Köln | Der spektakuläre Zufallsfund von Franz Josef Heumannskämper sorgte am Donnerstag Abend nach Bekanntwerden des report-K-Artikels für viele Reaktionen in der Redaktion.
Der Kölner Regisseur hatte bei einer Wohnungsauflösung im belgischen Viertel Anfang 2022 einen Lederkoffer mit Briefen entdeckt, die sich als Aufzeichnungen des gerade einmal 17-jährigen Kölner Wehrmachtssoldaten Waldemar „Waldi“ Bauer aus der Endphase des 2.Weltkriegs entpuppten. Darin wandelt sich der Grenadier vom kriegsbegeisterten Naivling zum abgetakelten Realisten, der ein Glück hatte, dass seine Briefe an die Mutter nicht von der Zensur entdeckt wurden.
Einige User fragten nach Beispiel-Briefen. An dieser Stelle kommen wir mit der großzügigen Erlaubnis von Franz Josef Heumannskämper den Bitten nach und veröffentlichen exemplarisch aus dem Original transkribierte Briefe von „Waldi an der Front“, der das Kölner Stadtwappen selbst als eine Art Briefkopf zeichnete. Sie sprechen für sich.
Petrikau 30.6.44
Liebe Mutter!
Der gestrige Tag brachte für uns eine kleine Feuerprobe. Gestern vor einem Jahr warf der Tommi uns zum Zweiten Mal alles kaputt. Gestern abend 9.45 gellte der Alarmruf durch unsere Unterkunft. Ich als Kranker ließ mir das natürlich nicht durch die Lappen gehen. In aller Eile mich angezogen. Und raus. Munition gefaßt und in Schutzenhekke auf eine 1 km. entfernte Reithalle vormarschiert. Ich weiß nun nicht, ob ich das schreiben darf. Aber ich will es euch mitteilen. Wir kamen zur Reithalle, die unserem Battailon als Magazin diente. Sie war bewacht von 6 Ukrainischen Legionären und 4 Deutschen Soldaten und 1 Unteroffizier. Die Ukrainer bekamen Kameraden zu Besuch. Hatten etwas zu Trinken.
Schließlich taten sich die Legionäre zusammen und machten unsere Soldaten nieder durch Pistolenschüße. Dann nahmen sie sich das M.-G. und sämtliche Bekleidungsstücke sowie Waffen mit. Wie wir kamen fanden wir 6 Leichen. Auf der Flucht wurde 1 Legionär erschossen. 1 deutscher Soldat hat sich im Hemd in ein Kornfeld geflüchtet. Der einzige Überlebende der deutschen Wache. Traurig, mit so einem Volk muß man sich hier abgeben. Was denken sich da die Polen. 2 Polen meldeten dies auch nach uns, dass ein Überfall stattgefunden habe.
Es hat in der nacht dann noch paarmal geschossen. Heute morgen konnten wir erst schlafen. Macht Euch keine Sorgen.
Das Päckchen war prima. Nochmals vielen Dank. Denkt bitte an das Geld!
Für heute sendet Euch die herzlichsten Grüße
Euer Waldi
I.O. 2.8.44
Ihr Lieben!
Seit 10 Tagen stehen wir nun an der Weichselfront. Ohne Essen und Trank. Seit 6 Tagen stehen wir fast ununterbrochen im Sturm. D.h. 100m vor 100m zurück. Ich bin ein richtiges Frontschwein geworden. Bin wegen Ruheverdacht 3 Tage zum Troß geschickt worden. Heute nach 8 Tagen das erstemal gewaschen. In den nächsten Tagen bekomme ich das Infanteriesturmabzeichen. Es ist ein Verbrechen uns mit 5 Wochen Ausbildung als erfahrene Frontkämpfer hinzustellen. Unser Batl. Hat 60% Verluste. Wir sind daher von den Panzerjägern übernommen worden. Ich weiß die neue Adresse noch nicht. Schreibt vorläufig noch nach Petrikau. Vielleicht gibt es auch mal Urlaub. Macht Euch keine Sorge. Ich bin im schwersten Trommelfeuer davongekommen. Werde auch weiter gut davonkommen.
Es grüßt Euch herzlich Euer Waldi
I.O. den 13.9.44
Liebe Mutter, lieber Alfred!
Gestern erhielt ich zwei Briefe. Ja, Mutter, in der Zeit, wo man am M-G Tageswache steht, schreibe ich soviel ich kann. Ich freue mich aber riesig, wenn ich Antwort bekomme. Von Dir bekomme ich sie regelmäßig. Alfred mit seinem „endlich“ hatte bestimmt Zeit genug gehabt zu schreiben. Liebe Mutter, Du kannst Dich darauf verlassen, der liebe Heiland wird mich gesund durch den Krieg führen. Die Zigaretten werden doch jetzt im Kurs steigen. Immer drücken, der Krieg geht sowieso dem Ende zu. Hier an der Front wird’s langsam mit Rauchwaren auch knapp. Aber wenn ich die Pfeife habe, klappts schon. Die Süßigkeiten, wie gesagt, mag ich nicht. Da steht mir der Kopf nicht nach. Also muß ichs ich schon dir schicken. 6 Päckchen habe ich abgeschickt. Mutter, die Vitamine sind doch nur aus Kohle. Am 23. Mai bin ich Soldat geworden. Also bald 4 Monate. Ich möchte ja gerne wieder mal unser Heim sehen. Mit Urlaub erst Weihnachten. Wenn bis dahin der Krieg zu Ende ist, eher.
