Hans Mörtter in einem seiner Videoclips. Foto: Screenshot Lutherkirche/Facebook

Köln | Er ist ein Gesicht der Südstadt. Menschlich, meinungsfreudig, streitbar. Hans Mörtter, Pfarrer der Lutherkirche, legt den Finger in die sozialen Wunden und scheut keine Auseinandersetzung mit den Behörden und Mächtigen.

Im Interview mit report-K spricht der beliebte Veedels-Geistliche über die Diskussionen mit dem Ordnungsamt, Dankbarkeit in der Corona-Pandemie und die Flüchtlingsdebatte.

Herr Mörtter, Sie haben leidenschaftich Partei für Gastronomen im Veedel bei Diskussionen mit dem Ordnungsamt ergriffen. Dann reagierte der Stadtrat. Wie ist die Lage im Veedel nun mit dem Ordnungsamt?

Mörtter: Mit der Leitung des Ordnungsamtes hat es keinen wirklichen Dialog gegeben. Auch meine Gesprächsangebote wurden ignoriert und eine knallharte Nummer gegenüber der Gastronomen gefahren. Das Ganze war dann eine Initiative des Stadtrats, der uns übrigens dieses Gestaltungshandbuch eingebrockt hatte. Dieses ist quasi lebensverhindernd, denn durch Corona haben sich ja die Verhaltensweisen der Gäste geändert.

Das mediterrane Lebensgefühl wurde massiv verstärkt, die Leute wollen nicht rein in die Innenräume. Sie sind verunsichert. Gut ist jetzt, dass der Stadtrat die Initiative ergriffen und beschlossen hat, dass das Handbuch ein Jahr ausgesetzt wird. Jetzt heißt es: Frieden und Gespräche miteinander.

Mir haben die Ordnungsamtsbeamten zum Teil leid getan

Hans Mörtter

Haben Sie konkrete Beispiele für befriedete Orte?

Mörtter: Sofort nach dem Beschluss standen im „Filos“ die zuvor untersagten Stehtische draußen und zwanzig Leute drumherum. Stehtische ermöglichen Gemeinschaft. Bei der Torburg ist es komplizierter mit den Schirmen, da muss man mit der Feuerwehr reden. Aber es sieht auch gut aus, dass die erst mal nicht weg müssen. Die Stimmung ist wieder entspannter.

Mir haben die Ordnungsamtsbeamten zum Teil leid getan. Da gibt es gute Leute drunter, die haben unter der Situation genauso gelitten, wenn sie im Freundeskreis angepfiffen werden. Das sind Leute, die ihren Job machen und total auf die Nase in der Stadt kriegen. Das andere ist die Ordnungsamtspolitik – das ist was anderes.

Hans Mörtter, hier bei einem Gottesdient 2018. Foto: Bopp

Sie sind auch politisch aktiv. Machen Sie sich Sorgen wegen der schlechten Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl?

Mörtter: Vorweg: Wegen der AfD sorge ich mich nicht, die zerpflücken sich ja selbst. Die hässliche Fratze wird da sichtbar. Einen gesellschaftlichen Rechtsruck fürchte ich nicht. Aber es ist interessant wie in manchen Stadtteilen gewählt worden ist. Wenn man nach Chorweiler oder Buchheim schaut, in die benachteiligten Stadtteile.

Da war die Beteiligung ganz niedrig, gleichzeitig der Anteil der AfD hoch. Dabei sind das ja keine Leute, die auf der Seite der Armen stehen. Mir macht Sorgen, dass die Tafeln überlaufen werden, weil die Preise explodieren. Sich vervierfachen. Das kriegt man überhaupt nicht aufgefangen.

Sie haben während der Pandemie einen Corona-Hilfsfond angelegt. Läuft das noch?

Mörtter: Ja klar. Das ist immer noch aktuell.

Gibt es da Dankbarkeit?

Mörtter: Klar. Es gibt viele alleinerziehende Mütter, die mir sagen: „Ich habe durch Sie wieder atmen können, ich hatte nicht mehr schlafen können.“ Es kommt viele gute Energie zurück, und wenn es „nur“ in Nebensätzen ist.

Hat die Dauer-Diskussion um Kardinal Woelki auch einen Einfluss auf Ihre Tätigkeit und die Austrittszahlen in der evangelischen Kirche?

Mörtter: Kirche ist Kirche, sagen die Leute. Dabei unterscheiden sich katholische und evangelische Kirche sehr. Auch bei uns gibt es deshalb Austritte. Neulich rief mich ein Pärchen an, das austreten wollte und fragte was dann mit dem Hochzeitssegen ist. In solchen Gesprächen vermag ich die Menschen dann zu überzeugen, vielleicht nicht auszutreten.

Klar ist Woelki auch ein Schlag ins Kontor für die evangelische Kirche. Wobei diese ja mit Basisdemokratie ganz anders aufgestellt wird.

Bewegendes Motiv: Hans Mörtter bei seinem Besuch auf Samos 2020. Foto: Mörtter

Sie engagieren sich seit Jahren auch für die Flüchtlingshilfe. Hat Corona und der Ukraine-Krieg das Schicksal der Flüchtlinge buchstäblich weggespült?

Mörtter: Ja, dieses Thema wurde und wird zunehmend vergessen. Dabei hat sich an den Zuständen nichts gebessert. Ich werde im Oktober noch einmal nach Samos fliegen und vor Ort mir ein Bild der Lage machen. Man darf nicht dier Augen vor der Realität verschließen.

War die Solidaritätsaktion vieler Menschen aus der Südstadt mit dem Koch Habib K., der abgeschoben werden sollte und dann doch bleiben konnte, typisch für dieses Veedel?

Mörtter: Absolut. Wie schnell hier Menschen sich zusammenfinden und für jemand einstehen, mit Worten und Taten, Petitionen im Netz und dergleichen, und das parteiübergreifend, sucht seinesgleichen.