Köln | Am Wahlabend fällt bei einem Hintergrundgespräch mit report-K ein Satz: „Die Grünen brauchen in Köln nicht einmal mehr plakatieren und gewinnen dennoch“. Der Zitatgeber möchte nicht genannt werden. Aber der Satz bringt etwas auf den Punkt, was aktuell gerne mit dem Begriff „Zeitenwende“ umschrieben wird: Die Grünen gewinnen in Köln einfach alles. Aber das Wahlergebnis bringt auch Verwerfungen für Köln mit sich. Andi Goral kommentiert.

Kölner Rat ohne Landtagsabgeordneten

Es ist die SPD-Chefin Christiane Jäger, die beim Gespräch mit report-K auf eine besondere Auswirkung für Köln durch das Wahlergebnis hinweist: Köln hat zwar 7 Direktkandidat*innen im NRW-Landtag, aber alle diese Abgeordneten haben kein Ratsmandat mehr. Damit gibt es keine Verbindung mehr zwischen dem Rat der Stadt Köln, immerhin der größten Stadt in NRW, und dem Landtag. Dazu kommt, dass Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker parteilos ist. Das soll nun keine Kritik an der Arbeit der OB sein, aber auch hier fehlt die Verbindung in zumindest eines der großen Parteinetzwerke auf Landesebene. Hier zeigt sich auf den ersten Blick eine Leerstelle wer Rat, Landtag und Landespolitik in Zukunft vernetzen kann. Wer wird, kann oder will diese füllen?

Der Wahlerfolg der Kölner Grünen in der Stadt und auf Landesebene

Report-K fragte Kölner*innen exemplarisch und nicht repräsentativ vor der Wahl wer im NRW-Landtag die Grünen anführt und schaute dabei in ratlose Gesichter, selbst bei Menschen, die stark an Politik interessiert sind. Hätten Sie es gewusst? Es sind Josefine Paul und Verena Schäffer, die den Fraktionsvorsitz in NRW innehatten. Wibke Brems und der Kölner Landtagsabgeordnete Arndt Klocke waren stellvertretende Vorsitzende. Die NRW-Spitzenkandidatin Mona Neubaur ist ebenfalls eher unbekannt, wie auch Felix Banaszak, Landesvorsitzender der NRW Grünen. Kannten Sie bisher auch nicht? Auch damit sind Sie in guter Gesellschaft, wenn Sie die meisten Gesichter auf den Jubelbildern der Grünen nicht erkannten. In Köln ist das ähnlich. Im Kölner Süden gewann Eileen Woestmann das Direktmandat, eine bis dato in der Öffentlichkeit unbekannte Politikerin und auch der Kreisvorsitzende der Grünen Frank Jablonski, der im Kölner Westen den CDU-Kreisvorsitzenden Bernd Petelkau bei der Erststimme deklassierte, ist nicht wirklich vielen Kölner*innen bekannt. Kennen Sie seine Kölner Co-Vorsitzende? Es ist Katja Trompeter. Arndt Klocke, der Köln III, also das gentrifizierte Ehrenfeld und Nippes gewann, war im Wahlkampf selten zu sehen, wie auch Berivan Aymaz.

Fragen wir einmal anders herum: Wen kennen Sie von den Grünen? Robert Habeck, Annalena Baerbock, Anton Hofreiter, Kathrin Göring-Eckhardt und Claudia Roth. Richtig. Wer sind aktuell noch einmal die Vorsitzenden der Grünen Bundestagsfraktion und wer hat den Fraktionsvorsitz im Kölner Rat inne? Bleiben wir bei Habeck und Baerbock und beim Zugmotiv: Auf diesem grünen Tschu-Tschu-Train reiten die Grünen ihre Erfolgswelle und beide haben sich im NRW-Wahlkampf ordentlich ins Zeug gelegt. Oben in der Beliebtheitsskala bei den Bundespolitiker*innen strahlen sie leuchtender denn je ab auf die Politik in der NRW-Landesebene.

