder nach Hause eilen.

Schließlich kamen wir nach ENAM, einem recht großen Gelände mitten in Port au Prince, umgeben von einer fünf Meter hohen Mauer. Die Salesianerpatres betreiben dort ein Berufsausbildungszentrum, eine Vorschule und eine Bäckerei. Dort haben sie auch ihre Verwaltung und sie wohnen hier in einer flachen Baracke.

Ich bekam ein kleine Einzimmerhütte, in der ich die Zeit über wohnen konnte. Am Anfang stürmen natürlich sehr viele Eindrücke auf einen ein. Diese Stadt, der irrsinnige Verkehr mit Regeln, die man auch nach Tagen noch nicht verstanden hat und schließlich eine Gesellschaft, die ebenfalls ganz eigene Regeln hat.

War dies beim zweiten Mal anders?

Selbstverständlich. Einerseits war es sehr schön, viele liebgewonnene Menschen wieder zu treffen, andererseits war das Gefühl nicht mehr so stark, sich in einem fremden Land zu befinden. Dies macht einen sehr viel entspannter und man kann sich besser auf die Arbeit konzentrieren.

Wie kamen Sie dazu für LESPWA zu arbeiten?

Ulrike Mertens-Steck, Mitarbeiterin im Bürgerhaus Stollwerck und Vorstandsmitglied bei Lespwa e. V., brachte mich in Kontakt mit dem Verein. So fotografierte ich für LESPWA 2009 eine Charity Veranstaltung und eine Containerverschickung. Als dann die schreckliche Katastrophe passierte, erinnerte ich mich an den Film, den der Kölner Ralph Stöcker mit seiner Frau in Haiti für LESPWA gedreht hatten und auf der Charity-Veranstaltung zeigten.

In diesem Film wird die Arbeit von Dr. Barbara Höfler und des Vereins LESPWA, Hoffnung für Kinder in Haiti e.V. sehr gut dargestellt. So stellte ich den Film ins Netz und da LESPWA bis dahin noch keine brauchbare Internetseite hatte, baute ich eine Seite drumherum. Dadurch wurde der Kontakt zum Verein intensiver und Mitte letzten Jahres lud mich dann Dr. Barbara Höfler nach Haiti ein.

Sie dokumentieren in Ihren Fotos verschiedene Lebenssituationen von Menschen in Haiti. Einmal das Leben auf der Straße, auf den Märkten, also draußen. Zieht man da einfach am Morgen los und lässt sich treiben oder hatten Sie immer jemand der Sie an besondere Orte geführt hatte?

Die meiste Zeit habe ich Dr. Barbara Höfler bei ihrer täglichen Arbeit begleitet und ihre langjährige Kenntnis über die Menschen und ihr resolutes Auftreten ist eine sehr wertvolle Fähigkeit. Sie besitzt in Port au Prince ein hohes Ansehen, ist bekannt und geachtet.

Alleine in Port au Prince loszuziehen ist zu gefährlich. Erstens fällt man als Europäer sofort auf und zweitens weckt eine Fotoausrüstung verständlicherweise Begehrlichkeiten. Je nachdem, wo ich war, hatte ich bis zu fünf Begleiter bei mir, die einem die Arbeit zwar nicht unbedingt erleichterten, aber zwingend notwendig waren.

Ihre Bilder sind sehr eindringlich und zeigen eine immer noch sehr zerstörte Stadt. Zeigen die Bilder besonders „schlimme Zonen“ oder einen Querschnitt, wie er überall in Port au Prince zu finden ist?

Meine Bilder zeigen die Lebenswirklichkeit von 90% der Menschen, die in Port au Prince leben. Natürlich gibt es dort auch Supermärkte, Restaurants und an den Hängen oberhalb der Stadt Villen mit Swimming-Pools. Allerdings verkehren dort nur die ganz wenigen wirklich Reichen, die Angehörigen der MINUSTAH (UNO-Blauhelmsoldaten) und „Charity-Touristen“ aus den USA.

Ein einfacher Einkauf in einem Supermarkt übersteigt schnell das durchschnittliche Monatseinkommen einer Familie in Port au Prince – Frauen prostituieren sich für umgerechnet 50,- Cent. Ja, ich sehe in meinen Bildern einen Querschnitt repräsentiert. Mir ging es nicht darum, reißerische Bilder über das schlimmste Elend zu machen, sondern die alltägliche Realität zu beschreiben, mit der sich Dr. Barbara Höfler seit über 14 Jahren beschäftigt.