Macht bitte, daß Ihr ein Radio bekommt. Der Amerikaner wird nun bald in unserem schönen Köln sein. Aber lieber der, als den Russen. Vom Schnaps schreibst Du, ja was wir kriegen schenk ich keinem Anderen. Man hats aber auch nötig. Von Walter habe ich noch keine Post. Der Krieg hier ist Kinderspielerei. Er dauert schon zu lange. Er mußte so kommen. Auf die Pfeife freue ich mich, da schlafe ich Nachts auf Wache wenigstens nicht ein. Benzin ist nun sehr knapp, auch hier. Denkt mal an Brennstoff. Sonst muß ich Ottos Sturmgeschütz anzapfen. Herrn Pohl danke ich bestens. Werde an Ihn denken. Nun mal zu Alfreds Brief. Wird „endlich“ Zeit, daß Du
Mir geschrieben hast. Von wegen Lust. Du „Eckensteher“. Na, nichts für ungut. Vielen Dank für das Einsenden. Die Zeitung schickt mir bitte zu. Ja, Alfred, heiter ist kein Ausdruck dafür. Grausam ist richtiger. Der arme kleine Hodes. Du kannst seinen Eltern folgendes mitteilen. Am ersten Einsatztag wurde ich von ihm getrennt. Wir wurden auf Stützpunkte alle 5km zugweise an der Weichsel verteilt. Hodes kam in das Dorf Luzhina. Ein paar Tage darauf landete der Russe in Luzhina. Der Stützpunkt wurde eingekreist und nur wenige konnten sich durchschlagen. Hodes ist dort bei den Kämpfen gefallen. Alfred, laß das Freiwillig melden. Es ist doch bald Schluß. Bestell Peter einen schönen Gruß von mir.
Ludes liegt also im Westen. Da ists besser wie hier. Dein Talisman ist unterwegs Alfred, wenn Du noch so freie Hand hast, warum denkst Du dann ans Freiwillig melden. Dann ist es aus, wenn Du den Stellungsbefehl hast. Hör nicht auf diese
Propaganda von Münzner und Kollegen. Die sollten sich zuerst melden. Den Fräuleins habe ich inzwischen schon geschrieben. Urlaub vielleicht zu Weihnachten. Sonst weiß ich nichts Neues. Habe bis jetzt an einer neuen M-G-Stellung geschanzt. Die alte ist dem Iwan lastig geworden. Bin sehr müde. Es ist 3 Uhr nachmittags um 5 Uhr muß ich Essen holen. Will bis dahin noch schlafen. Schreibt bitte recht oft. Im nächsten Brief mehr.
Es grüßt Euch herzlichst
Euer Waldi
Liebe Mutter, sei recht lieb gegrüßt und geküßt von Deinem Sohn Waldi
Radom den 28.9.44
Liebe Mutter!
Wie Du vielleicht von meinem Kameraden erfahren haben wirst, bin ich verwundet. Es ist nicht lebensgefährlich. Hätte schlimmer ausgehen können. Sorgen brauchst keine zu machen. Will Dir mal schildern, wies kam. Am 26. Ich hatte Nachts vor dem russischen Graben Stacheldraht gezogen, weil alles vermint wurde. Da pfiffen die Kugeln nur so, es ist aber wie in einem Wunder nichts passiert. Morgens legte ich mich im Bunker schlafen. Um 1 Uhr werde ich vom Uffz. Geweckt. Soll im Komp. Gefechtsstand Marketenderware holen. Zugleich aber 2 Mann die sich von meiner Gruppe waschen, waren zurückschicken.
Na, ich komme runter. Sage den zweien Bescheid, empfange die M-Ware. Da kommt noch einer von der Gruppe und bringt leere Wein Flaschen Da fängt der Iwan an zu trommeln mit Granatwerfern. Furchtbar. Immer in den Wald, 150 Schuß. Der Chef schickt uns hoch, da nach einem solchen Trommelfeuer immer ein Angriff folgt. Im Graben ist man auch sicherer. Na ich gehe mit dem einen Kameraden durch eine Mulde im Walde vor. Er geht vor mir. Auf einmal ein kurzes Rauschen und vor uns 4 Meter Detonationen. Zugleich spüre ich 2 Schläge. 1 auf den Hüftknochen, der andere auf die Brust.
Allles links. Ich kann nicht laufen noch nicht einmal auf Krücken. Dachte schon, ich käme in die Heimat. Ach es ist schlimm, ich bin nur die auf die Hilfe Anderer angewiesen. Die Splitter sind schon beide raus. In er folgenden Nacht wurde ich schon operiert. Wenn es länger dauert wie 6 Wochen, komme ich in die Heimat. Der Splitter in der Brust saß 5cm über dem Herzen. In der Hüfte 2cm vom Bauch weg. Glück gehabt. Der Herrgott hat schon gewußt warum er mich treffen ließ. Ich glaube von meinen Kameraden werde ich nie wieder einen sehen. Der Russe greift bald an. Schlafen kann ich nicht vor Schmerzen. Nun habe ich fürs Vaterland auch Blut fließen lassen müssen.
Von Dank keine Spur. Kuchen gibt es noch nicht mal. Wenn ich so die Anderen laufen sehe, ich selbst muß liegen bleiben. Kann gerade das rechte Bein und den rechten Arm bewegen. Es ist schlimm. Versucht doch mal bei der Post, ob keine Pakete ins Feldlazarett mit Feldpostnummer gehen. Sagt den Bekannten Bescheid, daß ich verwundet bin. Für heute will ich schließen.
Sei recht lieb gegrüßt und geküßt von Deinem Sohn Waldi
Viele Grüße an die Anderen