Eine weitere Anmerkung sei gestattet: Die Grünen sind nicht mehr die Aktivist*innenpartei, wie sie in den 1980er Jahren begonnen haben, auch wenn sie sich nach wie vor sehr smart mit Bürgerinitiativen vernetzen und in Symbolbildern auf Insta, Facebook oder Twitter deren emotionalen Nerv treffen. Die Politiker*innen, die heute zur Wahl stehen, sind innerparteilich seit ihrer Jugend parteipolitisch bestens vernetzt, sonst würden sie den Brutprozess von Mitgliederversammlungen und Landesdelegiertenkonferenzen nicht überstehen und aus diesen als strahlende Sieger*innen hervorgehen.

Und jetzt: Werden sich die Grünen eher der CDU oder der Ampel in NRW hinwenden? Eine besonders spannende Frage, der die Grünen Spitzen Neubaur und Banaszak am Wahlabend auswichen. Neubaur betonte gestern, wie wichtig ihr grüne Inhalte sind. Wer alleine im Bereich Innere Sicherheit die Wahlprogramme von Schwarz und Grün nebeneinander legt findet völlig Unvereinbares. Die Grünen wollen das von Schwarz-Gelb eingeführte Versammlungsgesetz rückgängig machen. Die CDU will eine robuste, die Grünen eine bürgernahe Polizei. Der aktuelle Innenminister von NRW ist ein Hardliner für Law and Order und hat sich damit einen Ruf erarbeitet. Hendrik Wüst galt in seiner Zeit als CDU-General unter Rüttgers als „hartgesottener Wadenbeißer“, präsentiert sich heute aber öffentlich als moderner aufgeklärter Konservativer, der Rad fährt und den Kinderwagen schiebt. Aber jagen geht er immer noch gerne, nur sprechen tut er darüber nicht mehr so gerne. Da dürfen die Wähler*innen auf Schwarz-Grünen Kompromisse gespannt sein und die beschworenen grünen Inhalte, wenn diese beiden Parteien zusammenfinden. Eine weitere Frage dürfte sein, wer das in NRW so (un)beliebte Schulministerium übernehmen müsste in dieser Konstellation?

Was, wenn die Ampel in Berlin eine Ampel in NRW fordert? Wird Neubaur dann folgen? Oder wird Neubaur mit der Ampeldebatte nur den Preis in den Sondierungen und späteren Koalitionsverhandlungen mit der CDU für grüne Inhalte hochtreiben. Was bleibt dann von den CDU-Positionen? Welche Auswirkungen hätte ein Schwarz-Grünes Bündnis im bevölkerungsreichsten Bundesland für den Bund? Und wollen das die Grünen im Land überhaupt? Für die mächtigen Kölner Grünen antwortete deren Kreisvorsitzender Frank Jablonski gestern noch ausweichend und sprach vom zwei Wahlperioden andauernden grün-schwarzen Ratsbündnis als kommunalpolitisch getrieben und sieht dies nicht als Role-Model fürs Land. Er will eine Koalition wo am meisten Grün drin ist.