Fühlt man sich nicht manchmal wie ein Voyeur mit der Kamera? Wie geht man als reicher Westeuropäer mit so viel Armut und Leid um?

Nein, als Voyeur habe ich mich nie empfunden. Dazu waren mir die Menschen zu nah, die ich fotografierte. Ich war ja nicht dort, um Urlaub zu machen oder für Stadtrundfahrten im Rahmen einer Bildungsreise. Mein Aufenthalt dort war meine Arbeit, die ich sehr ernst nehme. Deshalb kam auch nie der Gedanke auf, mich dort wie ein „reicher Westeuropäer“ zu fühlen. Dann hätte ich wohl die falsche Perspektive eingenommen.

Was macht die Arbeit in Haiti mit einem persönlich?

Viele Sichtweisen ändern sich natürlich. Beispielsweise die Sicht darauf, wie man Menschen in armen Ländern helfen kann. Nach einer Katastrophe gibt es TV-Galas, wo man in irgendwelchen Spendenmarathons vom Sofa aus 5 Euro per SMS spenden kann. Dieses Geld fließt dann zu den Fürsten der Hilfsorganisationen. Nachdem diese das Geld erst einmal verwaltet haben wird der Rest, leider aus Unkenntnis oftmals ohne Sinn und Verstand, in das Land gepumpt.

Wenn man den Menschen vor Ort nachhaltig helfen will, ist man auch als Spender gefordert sich schlau zu machen, was mit seinem Geld passiert. Das ist nicht einfach, zugegeben. Ich werfe mein Geld aber auch keinem Autohersteller in den Rachen, nur weil er mir auf meinem Sofa eine prima Show bietet.

Ich sehe schon, dass es viele Menschen gibt, die gerne helfen wollen. Schlimm ist nur zu erkennen, wie in unserer Gesellschaft, die eigentlich gebildet und aufgeklärt sein sollte, solch ein Unfug immer wieder passiert. So traurig mich viele Schicksale der Menschen in Port au Prince auch gemacht haben, so wütend macht mich inzwischen diese Trägheit, in der unsere Gesellschaft verharrt. Wir haben keinen Grund nur rundum glücklich und zufrieden zu sein – uns geht es nur verdammt gut!

Die Bilder mit den Porträts der Frauen und Ihren Kindern entstanden im Rahmen des LESPWA Engagements. Wie hilft LESPWA?

Dazu müsste ich mehr über Dr. Barbara Höfler erzählen, da der Verein sich gründete um ihre Arbeit zu unterstützen: Dr. Barbara Höfler, damals gerade pensioniert, besuchte vor vielen Jahren Hilfsprojekte in Port au Prince, unter anderem die Kleinen Schulen des Pater Bohnen (OPEPB) und ein Straßenkinderprojekt der Salesianer. Sie packte die Not der Kinder so sehr, dass sie beschloss, sich dort persönlich zu engagieren. Ein Jahr lang bereitete sie sich vor, indem sie die creolische Sprache erlernte und Kurse in Tropenmedizin besuchte. 1998 kam sie dann zurück nach Haiti, um die Straßenkinder in Port au Prince medizinisch zu versorgen.

Seit 1999 betreut sie zusätzlich 3.000 Vorschulkinder von OPEPB und ihre Angehörigen in den zwei größten Slums von Port au Prince (Sité Soley und La Saline) und in Notfällen die Schüler der anderen Schulen der OPEPB – dies waren vor dem Erdbeben 25.000, inzwischen aber 18.000 Kinder und Jugendliche.

Ein anderer Schwerpunkt ihrer Arbeit dort ist die Verbesserung der Vorschulen. Sie bietet für die Erzieherinnen und Studentinnen in den Kindergartenseminaren von OPEPB Kurse in Montessori-Pädagogik an, hält Vorträge für die Eltern der Vorschulkinder und besorgt entsprechendes didaktisches Material in Europa. Wie notwendig allein schon diese Arbeit mit den Eltern ist wird klarer, wenn man bedenkt, dass 90% von ihnen Analphabeten sind.

