Interview mit Dr. Marcus Dekiert – Direktor des Wallraf-Richartz-Museums in Köln

Welche Folgen hat der zweite Lockdown für das Wallraf?

Dekiert: Wir können derzeit unserer Kernaufgabe, Menschen die Begegnung mit originalen Kunstwerken zu ermöglichen, nicht mehr nachkommen. Dazu kommen ausbleibende Ausgaben durch Eintrittspreise, unseren Shop und die Gastronomie. Das summiert sich mit dem zweiten Lockdown weiter auf. Dazu kommt, dass zwischen den beiden Lockdowns die Besucherfrequenz geringer geworden ist, was wir natürlich zu spüren bekommen. Schwer ist aktuell auch die kurz- und mittelfristige Planung für unser Programm. Wir haben schon früh entschieden, die großen Ausstellungen ins kommende Jahr zu schieben. Aber es bleibt offen, wie sich die Situation im Frühjahr für uns darstellt. Das bringt Spätfolgen mit sich, die wir auch dann noch zu spüren bekommen, wenn die Pandemie durch Impfstoffe oder Medikamente besiegt werden kann.

Wie stellt sich im Moment die Lage für Ihr Haus dar?

Marcus Dekiert: Aktuell ist das Museum wegen des zweiten Lockdowns bis Ende November geschlossen, was uns trifft und was uns traurig macht. Wir haben als Institution gezeigt, dass wir Gesundheitsschutz und Hygieneregeln erfolgreich umsetzen können und dass unser Haus ein Ort ist, an dem sich die Besucher sicher fühlen können. Natürlich wissen auch wir, dass das Wallraf ein Ort ist, an dem Menschen zusammenkommen und zu dem die Besucher von zu Hause aufbrechen müssen. Man könnte sagen, dass es ungerecht ist, einen Baumarkt offenzulassen und ein Museum zu schließen. Aber die Politik musste eine Entscheidung treffen und wir müssen jetzt unseren Beitrag dazu leisten, dass man die Pandemie wieder in den Griff bekommt.

Was sind die größten Herausforderungen für Sie als Museumsdirektor?

Dekiert: Eine Herausforderung ist es, die Planung für die kommenden zwei Jahr hinzubekommen. Der Betrieb läuft auch dann unvermindert weiter, wenn die Türen für die Besucher geschlossen sind. Es ist eine veränderte Arbeitswelt, da viele Kollegen im Homeoffice sind und man sich nicht schnell einmal über den Flur absprechen kann. Auch Teammeetings sind im Moment nicht möglich. Da muss man dann neue Möglichkeiten wie Videokonferenzen nutzen. Das ist eine Entwicklung, die über die Pandemie hinausgeht. Es wird künftig ein Miteinander unter neuen Bedingungen geben.

Wie sieht aktuell Ihr Berufsalltag aus?

Dekiert: Da gibt es keine großen Veränderungen zum Normalbetrieb. Ich war auch im ersten Lockdown nie im Homeoffice. Es ist wichtig, dass ich vor Ort bin, weil Entscheidungen getroffen und Projekte vorangetrieben werden müssen. Das gilt auch für die neuen digitalen Angebote wie die App und den 360-Grad-Rundgang, die wir gerade vorgestellt haben. Zudem wollen wir unseren gedruckten Museumsführer vor Weihnachten noch neu auflegen und dann mit einem attraktiven Programm nach der Wiedereröffnung an den Start gehen.

Wie fällt die erste Bilanz der neuen digitalen Angebote aus?

Dekiert: Die sind jetzt gerade einmal eine Woche am Start, aber die ersten Rückmeldungen waren schon sehr positiv. Das Internet ist natürlich nur ein Ersatz, wenn es nicht möglich ist, das Museum zu besuchen. Unsere zentrale Aufgabe ist die Arbeit mit und am Original. Das versuchen wir unseren Besuchern weiterzugeben. Trotzdem haben die digitalen Angebote einen klaren Mehrwert für unser Haus, auch wenn sie wie die App direkt vor Ort, also im Museum genutzt werden. Diesen wichtigen Weg werden wir auf jeden Fall weiterverfolgen.