Die Kölner CDU erleidet herbste Schlappe

Die Kölner CDU kann sich ihr Ergebnis schönreden, da sie vor der SPD den zweiten Platz in Köln errang. Ob das der tief gespaltenen Kölner CDU reicht, deren Chef Bernd Petelkau auch noch im Kölner Westen sein Direktmandat in den reichen Kölner Stadtteilen verlor? Vor der Bundestagswahl forderten viele in der Kölner CDU eine Neuaufstellung der Partei und die Trennung von Parteivorsitz und Mandat. Sie scheiterten. Es waren die einflussreichen Kölner Landtagsabgeordneten, die Petelkau retteten. Oliver Kehrl bekam im Kölner Süden die Quittung. Er wird dem nächsten NRW-Landtag nicht mehr angehören. Florian Braun rettete sich mit dem relativ knappen Sieg über den SPD-Fraktionsvorsitzenden im Kölner Rat Joisten in den Landtag. Nathanael Liminski, Wüst und Laschet-Intimus und mächtiger Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei verlor sein Landtagsmandat und ging in Ehrenfeld und Nippes völlig unter. Zwar besetzt Petelkau innerhalb der Stadtverwaltung einen wichtigen Posten nach dem anderen mit CDU-Mitgliedern, aber in der Öffentlichkeit und bei den CDU-Wähler*innen funktioniert es überhaupt nicht. Dazu kam die Mallorca-Affäre der Kölner Kandidatin Ursula Heinen-Esser, so dass die CDU in der Kölner Innenstadt blank bei den Direktkandidat*innen dastand. Es sind keine prophetischen Gaben nötig um vorherzusagen, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit in der CDU Kölns bald wieder rumoren könnte. Das von Petelkau nach jeder verlorenen Wahl gebetsmühlenartig vorgebrachte Statement, die CDU sei keine Großstadtpartei wird nicht mehr helfen. Auch die Ausrede es läge an der niedrigen Wahlbeteiligung dürfte nicht gelten, denn etwa in Lindenthal, Klettenberg, Junkersdorf, Hahnwald um nur einige zu nennen lag die Wahlbeteiligung teilweise bei über 70 Prozent. Der CDU-Vorsitzende wollte übrigens dieser Internetzeitung kein Statement geben.

Die Kölner SPD

Die Wahlanalyse muss zeigen, ob es an der mangelnden Mobilisierungsfähigkeit von SPD lag, dass diese in Köln so stark einbrach. Aber anscheinend galt auch bei dieser Landtagswahl: Ist die Wahlbeteiligung niedrig verliert die SPD. Vor allem in ihren Hochburgen, den Arbeiterstadtvierteln war die Wahlbeteiligung extrem niedrig. Die SPD verliert aber noch mehr, kann sich aber dennoch halten: Jochen Ott, immerhin ehemaliger SPD-Chef und OB-Kandidat, kann sein Direktmandat nicht gewinnen. Aber er zieht über die Liste in den Landtag. Und die SPD gewinnt rechts- wie linksrheinisch im Kölner Norden je ein Direktmandat. Einmal mit einer Frau aus den Jusos mit Lena Teschlade und mit Carolin Kirsch in Mülheim. Bietet die SPD junge Frauen auf, so kann sie bei den Kölner*innen punkten, das war schon bei der Bundestagswahl so mit Sanae Abdi. Die Kölner SPD-Chefin Christiane Jäger – ja, auch die ist nicht sonderlich bekannt – agiert hier im Hintergrund strategisch erfolgreicher als ihr CDU-Counterpart, denn sie brachte gegen die Grüne Übermacht drei Kölner*innen im neuen NRW-Landtag unter.

Die FDP, die Linke und die AfD

Wäre es nach den Kölner*innen gegangen würde die AfD jetzt gar nicht mehr im Landtag sitzen und NRW hätte es Schleswig-Holstein gleichgetan. Besser wäre es gewesen, vor allem wenn Björn Höcke Bundesvorsitzender der AfD werden sollte. Die Linke schaffte es in Köln bislang immer bessere Ergebnisse als der Landesdurchschnitt zu erzielen. Das ist zwar immer noch so, aber auch sie erlebte einen deutlichen Absturz. Die FDP erzielt in Köln ein besseres als das Landesergebnis, verliert aber mit der Kölner Kandidatin Yvonne Gebauer das Schulministerium, bei nicht schlechter Regierungsarbeit.

Für politische Beobachter*innen wird es interessant wie stark sich die grünen Kölner Löw*innen in der Landespolitik oder sogar Landesregierung wiederfinden? Denn eigentlich begründet ihr Kölner Erfolg auch landespolitische Ansprüche, denn die Grünen sind die Macht am Rhein, zumindest in der Stadt, die in NRW einen Dom und einen Fußballverein mit Geisbock hat.  

Es kommentierte Andi Goral