Die meisten Kinder leben mit ihren Müttern in schlimmer Armut. Um den Müttern die Möglichkeit zu geben ihre Kinder ohne Prostitution zu ernähren und sie unabhängig vom Betteln zu machen, hat Dr. Barbara Höfler bisher hunderten von Müttern Geld für einen Kleinsthandel gegeben. Straßenmädchen, die in einem Salesianerprojekt Nähen gelernt haben verhalf sie zu eigenen Tretnähmaschinen und einer Grundausstattung mit Stoffen und Nähutensilien, sodass diese jungen Frauen, die oft mehrere Kinder von verschiedenen Vätern (Prostitution) haben, voller Stolz ihren Lebensunterhalt verdienen können.

Vor allem bei den Ihren Bildern aus den Schulen schimmert Hoffnung und Freude durch. Sie kamen sehr nahe ran. Wie haben Sie die Kinder erlebt?

Einerseits sind Kinder ja erstmal sehr freudige, offene und neugierige Menschen. Mich hat es aber sehr erschreckt zu erleben, dass diese „Großstadt“-Kinder kaum Berührung mit Spielzeug haben und wie wichtig dies ist. Wenn Kinder in der Natur, also eher in Dörfern außerhalb der Stadt aufwachsen, finden sie etwas, womit sie spielen können. In dieser Stadt haben sie zuhause aber nichts, womit sie spielen könnten – ein einziges Mal habe ich Kinder mit einem Ball spielen sehen. Wenn sie dann in der Vorschule Bauklötze sehen, stehen sie erst einmal ratlos davor.

Außerdem zu erleben, wie die Eltern in der Regel mit ihren Kindern umgehen: Prügel sind immer noch Normalität in der Erziehung der Eltern, die meist selber noch Kinder sind. Hinzu kommt, dass es auch normal ist, dass die Mütter alleine erziehen und für den Lebensunterhalt sorgen müssen. So werden Kinder hingenommen, als Teil des Lebens. Aber Liebe zu den Kindern, oder auch in einer Beziehung, erschien mir als ein Luxusgut, welches sich dort die wenigsten leisten können. Die Mütter sind gerade erst halbwegs erwachsen und schon müssen sie sich dem Kampf ums überleben aussetzen – da ist es sehr verständlich, dass sie nur das weitergeben, was sie gerade erst selber erlebt haben. Diesen Teufelskreis durchbrechen kann nur eine gute Vorschulpädagogik und eine vernünftige Schul- und Berufsausbildung.

Ihre Bilder aus Haiti werden jetzt im Bürgerhaus Stollwerck zu sehen sein und auch auf Tour gehen. Was wollen Sie und LESPWA mit der Ausstellung erreichen?

Diese Ausstellung ist eine Dokumentation der Zustände in Port au Prince und der Arbeit von LESPWA und den OPEPB. Wir möchten darauf aufmerksam machen, dass es noch lange nicht damit getan ist, eine funktionierende Infrastruktur dort aufzubauen. Diesem Land aus dem Elend zu helfen, bedeutet einen sehr langen Atem zu haben und von Grund auf eine neue Gesellschaft aufzubauen. Dies gelingt natürlich am Besten durch die Arbeit mit den Kindern und ihrer Versorgung, da sie dieses Land irgendwann übernehmen werden.

Wollen Sie noch einmal nach Haiti?

Sehr gerne! Ich habe vieles kennengelernt was mich beeindruckt hat und bin sehr gespannt, wie es mit den Projekten weitergeht.

Herr Domahs, vielen Dank für das Gespräch.

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Frank Domahs, 43, ist Fotograf in Köln. Für sein Foto zum Stadtarchiveinsturz von Heiko Wegner, als dieser mit dem Handy in seiner zerstörten Wohnung telefonierte, wurde Domahs mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kölner Medienpreis. Frank Domahs fotografiert beeindruckende Reportagen für Medien und Magazine, unter anderem auch für report-k.de | Kölns Internetzeitung. www.domahs.de
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Die Ausstellung mit den Fotos von Frank Domahs, die die Arbeit von LESPWA in Haiti dokumentiert wird am Freitag, 13. April um 18:00 Uhr im Bürgerhaus Stollwerck eröffnet und ist bis zum 06. Mai zu sehen.
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Informationen zu LESPWA und der Arbeit in Haiti gibt es hier im Netz: www.lespwa.de

Autor: Andi Goral
Foto: Der Kölner Fotograf Frank Domahs dokumentierte mit beeindruckenden Fotos die Arbeit von LESPWA und das Leben in Haiti