Welche Möglichkeiten gibt es hier noch?

Dekiert: Wir haben unter anderem gemeinsam mit unserem Freundeskreis das Programm „Kunstsalon“, bei dem Direktoren, Kuratoren und Mitarbeiterinnen der Freunde in kurzen Filmen ihre eigene Führung durch unser Haus anbieten. Außerdem präsentieren wir wieder unter dem Hashtag #wallrafdaheim täglich ein Highlight unserer Sammlung auf unseren Social-Media-Kanälen. Für Kinder gibt es das Angebot „Bilder im Ohr“, bei dem Kunstwerke kindgerecht erklärt werden. Aktuell arbeiten wir an einem Multimediaguide für Kinder. Man muss zudem überlegen, was man künftig für Schulklassen, die vor dem zweiten Lockdown langsam wieder zu uns gekommen sind, machen kann. Wichtig ist es, sich digital möglichst breit aufzustellen und viele verschiedene Zielgruppen anzusprechen.

Welche Bedeutung haben Museen in Krisenzeiten?

Dekiert: Es gab Empörung und Unmut von vielen Museumsmenschen, weil sie sich bei den öffentlichen Statements nicht wiedergefunden haben. Da liefen Museen unter sonstigen Freizeiteinrichtungen oder in einer Reihe mit Tattoostudios. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Museen eine hohe Bedeutung für die Menschen haben, die sich mit Kunstwerken auseinandersetzen und ihnen begegnen möchten. Kunstwerke sind immer auch ein Fenster in die Geschichte und bieten viele Themen an, mit denen oder über die man in einen Diskurs treten kann. Kulturinstitutionen wie Museen, Theater, Opernhäuser oder Bibliotheken sind Orte, an denen Menschen geistige Nahrung bekommen und wo sie Orientierung finden können.

Wie fällt Ihre Bilanz für 2020 aus?

Dekiert: Das Jahr hat mit unserer Rembrandt-Ausstellung wunderbar begonnen. Wir hatten mehr als 160.000 Besucher bei dieser Sonderschau zu Gast. Dann kam der erste Lockdown und wir mussten schließen. Insofern fällt die vorläufige Bilanz für dieses Jahr eher gemischt aus. Schwierig ist vor allem, dass wir nicht wissen, ab wann wir wieder unter stabilen Rahmenbedingungen planen können.

Was erwartet die Besucher im kommenden Jahr?

Dekiert: Im März 2021 wollen wir unsere Ausstellung „Bon Voyage, Signac!“ eröffnen, die eigentlich bereits für den Oktober 2020 geplant war. Jetzt wäre es allerdings sehr schwierig geworden, die Schau umzusetzen, weil wir unter anderem auch aus den USA Leihgaben erhalten. Die Ausstellung wird eine wundervolle Reise durch Europa mit großartigen Kunstwerken. Geplant ist als kleinere Ausstellung zudem ein Projekt zur spanischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Im späteren Jahresverlauf gibt es dann noch eine große Schau aus unserer Abteilung Kunsttechnologie und Restaurierung. Hier geht es um die Maltechnik vom Mittelalter bis zum Beginn der Moderne. Dabei können die Besucher den Malern gleichsam über die Schulter schauen.

Was macht Ihnen aktuell Sorgen und was Hoffnung?

Dekiert: Sorgen macht mir, dass der Lockdown verlängert wird, weil er es nicht schafft, die Pandemie so auszubremsen, wie man sich das erhofft hat. Hoffnung macht mir, dass wir es vielleicht schon im Frühjahr schaffen, mit einem Impfstoff die Pandemie in den Griff zu bekommen und dass so die Rückkehr zum Normalbetrieb wieder absehbar wird.

Autor: Von Stephan Eppinger